An den Orten, wo niemand daheim ist

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Bus, über dessen Linienführung sehr viel diskutiert wurde, als es eigentlich um die Mariahilfer Straße ging, ist nun einige Meter länger und fasst viel mehr Menschen als früher.

Deshalb wurden auch die Intervalle verlängert. Der Bus kommt jetzt also weniger oft, ist aber genauso überfüllt, wie er immer war. Ein typischer Fall von Mengentäuschung. Man hat ja nicht immer mehr von mehr.

Bei Nutella kann man diese Theorie auch gut anwenden. Da gibt es verschiedene Größen im Verkauf. Die kleinste kann auch als Trinkglas weiterverwendet werden, ist aber so klein, dass man bei einer mittelgroßen Palatschinkenorgie mittendrin auf Marillenmarmelade umsteigen muss. Die nächste Größe verspricht Sicherheit, wird aber nicht schnell genug aufgegessen, sodass die letzten Reste keiner mehr will, weil sie eben so nach letzten Resten ausschauen. Beim riesigen Fünf-Kilo-Container, den man etwa in Duty Free-Shops oder auf italienischen Raststätten kaufen kann, geht es um pure Maßlosigkeit. Dieser Wunsch darf nie erfüllt werden; er wohnt an den Orten, wo niemand daheim ist.

Aber es gibt auch perfekte Größen: 0,3 Liter zum Beispiel. Egal, ob nun Bier oder Himbeersoda, diese Einheit ist ideal, wenn man mehr will als Durst bekämpfen und sich einem halben Liter nicht gewachsen fühlt. Zwischengrößen sind sonst ja eher schwierig. Seit die Verpackungsnormen in der EU aufgehoben wurden, werden Lebensmittel nicht mehr in den lang üblichen Größen Viertelkilo, halbes Kilo, Kilo usw. angeboten, sondern in scheinbar völlig freihändig ausgewählten Einheiten, wie etwa 423 oder 674 Gramm. Als theoretisch durchaus flexibler, aber praktisch völlig unflexibler Mensch hat man nun immer zu viel oder zu wenig von den benötigten Zutaten für Omas Rezepte.

Das sind natürlich nur minimale Anliegen. Gerade richtig ist offenbar eine erlernte Größe. Man kann vielleicht umlernen. Und statt auf den Bus zu warten auch einmal zu Fuß gehen.

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2015)

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