Grenzen der Pflege: Wenn Opa weggesperrt wird

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Selbstbestimmtes Altern als heikler Balanceakt: Ruhigstellen durch sedierende Medikamente und Psychopharmaka wird zunehmend zum Problem in der Pflege. Grund dafür sind unter anderem personelle Engpässe.

Haibach ob der Donau. Darf eine 86-jährige Frau mit Alzheimer das Bett in ihrem Pflegeheim verlassen? Oder ist das Risiko zu groß, dass sie stürzt und sich verletzt? Es sind solche Entscheidungen in der praktischen Arbeit in Pflegeheimen und für Angehörige, die sich angesichts der steigenden Lebenserwartung zunehmend stellen. Rechtlich ist das eine Gratwanderung zwischen der Freiheit des Einzelnen und der Abwehr von Gefahren.

Mit dieser Problematik setzen sich derzeit Experten bei der Tagung der Juristenkommission zum Generalthema „Autonomes Altern?“ auseinander. Eines hat sich dabei herauskristallisiert: Während es früher oft um das Anbringen von Seitengittern am Bett von Heimbewohnern und Fixierungen gegangen ist, rückt zusehends das Ruhigstellen unruhiger oder gar rabiater Menschen durch sedierende Medikamente und Psychopharmaka in den Mittelpunkt und damit die Frage, wann da eine – unzulässige – Einschränkung der Freiheit beginnt.

Hintergrund ist unter anderem, dass in Alters-, Pflege- und Behindertenheimen ältere Menschen, auch wegen fehlenden Personals, nicht selten schon am späten Nachmittag schlafen gelegt oder zeitig in der Früh gewaschen werden. Auf die Grenzen der Selbstbestimmung machten am Freitag bei der Juristentagung in Haibach ob der Donau (Bezirk Eferding) sowohl der Innsbrucker Universitätsprofessor Michael Ganner als auch Susanne Jaquemar vom Verein Vertretungsnetz aufmerksam. Das sorgt für Konfliktstoff, denn dabei ecken die Vertreter der Heimbewohner auch bei den Heimleitungen an. „Wir müssen lästig sein“, so Jaquemar. Ganner bilanzierte allerdings, dass sich durch die Regelungen im Heimaufenthaltsrecht in den vergangenen Jahren „sehr viel getan“ habe und es eine „positive Entwicklung“, was das Abstellen von Mängeln etwa durch Fixierungen von Heimbewohnern betrifft, gegeben habe. Aber auch er strich speziell neue Herausforderungen durch die medikamentöse Behandlung hervor: „Da gibt es einiges zu tun.“

Notwendige Klärungen seien außerdem nicht auf Heime beschränkt. Es brauche auch mehr Beratung für Angehörige, die Menschen daheim betreuen. Diese Personengruppe sei oft verunsichert. Das gelte etwa für den Fall: „Wenn Angehörige sagen: ,Wenn du den Opa einsperrst, klage ich dich.‘“

Um die Grenze zwischen Bevormundung und Selbstbestimmung geht es auch, wenn für Personen mit psychischen und intellektuellen Beeinträchtigungen ein Sachwalter bestellt wird. Justizminister Wolfgang Brandstetter hat eine Reform des Sachwalterrechts angekündigt. Die Fälle haben deutlich zugenommen: von rund 30.000im Jahr 2004 auf 60.000 im Vorjahr.

Sachwalter: Brineks Zweifel

Im Rahmen der Tagung wies Volksanwältin Gertrude Brinek darauf hin, dass sich die Beschwerden gehäuft haben, sodass „ich nicht mehr wegschauen konnte“. Ein Hauptproblem: Für viele Betroffene wird gleich eine Sachwalterschaft für alle Angelegenheiten angeordnet. Brinek zieht wie Experten diese Praxis in Zweifel: „Wir werden nicht von heute auf morgen einen Sachwalter in vollem Umfang brauchen.“ Und weiter: „Einmal besachwaltet – und man kann nicht mehr heraus.“ (ett)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2015)

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