Quito: Silvester mit Straßenmusik

Quito
QuitoReuters
  • Drucken

Bunt, laut, chaotisch, abenteuerlich ist Ecuadors Hauptstadt immer. Zum Jahreswechsel aber auch noch hochmusikalisch.

Wo die Hirten knallbunt gekleidet zum Stall kommen, Feiertage Fiesta heißen, wo – statt besinnlich – laut und ziemlich sinnlich gefeiert wird, von Einkehr und Stille keine Spur ist, wo statt Glühwein an heißer Schokolade genippt wird, da wird getanzt, gesungen und gelacht, dass es manchmal sogar das Christkind aus der Krippe kippt: in Quito.

Vom 6. Dezember, an dem nicht der Nikolo, sondern die Stadtgründung 1534 gefeiert wird, bis zum neuen Jahr ist in Quito nicht der Bär, aber bei der Fiesta de Quito der Jaguar los. Der übliche Trubel in der höchsten Hauptstadt der Welt steigert sich zur katholischen Massenparty, wie sie sich der Eroberer Pizarro und seine Missionare vor 400 Jahren nicht hätten träumen lassen.

Man strömt in Kirchen und zu den vielen, überall aufgestellten Krippen, um dem Jesuskind Gedichte und Lieder vorzutragen, man veranstaltet Krippenschönheitswettbewerbe, alle möglichen Bands musizieren open air auf Lastwagen rollend durch die Straßen und halten auf Plätzen, um für die – immer zum Tanzen aufgelegten – Quitefios aufzuspielen.

Schlimmes Schlemmen

Am 24. Dezember wurde untertags nicht gefastet, sondern geschlemmt– vom Truthahn mit Pflaumensauce bis zu gefüllten Hähnchen und den extrem süßen Nachspeisen, wie Pristiños mit Honigsauce und karamellisierten Feigen. Wobei man sich da vielleicht doch nicht allzu viel erwarten sollte– außer in internationalen Restaurants: Quitos Alltagsküche ist, mag auch der eine oder andere Koch an Festtagen über sich hinaus wachsen, nicht gerade die abwechslungsreichste. Meist serviert man Mais- oder Erdäpfelpüree, manchmal in, manchmal auf kaum würzenden Blättern. Salsa drauf, damit es nach irgendetwas schmeckt, ein Stück totgebratenes Fleisch oder Fisch, möglichst wenig Gemüse, das aber extrem knackig, ausnahmslos immer dabei eine Scheibe Avocado, auch bei der kalten Suppe mit Shrimps und drübergebröseltem Popcorn – ohne Mais geht eben gar nichts.

Als Nachspeise und Gipfel der Genüsse gepriesen gibt es fast immer – zu Feiertagen zusätzlich – Feigen mit Käse: Die Higos con queso sind in Melasse zu weichen Zuckerkugeln eingekocht und werden mit einigen Streifen einheimischem Käse ergänzt, der in Konsistenz und Geschmack einem neutralen Kaugummi ähnelt. Vielleicht ist man als Europäer zu verwöhnt, was ein Reisejournalist aus den USA bei kurzem Geplauder anklingen ließ: „Well, you are from Europe, what do you want?“

Besonders Abenteuerlustige können natürlich auch von den Straßenverkäufern – meist Ponchodamen mit den typischen Hüten – aus Kübeln und Schüsseln Seltsames kosten, wie gerösteten Mais und Catso, fermentierte Käfer: Es schmeckt ein wenig nach Maggi mit Schimmel.

Noch eine Spezialität gibt es, die man allerdings gern versäumen darf: gegrilltes Meerschweinchen. Das wird – immerhin fell- und innereienlos, allerdings auch gewürzlos – samt Kopf und Beinchen serviert. Die ledrige Haut mit darunter liegender Fettschicht umhüllt eine Miniportion Fleisch, das nach wenig schmeckt – außer man schüttet Salsa drauf. Dazu reicht man gern Maispampe im Maisblatt, gewürzt mit – erraten – Salsa. Und das Ganze, Sie erraten es neuerlich, mit Avocado.

Aber es gibt auch veritable Genussfreuden: Zuckerrohrsaft, frisch gepresst, Früchte, frisch gemixt oder gleich geschält, auseinandergezupft, herausgeklaubt oder -geknackt – immer ganz wunderbar! Vor allem in einer Vielfalt, die selbst Einheimische manchmal in Erklärungsnotstand bringt.

Natürlich hat die 1,5-Millionen-Einwohner-Stadt auch Restaurants, in denen man großartig dinieren kann, zum Beispiel im auch sonst wunderbaren Boutiquehotel Casa Gangotena, in dem schon das Frühstück für alles entschädigt. Will man Quito, die in einem Becken auf 2850 Metern am höchsten gelegene Metropole der Erde, genießen, sollte man sich auch dieses Haus, einen ehemaligen Adelspalast gleich neben der berühmten Kirche San Francisco, gönnen. Mit viel Marmor, Springbrunnengarten, eleganten neoklassizistisch eingerichteten Zimmern und besonders freundlichem Personal, ein wunderbares Zuhause mitten im Schreckensverkehr von Quito.

