Mitterlehner: "Po-Grapschen als Thema nicht prioritär"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner treibt SPÖ zur Eile bei einer Arbeitsmarktreform und will eine Art Asylklausur. Die Frage einer Koalition mit der FPÖ stelle sich nach der Wahl.

Die Presse: Schon die Enttäuschung über die ÖVP-Wahlniederlagen in der Steiermark und im Burgenland verarbeitet?

Reinhold Mitterlehner: Die Ergebnisse in beiden Ländern machen sehr nachdenklich. Einerseits, weil ich der Auffassung bin, die Reformpartnerschaft in der Steiermark hat intensiv gearbeitet. Andererseits ist mir aufgefallen, dass rund um das Flüchtlingsthema diffuse Ängste vor der Zukunft bezüglich Arbeitsplatz und Sicherheit offensichtlich geeignet waren, Wahlen mitzuentscheiden.

Wie viel nehmen Sie auf Ihre Kappe?

Es ist immer Wunschdenken, genau aufteilen zu können, was Landes- und Bundesanteil war. Wir haben eine allgemein schwierige Situation für Politik – in ganz Europa. Der Bürger ist nach Jahrzehnten der Wohlstandsgewinne überfordert, mit Krisen und Zukunftsängsten selbst umzugehen. Da ist die Politik teilweise selbst schuld, weil man den Bürgern über Jahre vieles abgenommen hat.

Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Vieles ist nur gemeinsam mit den Bürgern realisierbar. Auch die Flüchtlingsproblematik.

Sie haben gemeint, das Asylthema müsse besser erklärt und kommuniziert werden. Zugleich lehnen rote und schwarze Landes- und Gemeindepolitiker Quartiere ab.

Das betrifft eine gesamteuropäische Problemsituation für die nächsten Jahre. Wir sind nicht nur mit Flüchtlingen aus Krisengebieten konfrontiert, sondern beinahe mit einer als Völkerwanderung zu bezeichnenden Situation. Das kann nur durch gesamteuropäische Solidarität mit Quoten in Europa bewältigt werden. Man muss zweitens überlegen, wie viel man mit dem UNHCR abfangen kann . . .

Das würde bedeuten: Lager in Afrika.

Es geht um Auffangmöglichkeiten mit guter Qualität, um zu prüfen, wo wirklich Asyl notwendig ist. Die dritte Ebene ist in den Regionen. Dort muss man der Bevölkerung erklären, das man gemeinsam vorgeht.

Oberösterreichs ÖVP schlägt vor, es müssten alle Beteiligten das Asylthema in einer Art Konklave oder Klausur beraten.

Ich finde richtig, dass man das tut. Ich würde das gar nicht medial ankündigen.

Aber schon eine Art Klausur?

Ob man das als Klausur oder als Konklave bezeichnet, wichtig ist, dass es Ergebnisse gibt und nicht nach dem Floriani-Prinzip jeder auf den anderen abschiebt. Die systematische Erfüllung der vereinbarten Quoten ist die beste Vorgangsweise.

FPÖ-Vorschläge sind kein Lösungsansatz?

Ich habe von der FPÖ keine wirklichen Vorschläge gesehen, außer, dass man jetzt Parolen verkündet, die lauten: „Wohnungen statt Moscheen“ und „Fremd im eigenen Land“. Das ist keine Problemlösung, sondern Aufschaukeln und Angstmachen.

Die steirische ÖVP wird auch Gespräche mit der FPÖ führen. Sind Sie als ÖVP-Obmann dafür, dass die ÖVP mithilfe der FPÖ den Landeshauptmann zurückholt?

Jeder entscheidet selbst, mit wem er Gespräche führt. Nachdem es sich um demokratische Ergebnisse nach demokratischen Wahlen handelt, habe ich nichts gegen Gespräche einzuwenden.

Auch nichts gegen eine Koalition?

Das Ergebnis der Gespräche muss die jeweilige Landespartei selbst beurteilen. Wir haben das Prinzip der Nichteinmischung über Jahrzehnte gepflegt.

