Neue Kämpfe: Die Angst kehrt nach Donezk zurück

Eduard Basurin, deputy commander of the self-proclaimed Donetsk People's Republic, inspects a building, which according to locals was recently damaged by shelling, in Donetsk
Eduard Basurin, deputy commander of the self-proclaimed Donetsk People's Republic, inspects a building, which according to locals was recently damaged by shelling, in DonetskREUTERS
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An den Mai-Feiertagen kam es zum schwersten Beschuss auf die Donbass-Stadt seit mehreren Wochen.

Im Hochhaus in der Tschapaew-Straße 1b setzen Männer Plastikplanen in Fensterhöhlen ein. Im Haus daneben ist im Erdgeschoß eine Granate eingeschlagen, die die Mauer durchbrochen hat. Tatjana Iwanowna, 65, ist verzweifelt. „Unser Bezirk war früher so gut gelegen – im Grünen, nahe an Bahnhof und Flughafen. Jetzt können wir nicht mehr in Ruhe leben.“ Am gestrigen Sonntag konnte sich im Kiewskij-Bezirk kaum jemand Müßiggang leisten. Die Aufräumarbeiten nach dem schweren Beschuss von Samstagnacht dauerten bis in die Nachmittagsstunden.

Zwischen dem Hämmern, Fegen und Schaufeln ist aus Norden, irgendwo hinter den Wohnblöcken, dumpfes Donnergrollen im Minutentakt zu hören. Es ist kein Gewitter am Rande von Donezk, es ist von den Stellungen der hiesigen Separatisten ausgehendes Artilleriefeuer, und die Detonationen am Rand der ostukrainischen Metropole verheißen nichts Gutes für die kommenden Stunden. „Wenn unsere Leute hinausschießen, bekommen wir ein paar Stunden später die Antwort“, heißt es hier.

Der Krieg ist seit Samstagnacht nach Donezk zurückgekehrt. Freilich, er war nie ganz weg, trotz offizieller Waffenruhe, trotz des Minsker Friedensplans. Aber zuletzt war es relativ ruhig gewesen. Gefechte zwischen Armee und Separatisten fanden nur noch in den Dörfern rund um den zerstörten Flughafen statt. Der Vorfall illustriert, wie schnell örtlich begrenzte Gefechte mit Handfeuerwaffen und Mörsern erneut eskalieren können – ausgerechnet zu den Mai-Feiertagen.

„Wir hatten gerade wieder begonnen, uns zu entspannen“, erzählt Iwanowna. „Wir haben längere Spaziergänge gemacht, Frauen trauten sich mit Kinderwägen hinaus.“ Iwanowna hat ihr kurzes Haar in Form gebracht, auf den Lippen zartes Violett aufgetragen. Nichts deutet äußerlich auf den Schrecken der letzten Stunden. Doch die 65-Jährige hat die vergangene Nacht im Keller verbracht.

Samstagnacht um 22.40 Ortszeit begann der schwerste Beschuss auf Donezk seit der im Februar geschlossenen Feuerpause. Ersten Informationen zufolge kamen in der Stadt keine Menschen ums Leben. Armeesprecher Andrej Lyssenko berichtete von einem getöteten Soldaten in der Ostukraine und sechs Verwundeten. Die prorussischen Behörden in Donezk beschuldigten die ukrainische Armee, die Stadt beschossen zu haben. Aufklärung könnte eine Krateranalyse der OSZE bringen, deren Beobachter gestern vor Ort waren. „In den vergangenen Tagen ist die Lage um den Hotspot Flughafen eskaliert“, sagt Michael Bociurkiw, Sprecher der Beobachtermission, zur „Presse“. Laut Bociurkiw waren Samstagnacht auch schwere Waffen im Einsatz, die laut Plan eigentlich längst hätten abgezogen werden sollen.

Auch Schulgebäude getroffen

Die Stadtverwaltung Donezk listete mehr als 20 beschädigte Objekte auf, größtenteils Wohnungen, ein Supermarkt, eine Schule. Vor dem dreistöckigen Schulgebäude haben sich Passanten versammelt, filmen die Treffer mit ihren Handykameras. Das Dach ist eingesackt, im linken Flügel des Ziegelgebäudes ist ein Geschoß eingeschlagen, Schutt und Scherben liegen auf dem Boden. Auch der zwölfjährige Dima und der elfjährige Nikita sind gekommen, sie sind Schüler hier. „Unser Biologiekabinett wurde getroffen“, sagt Dima. In nächster Zeit wird es wohl keinen Unterricht geben können. Doch die beiden freut das nicht. Dima hebt einen Granatsplitter von der Erde auf. Früher, als der Beschuss auf Donezk begann, sagt er, habe er diese Teile gesammelt. Jetzt nicht mehr. „Wir haben schon genug vom Krieg.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2015)

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