US-Konzerne in der Steuerfalle

People walk past a Coach store on Madison Avenue in New York
People walk past a Coach store on Madison Avenue in New YorkREUTERS
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Über zwei Billionen Dollar parken US-Firmen im Ausland, um Steuern zu sparen. Doch sobald sie das Geld nach Hause holen, schlägt der Fiskus zu. Das bringt sie auf kuriose Ideen.

Die Geschichte scheint schon oft erzählt – und ist doch nur zur Hälfte bekannt. Große US-Konzerne wie Apple, Google oder Starbucks sträuben sich dagegen, Steuern zu zahlen. Sie verfrachten ihre Gewinne außer Landes in Steueroasen. 2,1 Billionen Dollar werden dadurch nach einer Studie aus dem Vorjahr dem Fiskus entzogen, fast doppelt so viel wie noch 2008. Das amerikanische Steuerrecht bietet Unternehmen viele Schlupflöcher, um ins Ausland auszuweichen. Und die Regierung schaut scheinbar machtlos zu.

So weit, so geläufig. Was aber bei uns nur wenige wissen: Die Finanzchefs lachen sich nicht mehr ins Fäustchen. Sie werden sogar zunehmend nervös. Denn die Gewinne sind auf den Bermudas, auf den Jungferninseln oder in Irland ja nur geparkt. Und so wie man kein Auto kauft, um es auf Dauer zu parken, sondern um damit zu fahren, erwerben Anleger keine Anteile einer Firma, die ihnen die Früchte ihres Investments auf Dauer vorenthält. Also muss das geparkte Geld früher oder später zurück, um als Dividende den Aktionären zugutezukommen.

Doch da gibt es ein Problem. Das US-Steuerrecht lässt aggressive Steuersparmodelle auch deshalb zu, weil es eine strenge Kehrseite eingebaut hat: Die USA sind eines der wenigen Länder, bei denen im Prinzip alle Auslandsgewinne der heimischen Steuerpflicht unterliegen. Der Fiskus gewährt also nur einen Aufschub. Sobald das Geld zurückkommt, schlägt er voll zu. Nur die in der Ferne schon gezahlte Steuer zieht er ab, aber die ist in den Offshore-Paradiesen ja oft nahe null.

Ende der Ferien. Das ganze aufwendige Manöver war dann umsonst. Pech gehabt, könnte man sagen. Aber es wird für eine Firma fatal, wenn sie damit in ihrer Planung nicht rechnet – weil sie gehofft hat, das Thema ließe sich politisch lösen. In diesem Dilemma befinden sich solche Giganten wie Microsoft oder Cisco, Oracle oder Pfizer. Nicht von ungefähr geht es meist um Hightech und Pharma. Dort gibt es wertvolle Patente. Immaterielle Güter lassen sich besonders leicht in ferne Briefkästen verfrachten. An sie zahlen die anderen Firmen im Konzernverbund Lizenzen, die man wiederum als Aufwand absetzen kann. Doch nun sitzen die Branchenriesen mit ihrem „trapped cash“ in der Steuerfalle.

Das Thema ist nicht neu. Aber es hat eine unheimliche Dynamik gewonnen. Sie begann 2004: Damals gewährte George W. Bush den multinationalen Steuerverweigerern einen Tax Holiday. Ein Jahr lang hatten sie Zeit, ihre Profite heimzuholen. Darauf zahlten sie nur 5,25 Prozent Steuer. Kein Vergleich zu den normalen 35 Prozent, mit denen jede kleinere Firma leben muss.

Die Konzerne, die dafür natürlich kräftig lobbyiert hatten, waren begeistert. Das Geschenk verstanden sie als Einladung, ihre Profite von nun an mit noch weit mehr Elan außer Landes zu schaffen. Durften sie doch darauf hoffen, dass sie ein wenig später wieder einmal Steuerferien durchboxen können. Doch die Euphorie ist Ernüchterung gewichen. Die Öffentlichkeit ist sensibilisiert, die Politiker können sich als unfair empfundene Deals nicht mehr leisten. Zumal dafür ökonomische Argumente fehlen. 2004 versprachen die Unternehmen noch, das repatriierte Kapital würde zu einer gewaltigen Welle an Investitionen, mehr Wachstum und Jobs führen. Leider Fehlanzeige: Makroökonomische Effekte waren nicht auszumachen.

Was nicht verwundert. Denn tatsächlich war das geparkte Geld zum Großteil schon längst wieder im Land. Die Konzerne legen die liquiden Mittel ihrer Offshore-Töchter ja meist nicht in der Karibik an, sondern bei ihrer Hausbank in den USA. Dort stehen sie als Kredite für andere Firmen zur Verfügung und setzen so die üblichen Multiplikatoreffekte in Gang. Nur die Konzernzentralen hatten lang keinen Zugriff darauf. Als diese Schranke mit dem Tax Holiday fiel, nutzten die Firmen sie im besten (und seltenen) Fall für Investitionen auf dem Heimmarkt. Meist aber flossen sie in Dividenden an die Aktionäre oder in den Rückkauf von Aktien.

Heute rechnet fast niemand mehr damit, dass es noch einmal zu einer großzügigen Amnestie kommt. In ihrer Not greifen die Firmen zu kuriosen Mitteln. Viele machen Schulden, um Dividenden zahlen zu können. So nahm etwa Apple vor zwei Jahren eine Anleihe über 17 Milliarden Dollar auf. Dabei sitzt der glorreiche IT-Gigant im Ausland auf weit über 100 Mrd. Dollar an angehäuften Gewinnen. Angesichts historisch niedriger Zinssätze und geringer Risikoaufschläge dank bester Bonität mag das sogar als smart erscheinen. Aber eine dauerhafte Lösung ist es nicht. Zumal es so niedrige Kapitalkosten nicht ewig gibt – in den USA steht die Zinswende bald ins Haus.

Klein schluckt Groß. Deshalb setzen immer mehr Firmen auf einen radikalen Befreiungsschlag: die Inversion. Sie verlegen ihren Sitz ins Ausland, indem sie mit einem kleineren Unternehmen fusionieren. Wie Burger King: Die Schnellimbisskette kennt fast jeder. Tim Hortons ist hingegen in unseren Breiten nur wenigen ein Begriff. Die kanadische Kaffeehauskette ist auch deutlich kleiner als der Fleischlaberl-Gigant. Dennoch fusionieren beide nun so, dass der Große ins Land des Kleinenzieht – rein aus Steuergründen. Ein fiskalischer Fluchtversuch war 2014 auch das Angebot des Pharmariesen Pfizer, den Londoner Konkurrenten Astra Zeneca zu kaufen. Um ein Haar wäre so ein uramerikanisches, seit 100 Jahren verwurzeltes Unternehmen britisch geworden. Der Deal misslang. Aber das Fernweh plagt Pfizer weiter. Solch „unpatriotisches Verhalten“ stößt nicht nur bei Demokraten, sondern auch bei Republikanern auf Widerstand. Nur die Lösungsvorschläge sind verschieden: Die Republikaner sehen die Wurzel des Übels im regulären Steuersatz. Tatsächlich sind die 35 Prozent das höchste Niveau aller Industriestaaten – was Ausweichstrategien provoziert. Den Demokraten geht es vor allem darum, die Konzerne fiskalisch an die Kandare zu nehmen. Damit ist eine rasche Lösung nicht in Sicht. Und der Wettlauf um die bizarrsten Steuertricks darf weitergehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2015)

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