Die ÖVP gab sich eine neue Verfassung

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Die Partei will jünger, weiblicher und zeitgemäßer werden. Die Verfechter eines Mehrheitswahlrechts scheiterten - an einer einzigen Stimme.

Es ist vollbracht: Nach zwei Jahrzehnten hat sich die Österreichische Volkspartei ein neues Grundsatzprogramm und zudem ein neues Statut gegeben. Beim Bundesparteitag in Wien stimmten am Dienstagabend 289 der anwesenden Delegierten für die Neuerungen, nur drei dagegen.

Im Programm, das die Partei insgesamt „junger“, „weiblicher“ und „zeitgemäßer“ machen soll, fand zuletzt unter anderem ein „Bekenntnis zum Bargeld“ Platz: In einem Antrag hatte VP-Staatssekretär Harald Mahrer betont, dass bei einer Abschaffung des Baren es „mit der Freiheit der Bürger vorbei“ sei.

Zwei Tage lang, am Dienstag und Mittwoch, saß und sitzt die VP in der Wiener Hofburg zusammen, um über ihre Verfassung abzustimmen. 20 Jahre lang galt die bisherige bereits. Zu lang, hatte Generalsekretär Gernot Blümel befunden. Er arbeitete in den vergangenen Wochen und Monaten einen Text aus – nachdem im „Evolutionsprozess“ Mitglieder und Sympathisanten zu ihren Ideen befragt worden waren. Über das Ergebnis durften rund 420 Delegierte Punkt für Punkt entscheiden – elektronisch, mittels eines Abstimmungsgeräts, das an eine Fernbedienung erinnerte. Für unschlüssige oder weniger aufmerksame Delegierte gab die Wahlkommission im Vorfeld Wahlempfehlungen ab. Ausnahme: die Abstimmung über das Mehrheitswahlrecht.

Und da gab es für jene, die das gefordert hatten – vor allem VP-Außenminister Sebastian Kurz –, eine extrem knappe Niederlage. Man konnte sogar verstehen, dass Kurz und Co., darunter Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, das Ergebnis zuerst missverstanden, beide klatschten und jubelten mit der Menge der vor allem jungen Funktionäre: 249 Delegierte hatten für den Antrag der Jungen Volkspartei gestimmt, 130 dagegen. Im Kopf war es stante pede schwer nachzurechnen, aber es war eine Niederlage für die Jungen: 249 Delegierte waren 66,58 Prozent der Stimmen – weniger als die benötigte Zweidrittelmehrheit von 66,66 Prozent. Um eine (!) Stimme hatte JVP-Chef Kurz sein Ziel verpasst.

Khol liebt Kurz

Das war bitter. Denn bei dem Antrag handelte es sich ausgerechnet um das Thema „minderheitenfreundliches Mehrheitswahlrecht“: Demnach sollte die stimmenstärkste Partei die Hälfte der Mandate minus eines bekommen. Dadurch würden die Kleinparteien gestärkt, da die erstplatzierte Partei zur Mehrheitsbildung auf die Unterstützung einer Partei angewiesen wäre.

Die Enttäuschung auf JVP-Seite bedeutete Jubel beim Seniorenbund: Obmann Andreas Khol lieferte sich ein leidenschaftliches verbales Duell mit Kurz. Das minderheitenfreundliche Mehrheitswahlrecht sei „ein heißer Eislutschter, das gibt's nicht“. Damit auch kein Zweifel an seiner Ablehnung bleiben konnte, sagte er es auch noch deutlicher: „Das ist ein Blödsinn.“ Bei der vergangenen Nationalratswahl hätte die SPÖ 40 Mandate dazubekommen, die ÖVP 20 Mandate verloren. „Wollt ihr das?“, fragte Khol beschwörend in die Runde. Und versuchte dann aber doch, versöhnlich seine Rede abzuschließen: „Ich liebe Sebastian Kurz. Und ich liebe die JVP.“ Aber eben nicht jede ihrer Ideen.

Der Außenminister versuchte im Vorfeld ebenfalls, die Delegierten zu überzeugen: „Wir haben die Riesenchance, die nächsten Wahlen zu gewinnen. Daher können wir guten Gewissens für das Mehrheitswahlrecht stimmen.“ Auch Landeshauptmann Josef Pühringer sprang ihm bei: „Aus oberösterreichischer Sicht würde ich einen Bonus für den ersten Platz nicht ablehnen“, meinte er.

Diesmal keine Personalentscheidung

Parteichef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner war jedenfalls froh, dass zumindest über seine Funktion an diesem Tag nicht diskutiert wurde. „Seit 2003 ist das der erste Parteitag, der vom Parteichef eröffnet wurde“, meinte er. „Alle anderen waren welche Parteitage? Solche, an denen es Debatten und Personalentscheidungen gegeben hat.“ Es spreche für die derzeitige Situation, dass er die erste Rede an diesem Tag halten dürfe, meinte er selbstbewusst.

Da die Stimmung in der ÖVP sich in diesem Punkt aber schnell ändern kann, hat er auch eine Prise Selbstironie eingebaut. In Südtirol wurde vor einigen Monaten über eine Funktionszeitbeschränkung diskutiert. „Wir brauchten aber eher eine Garantie“, meinte Mitterlehner dazu. Bei der Gelegenheit gratulierte er gleich Markus Wallner zur kürzlichen Wiederwahl zum Vorarlberger Parteiobmann – seit dem Krieg ist er der vierte. Und in Niederösterreich gebe es „gefühlt einen“ in dieser Zeit, fügte er launig hinzu. Der eine – also Erwin Pröll – stieß allerdings erst am Nachmittag zum Parteitag hinzu.

Veränderungen (was Inhalte betrifft, nicht Personen) seien nun jedenfalls notwendig, meinte Mitterlehner. Aber ohne das Alte „über Bord“ zu werfen: „Denn das Alte hat uns zum Erfolg geführt.“ Das neue Programm ist aus seiner Sicht jedenfalls „weitgehend“. Vor allem im Vergleich mit den anderen Parteien sei die ÖVP „durchaus revolutionär“, meinte der Vizekanzler. Das Motto des Parteitags – „Wir sorgen für Bewegung“ – sei also „nicht nur ein Fitnessprogramm“.

Auch Frauenquote beschlossen

Das inoffizielle Motto der Veranstaltung war allerdings ein anderes: „Black Is Back“ druckte die Partei auf die Stoffsackerln, die es am Eingang für die Funktionäre gab. In welchem Zeitraum die Volkspartei genau weg gewesen war, verriet man nicht. Ex-Parteichef Michael Spindelegger zeigte sich in der Hofburg jedenfalls nicht.

Bis zum späten Abend stimmte die Volkspartei über einzelne Themen ab. Unter anderem winkten die Delegierten eine Auslaufklausel für Gesetze und Verordnungen („Sunset-Legislation“) durch. Demnach sollen Gesetze und Verordnungen innerhalb von fünf Jahren auf ihre Sinnhaftigkeit und ihr Deregulierungspotenzial hin überprüft werden. Liegen keine Gründe für die Beibehaltung der Maßnahmen vor, treten diese automatisch außer Kraft.

Beschlossen wurde unter anderem auch eine 40-prozentige Frauenquote in allen gewählten Gremien der VP und die Verkleinerung des etwa 40 Personen umfassenden VP-Bundesparteivorstandes. In diesem sollen künftig nur noch die Obleute der Landesparteien und Teilorganisationen sein, Minister der VP oder Nationalratspräsidenten nicht; dafür sind die Hinauskomplimentierten in der neuen Bundesparteileitung vertreten.

(ib/APA)

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