Straßenchaos, Eroberungsgeist

Kein Navi der Welt könnte helfen, diese in Nord-Süd-Richtung 47 Kilometer lange Stadt mit ihren Bergen und Schluchten, Brücken und Baustellen, Steilstraßen und Schotterwegen und dem ständigen Verkehrsstau zu durchqueren. Sich im Casa Gangotena von den vielen grandiosen, aber oft auch anstrengenden Abenteuern auszurasten, die Quito zu bieten hat, fühlt sich vielleicht ein wenig dekadent an – aber wunderbar.

Wenn man sich dann wieder ins Getümmel wirft, um die vielen Dome, Museen und Handwerks- oder Lokalgässchen zu erforschen, wird man immer wieder an die grausame Kolonialisierungsgeschichte erinnert. Die Götter wurden zu Heiligen umfunktioniert, die Kirchen wie goldene Tempel gestaltet, die uralten Brauchtümer bekamen ein christliches Korsett verpasst, auf den Inkapalast des Fürstengottes Atahualpa stellte man eine Kathedrale für den Gottfürsten der Christen – der Geist der Conquistadores herrscht immer noch im Tal von Quito.

Auch deshalb wurde das Unesco-Kulturerbe im Juli 2013 als bestes Reiseziel in Südamerika ausgezeichnet: nicht nur, weil man dort heute angeblich sicherer und bequemer reist als anderswo auf dem Kontinent, sondern auch, weil in Quito die präkolumbianische und koloniale Geschichte in ihren Ursprüngen am Leben blieb, vor allem in der gut erhaltenen Altstadt. Und in den Bräuchen und dem Lebensstil der Indigenen, deren Kinder heute wieder Kichwa (oder auch Quechua) lernen. Dann kann man ein Taxi zur üppig geschmückten Engel-/Marienstatue auf dem Hausberg Panecillo nehmen, vor der zur Weihnachtszeit eine 20 Meter hohe Krippe thront. Auf den Treppen hinaufzusteigen ist nur Konditionsstarken und Akklimatisierten anzuraten, die Luft ist in 2800 Metern Höhe schon ziemlich dünn.

Von 2800 auf 4200 Meter

Man kann die grandiose Aussicht vom Hausvulkan Pichincha, auf den eine angenehm langsame Gondelbahn hinaufführt – immerhin von 2800 auf 4200m – genießen. Und die erlebnisreiche Umgebung von Quito erforschen: Nebelwaldexpeditionen, bei denen man an einem Seil hängend über die Baumwipfel saust; Äquatorbesuch zum Mittelpunkt der Welt mit verblüffenden Fliehkraftexperimenten, wo am 21.März und 23.September die Sonne keinen Schatten wirft; Ausflüge zu riesigen Haciendas der ehemaligen spanischen Grandes, Besetzer/Besitzer riesiger Gebiete, Erbauer protziger Landsitze mit wunderschönen Gärten. Oder zu sogenannten Schutzhütten, höher gelegene Haciendas, von denen aus man Wahrzeichen wie den Vulkan Cotopaxi (5897m, Hals des Mondes) hinaufreiten oder -steigen kann. Märkte – einheimische wie der Markt in Saquisili, touristischere wie jener in Otavalo – lassen die Lebensart der Indigenen, von denen viele noch Quechua sprechen, gut beobachten und etwa auch ihr Handwerk be- und angreifen oder erwerben, wie die Webarbeiten – hier von Männern ausgeführt –, die wahre Kunstwerke sind.

Wenn dann das Neujahrsfest naht, angekündigt durch ständiges Knallen in allen Straßen und Gassen, sieht man oft schon die ersten Riesenpuppen aus Holz und Pappmaché, die Año Viejos, die Personen der Öffentlichkeit darstellen, gern geprügelt und beschimpft vom Publikum, bis sie dann um Mitternacht mit Feuerwerkskörpern gesprengt oder verbrannt werden.

Profi-Bands mit Vortänzern

Einheimische Männer verkleiden sich bei diesem Fest mit Begeisterung als kokette Witwen, die manchmal mehr als aufreizend um Spenden „für die Beerdigung ihrer Männer“ bitten: Ob man damit das alte Jahr betrauern will, weiß keiner so recht, Hauptsache, man ist grell geschminkt und oft auch ziemlich betrunken. Es wird überhaupt gern in Masken und Kostümen gefeiert, die Stimmung ähnelt Halloween, aber statt um „Süßes oder Saures“ wird um Geld gebettelt. Wer da mitmachen möchte, sollte sich in der Avenida Amazonas mit Masken oder Puppen ausstatten. Diese gibt es dort zwischen Handwerkszeug, Süßem und viel, viel Musik von Profi-Bands mit Vortänzern in den verschiedenen Trachten bis zu einfachen Gitarrespielern dargebracht, die aus reiner Lust an der Freude mitmachen.

Die Anreise, früher von Fluggästen gefürchtet, ist heute so sicher wie noch nie: Quito hat jetzt einen neuen Flughafen mit der längsten Landebahn Südamerikas. Er liegt allerdings ein wenig außerhalb, und man muss in dem typischen Verkehrschaos der Stadt schon mit einer Stunde im Shuttlebus bis zum Zentrum rechnen. Aber wer den Weg zum Ziel macht, kann gleich die einheimische Mentalität des stolzen Individualismus studieren – man überholt rechts, auch wenn links Platz wäre, hält sich nicht an Verkehrszeichen und verstopft so oft wie möglich Kreuzungen bis zum Verkehrsstillstand. Aber irgendwie löst sich immer der Knoten, und bunt und laut geht das Leben weiter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.