Lopatka: Wer ungesund lebt, soll mehr zahlen

INTERVIEW: REINHOLD LOPATKA
INTERVIEW: REINHOLD LOPATKA(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Selbstbehalte beim Arzt seien Teil der Eigenverantwortung, sagt Reinhold Lopatka. Beim Wahlrecht will er Bundesländern mehr Freiheiten lassen. Die österreichische Neutralität gelte nur noch außerhalb der EU.

Die Presse: Bei der Mitgliederbefragung der ÖVP votierten 60Prozent für ein Mehrheitswahlrecht. Diese Idee soll aber unter den ÖVP-Abgeordneten nicht unumstritten sein. Sind Sie für ein Mehrheitswahlrecht?

Reinhold Lopatka: Da muss man zwei Fragen auseinanderhalten. Die eine ist, dass die Wahlbeteiligung, je weiter es nach oben geht, abnimmt: Die geringste Beteiligung gibt es bei den Europawahlen, die zweitniedrigste bei der Nationalratswahl, die stärkste bei den Gemeinderatswahlen. Der Wähler möchte also sichtlich mehr mitreden. Der Wähler honoriert den direkten Kontakt zu den Kandidaten. Und dann kommt als zweite Frage, ob das Mehrheitswahlrecht die richtige Antwort darauf ist.

Ein mögliches Mehrheitswahlrechtsmodell wäre es, in jeden Wahlkreis nur genau einen Abgeordneten zu wählen, wodurch es eine starke Persönlichkeitswahl gäbe. Gefiele Ihnen das?

Ich halte es für gut, wenn die Debatte geführt wird. Aber wir müssen sie sowohl mit den anderen Parlamentsparteien als auch mit den Landesparteien führen. Wir haben jetzt in der Verfassung die Regel, dass das im Bund festgelegte Verhältniswahlrecht auch für die Länder gilt. Und dann muss ich mich fragen: Sollte man nicht den Ländern auch die Möglichkeit geben, ihr Wahlrecht freier zu gestalten? Auf Gemeindeebene gibt es da ja schon unterschiedliche Regelungen, etwa ob der Bürgermeister direkt gewählt wird.

Also jedes Land sollte sein eigenes Wahlrecht zum Landtag beschließen können?

Diese Debatte ist ernsthaft zu führen.

Eine Mehrheit in der ÖVP sprach sich für Selbstbehalte beim Arzt (und dafür niedrigere Sozialversicherungsbeiträge) aus. Sollen Selbstbehalte generell kommen?

Ein Grundsatzprogramm bietet die Chance, Konturen zu zeigen. Der Staat ist auch verantwortlich für die Bürger. Aber vor dem Staat kommt die Eigenverantwortung. Und auf lange Sicht ist unser Gesundheitssystem nur finanzierbar, wenn wir uns unserer Eigenverantwortung stärker bewusst werden. Und Teil dieser Eigenverantwortung kann sicher ein Selbstbehalt für alle sein. Selbstverständlich muss es Sonderregeln für chronisch Kranke und sozial Schwache dabei geben.

Gehen die Leute zu oft zum Arzt, oder wie kommt man in diesem Bereich zu Einsparungen?

Es gibt da verschiedene Möglichkeiten, zu sparen. Es gibt sicher Einzelne, die zu oft zum Arzt gehen. Und es gibt Ärzte, die auch viel verschreiben. Denn dass jemand zum Arzt geht, dort klagt und ohne Verschreibung nach Hause geht, ist ja doch der Ausnahmefall.

Soll es in diesem System geringere Selbstbehalte geben, wenn man einen gesunden Lebenswandel nachweist, also etwa nicht raucht und sich genug bewegt?

Anreize sind richtig. Wer gesund lebt, spart der Gemeinschaft mehrere 10.000 Euro. Dann halte ich es umgekehrt für gerecht, dass jemand, der ungesund lebt, über die Jahre auch einige hundert Euro mehr zum Gesundheitssystem beiträgt.

Ausgesprochen hat sich die Mehrheit der Mitglieder auch für eine europäische Armee. Gleichzeitig betont die ÖVP, dass die Neutralität auch dann erhalten bliebe. Wie geht das?

Die Europäische Union hat im Vertrag von Lissabon eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik festgelegt. Eine gemeinsame Verteidigung funktioniert am besten, wenn diese in einer europäischen Armee wahrgenommen wird. Wir sind neutral und können auch neutral bleiben. Denn schon in den Petersberger Aufgaben von 1992 hat man Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen festgelegt. Österreich ist Teil dieses Systems. Unsere Bundesverfassung wurde geändert.

Neutralität zeichnet sich aber dadurch aus, dass man keinem Militärbündnis angehört. Wie passt das mit einer europäischen Armee zusammen?

Es kann eine Form der Beteiligung für Österreich und auch Irland geben, die nicht im Widerspruch zur Neutralität steht. Denn innerhalb der EU sind wir aufgrund der Petersberger Aufgaben solidarisch.

Wir sind also innerhalb der EU nicht neutral, nur außerhalb?

Ob das ein Völkerrechtler unterschreibt, weiß ich nicht. Aber de facto ist es so.

Die Beschlüsse zur Steuerreform müssen noch durch das Parlament. Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl sagt nun, ihm seien Änderungen versprochen worden, sonst hätte er im Parteivorstand der Steuerreform nicht zugestimmt. Inwiefern kann man Leitl entgegenkommen?

Ich weiß nicht, was Präsident Leitl konkret im Hinterkopf hat. Geringfügige Anpassungen oder Klarstellungen sind im parlamentarischen Prozess üblich. Aber am Grundsätzlichen bei der Steuerreform – den Gesetzen gegen Steuer- und Sozialbetrug, oder den Ausnahmen beim Mehrwertsteuersatz – wird sich nichts mehr ändern.

Im Zusammenhang mit dem Wunsch nach Pensionsreformen haben Sie kürzlich beklagt, dass von den Jungen zu wenig Druck kommt. Warum ist das so?

Zu meiner Zeit war die Jugend viel stärker politisch aktiv. Ob das Zwentendorf, Hainburg oder die Friedensbewegung war, aus den unterschiedlichsten Lagern waren da viele Junge dabei. Warum sich das geändert hat, weiß ich nicht, aber es hat sich geändert. Aber auch ohne den Druck der Jungen wäre es Aufgabe der Politik und vor allem des zuständigen Ministers (Rudolf Hundstorfer, Anm.), das Pensionssystem rascher zu reformieren.

In Ihrer Heimat Steiermark stehen Landtagswahlen bevor. Wird der ÖVP der steirische Reformkurs bei der Wahl am 31. Mai schaden?

Ich sehe durchwegs Chancen, dass dieser Reformweg entsprechend unterstützt wird. Das heißt aber nicht, dass es das große Plus geben wird.

ZUR PERSON

Reinhold Lopatka (55) ist seit Dezember 2013 ÖVP-Klubobmann. Zuvor bekleidete der Oststeirer schon viele politische Positionen – etwa als ÖVP-Generalsekretär oder drei Mal als Staatssekretär für unterschiedliche Bereiche (Sport, Finanzen, Äußeres).

Die ÖVP befragte ihre Mitglieder zu Punkten, die im neuen Parteiprogramm ihren Niederschlag finden soll. Die Entscheidung darüber, was ins Parteiprogramm kommt, fällt aber erst beim Programmparteitag zum 70-Jahr-Jubiläum der ÖVP am 12. Mai.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2015)

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