Ist die FPÖ auf Bundesebene mit Obmann Strache regierungsfähig?

Da würde ich auf Bundesebene nicht spekulieren, sondern abwarten, was die nächste Wahl bringt. Absprechen würde ich die demokratische Fähigkeit von vorneherein gar niemandem.

Als möglicher Koalitionspartner scheidet die FPÖ trotz mangelnder Problemlösung, wie Sie zuerst betont haben, nicht aus?

Ich schließe jetzt niemandem im demokratischen Spektrum von etwas aus. Die Koalitionsfragen werden sich für uns erst stellen, wenn eine Wahl geschlagen ist.

Was würde eine rot-blaue Koalition im Burgenland bedeuten?

Das wäre eine interessant-problematische Konstellation vor allem für Wien. Das muss sich Wiens SPÖ als strategischen Konflikt mit der burgenländischen SPÖ ausmachen.

Zu den diffusen Ängsten: Warum ist es nach dem Wechsel in der ÖVP im Vorjahr und im SPÖ-Regierungsteam seither nicht gelungen, die Ängste abzubauen?

Weil keine Effekte von Personen von sich aus wirken. Es muss konkrete Politik umgesetzt werden. Wir haben die Grundproblematik, dass in Österreich jeder Reformen möchte, bei der Umsetzung dann aber die Reform immer beim Kollegen, beim Nachbarn beginnen und enden sollte, nicht bei den Betroffenen. Problemlösung kann nicht durch Zauberkunststücke gelingen, sondern unter Beteiligung der Bürger selbst. Die ÖVP versucht die Einbeziehung der Bürger mit dem Parteiprogramm.

Stichwort Reform: Auf dem Arbeitsmarkt ist Österreich bei der Arbeitslosenquote zurückgefallen. Was muss sich ändern?

Im Endeffekt führt an Reformen, die teilweise einen unbequemen Hintergrund für den Einzelnen haben, kein Weg vorbei. Das gilt für den Arbeitsmarkt und das Pensionssystem. Der Hinweis, wir hätten in Krems vereinbart, dass wir uns im Februar 2016 mit dem Pensionsthema beschäftigen, ist zwar richtig. Aber damit haben wir keine Denkpause eingelegt, sondern wir müssen daran arbeiten. Da sollen Ergebnisse vorgelegt werden. Das unterscheidet uns vom Koalitionspartner. Dieser stellt sich das so vor, als ob wir das Thema damit verräumt hätten.

Für den Arbeitsmarkt ist schon ein Gipfel angekündigt. Was will die ÖVP?

Wir wollen betriebnah und zeitnah Aktivitäten setzen: Das heißt wie in Deutschland „early intervention“, um möglichst schnell wieder einen Arbeitsplatz zu erhalten.

Was ist mit strengeren Zumutbarkeitsbestimmungen?

Das ist nicht unser erster Ansatzpunkt, weil das sofort wieder zu einer ideologischen Diskussion führt. Wir haben Probleme bei den Schulungsmaßnahmen, die teilweise so attraktiv sind, dass sie sogar den Gang in die Arbeitslosigkeit veranlassen.

Sie wollen das Reformtempo steigern. Rechnen Sie, dass Bundeskanzler Faymann und die SPÖ jetzt mehr bremsen?

Das hoffe ich nicht. Die vorrangige Aufgabe der Regierung muss darin liegen, beim Arbeitsmarkt anzusetzen. Wenn wir jetzt Themen aufgreifen, wie Magermodelle, Po-Grapschen oder keine Lebensmittel wegzuwerfen, sind das nicht grundsätzlich falsche Themen. Aber diese Themen sollten wir nicht alleinig und prioritär bearbeiten.

Wenn Faymann und die SPÖ nicht mitziehen, was passiert dann?

Dann werden es beide Regierungsparteien schwer haben, bei den Wahlen zu reüssieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.