Gesundheitspolitik: Dürfen AKH-Ärzte überhaupt streiken?

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Am Freitag beginnt die Abstimmung der AKH-Ärzte über einen Streik. Sollte das Votum für einen Arbeitskampf ausfallen, stellt sich die Frage nach den arbeitsrechtlichen Folgen.

Wien. „Würden Sie sich an einem Streik beteiligen, um die Forderungen durchzusetzen?“ Über diese Frage werden ab Freitag bis kommenden Mittwoch die 1923 wahlberechtigten Mediziner des Wiener AKH abstimmen. Das Ergebnis der elektronisch durchgeführten Abstimmung soll am 28. Mai vorliegen. Grund für diese Maßnahme ist der andauernde Konflikt zwischen der Medizinischen Universität und dem AKH-Betriebsrat um die Umsetzung des neuen Arbeitszeitgesetzes.

Sollte die Entscheidung für einen Arbeitskampf ausfallen – was nicht unwahrscheinlich ist –, werden in Österreich zum ersten Mal Spitalsärzte ihre Arbeit niederlegen und streiken. Über die möglichen arbeitsrechtlichen Konsequenzen können sie sich auf der Seite www.akhstreik2015.at informieren.

Vertragsbruch oder nicht?

Die Zugriffszahlen waren vom ersten Tag an sehr hoch, was die Verunsicherung der Ärzte verdeutlicht. Sagte doch Medizinrechtsexperte Wolfgang Mazal vom Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien in einem aktuellen Interview mit medonline.at auf die Frage, ob „Maulkorberlässe“ für die Arbeitnehmer in Spitälern rechtens seien: „Ja. Ein Dienstgeber kann seinem Dienstnehmer verbieten, Interna nach außen zu tragen. Die Konsequenz bei Verstoß gegen den Maulkorberlass könnte Entlassung sein, so wie auch bei Arbeitsniederlegung. Für den einzelnen Arbeitnehmer ist Streik als Arbeitsverweigerung Rechtsbruch, so wie auch ein Verstoß gegen einen Maulkorberlass Rechtsbruch ist.“

Eine Meinung, mit der er unter Arbeitsrechtsexperten in die Minderheit gerät. „Diese sogenannte Trennungstheorie, die von Herrn Mazal vertreten wird, war jahrzehntelang bestehende Lehre in Österreich, gilt aber durch drei maßgebliche Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus den Jahren 2008 und 2009 und zwei des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2007 als überholt“, sagt Klaus Firlei vom Fachbereich für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Uni Salzburg. „Man kann also von einem Ende der Trennungstheorie sprechen. Diese Meinung vertreten fast alle Experten, die sich in der arbeitsrechtlichen Literatur dazu geäußert haben.“

Jenen Urteilen zufolge gibt es ein explizites Recht auf Arbeitskampf, der EuGH sprach sogar von einem „Gemeinschaftsgrundrecht“. Demnach bedeutet ein Streik keinen individuellen Vertragsbruch und darf keine Sanktionen wie etwa Disziplinarmaßnahmen, Kündigung oder Entlassungen zur Folge haben. „Sogar die Androhung von solchen Maßnahmen ist nicht zulässig“, betont Firlei. Voraussetzung sei natürlich, dass der Streik nicht den guten Sitten widerspricht oder als politischer Streik einzuordnen ist. Auch dürften Arbeitswillige nicht bedroht werden, sich an einer Arbeitsniederlegung zu beteiligen – weder von der Arbeitgeber- noch von der Arbeitnehmerseite. Ein möglicher Streik der AKH-Ärzte, die sich für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter einsetzen, würde seiner Meinung nach die Voraussetzungen eines rechtmäßigen Streiks „in jedem Fall“ erfüllen.

„Der Oberste Gerichtshof hat sich zu diesem Thema bisher nicht geäußert – auch, weil er damit bisher noch nicht befasst war“, sagt Firlei. „Die EuGH- und EGMR-Urteile sind aber selbstverständlich auch für Österreich verbindlich.“ Ein Grund für die fehlende Rechtsprechung sei wohl, dass es hier nur ganz selten zu Streiks kommt – „und die Konflikte durch die starken Arbeitnehmerorganisationen im Vorfeld gelöst werden können“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2015)

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