70 Jahre ÖVP: Aus dem Schatten der Kanzlerdiktatur

FESTAKT ANL. 70 JAHRE OeSTERREICHISCHE VOLKSPARTEI: MITTERLEHNER
FESTAKT ANL. 70 JAHRE OeSTERREICHISCHE VOLKSPARTEI: MITTERLEHNER(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Die ÖVP spannte einen großen Bogen: von der Schönborn-Messe zum Happysound im Prälatensaal. Höhepunkt war die „Was ist bürgerlich?“-Rede des Soziologen Manfred Prisching.

Den eigenen Geburtstag mit einer Messe zu begehen, ist auch für die ÖVP keine Selbstverständlichkeit mehr. Und so sagte Kardinal Christoph Schönborn in der Wiener Schottenkirche: „Danke, dass Sie den Mut haben Ihr 70-Jahr-Jubiläum mit einer heiligen Messe zu beginnen.“ Seine Stimme, ergänzte der Wiener Erzbischof, habe er „gewissermaßen schon abgegeben“, er sei nämlich heiser, weswegen er auch keine Grundsatzrede halten werde.

Ein wenig tat er es im Rahmen der Eucharistiefeier am Freitagmorgen zu Ehren der ÖVP und ihrer Gründer dann doch. In der Partei sei im Laufe der Jahre auch „allzu Menschliches und auch Unmenschliches“ geschehen. „Daher wollen wir nun Gott um Verzeihung bitten.“ Und die ÖVP-Granden – von Parteichef Reinhold Mitterlehner abwärts – erhoben sich zum Schuldbekenntnis.

Kirche und Staat gehörten getrennt, mahnte Schönborn. Jeder Versuch einer religiösen Politik sei gefährlich. Die Gründer der ÖVP seien angetreten, ein demokratisches Gemeinwesen zu schaffen, in dem christliche Werte prägend sind. „Ist Österreich heute ein christliches Land?“, fragte Schönborn. Und gab die Antwort, die der Erzbischof von Canterbury auf die Frage gegeben hatte, ob Großbritannien noch ein christliches Land sei: „Mostly.“

Danach zog der ÖVP-Tross in den Prälatensaal des Schottenstiftes weiter, in dem die Partei am am 17. April 1945 gegründet worden war. Der Festakt startete mit einem Kontrapunkt zur Messe davor: Eine Sängerin sang Kool & The Gangs „Celebration“ – die ÖVP-Gemeinde klatschte mit. Klubchef Reinhold Lopatka erinnerte in launiger Rede daran, dass ein Gründungsvater der ÖVP 1945 die Enns durchschwimmen musste, da die „Westachse“ schon damals lieber eine eigene Partei gegründet hätte. Lopatka sprach aber auch „die dunklen Seiten der Vorgängerpartei“ an. Parteichef Reinhold Mitterlehner fügte später hinzu, dass sich die ÖVP schon in ihrer Gründungsphase von der „Kanzlerdiktatur“ der Zwischenkriegszeit distanziert habe. Man habe sich in der Zweiten Republik „eine österreichische Identität“ erarbeitet.

„Vor allem Erhard Busek“

Auch Mitterlehner hatte mit einem kleinen Seitenhieb begonnen. Er begrüßte seine Vorgänger Josef Riegler, Josef Taus, Josef Pröll „und vor allem“ Erhard Busek: „Die eigene Parteifamilie ist vielleicht doch die allerbeste.“ Busek hatte 2013 Neos gewählt und zuvor auch an deren Gründung mitgewirkt.

Mitterlehner hob den persönlichen Mut der Gründerväter hervor: Leopold Figl sei direkt aus dem KZ gekommen und habe ohne für sich selbst eine Auszeit zu nehmen sogleich die ÖVP (mit-)gegründet. Und wenn jemand vorwurfsvoll sage, die ÖVP sei ja 45 der 70 Jahre in der Regierung gewesen, dann entgegne er: „Ja und? Wenn wir es nicht gewesen wären, wäre viel Falsches entstanden.“ Explizit hob Mitterlehner die „mutige Reformpolitik“ Kanzler Schüssels hervor.

Die große Festrede hielt der Grazer Soziologe Manfred Prisching. Er befasste sich mit Werten, die für eine bürgerliche Partei relevant sind. „Freiheit muss man können“, sagte Prisching. Und Leistung sei vor allem eine Anstrengung gegen sich selbst. Einen „primitiven Leistungsbegriff“ – wer hat das größere Auto? – lehne er ab. Auch von den Wutbürgern hält er nicht allzu viel: „Wenn Wut jeden Gedanken vernebelt, kann man einen solchen nicht mehr fassen.“ Lauter Zwischenapplaus.

Man müsse Widersprüche aushalten, erklärte Prisching. „Wir brauchen den Staat – aber dieser kann auch repressiv und bevormundend sein.“ Ähnliches gelte für den Markt. Checks and Balances – das sei klassische bürgerliche Politik. Wie die Hinwendung zur EU. „Sofern es den griechischen Rabauken nicht gelingt, dieses Europa zu sprengen.“ Den ÖVP-Gründern sei auch nicht alles gelungen. „Aber wir haben heute die am wenigsten ungerechte Gesellschaft der Geschichte.“ Und mit Blick in die Zukunft meinte Prisching: „Es gibt immer Spielraum nach oben. Auch das ist bürgerlich.“

Dann sang die Sängerin Pharrell Williams' „Happy“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2015)

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