Nudging: "So klug sind wir nicht"

David Halpern
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David Halpern, Leiter des britischen "Behavioural Insight Teams", gilt als Vorreiter des Regierens durch Anreize. Der Sozialpsychologe wirbt dafür, staatliches Handeln wissenschaftlich auf seine Wirkung zu testen.

"Die Presse": Geht es bei Nudging mehr um Wissenschaft oder mehr Hausverstand? Vieles, was sie tun, klingt sehr simpel.

David Halpern: Das Ergebnis wirkt zwar so, als ginge es bloß um Hausverstand, aber dahinter stecken vierzig, fünfzig Jahre Forschung, die wir seit fünf Jahren sozusagen konkret auf die Realität anwenden. Wir versuchen ein realistischeres Bild davon zu entwickeln wie Menschen entscheiden und was sie motiviert, und dann versuchen wir Maßnahmen der Politik und Verwaltung darauf abzustimmen.

Wie entwickelt man eigentlich einen Nudge?Das kann manchmal sehr schnell gehen - im Zuge einer einzigen Unterhaltung. Wenn man Politiker berät, wollen die ja oft rasch eine Antwort. Andere Projekte dauern lange, zum Beispiel unsere Arbeit für das Arbeitsmarktservice, wo wir versucht haben die Rate der Jobvermittlungen zu steigern. Hier haben die Entwicklung und die Tests Monate gedauert Aber bei jedem Nudge geht es im Wesentlichen um dasselbe: Darum, die Perspektive der Bürger, der Anwender einzunehmen, statt von Westminister aus auf ein kompliziertes System herabzublicken.

Weil Sie Test sagen: Wird jeder Nudge nach wissenschaftlichen Standards auf seine Wirksamkeit geprüft?

Ja. Unsere Arbeit hat zwei Seiten: Einerseits geht es darum, Regeln zu machen, die auf einem realistischeren Menschenbild beruhen. Andererseits sind wir quasi hyper-empirisch. Wo immer es möglich ist, testen wir systematisch. Unsere Unit hat allein in den vergangenen zwei Jahren über 150 Testläufe gemacht . Bei der Jobvermittlung haben wir zunächst eine Hypothese entwickelt, wie wir die Zahl der Vermittlungen steigern können. Dann haben wir mit randomisiert kontrollierten Studien alle Varianten der Maßnahme abgetestet. Das müssen wir, denn was im Labor funktioniert, muss noch lange nicht in der Realität klappen. Es gibt so viele Einflüsse - was im menschlichen Kopf vorgeht, ist letztlich ziemlich kompliziert

Wie wichtig ist das Testen für Sie?

Ich würde sagen, es ist fast das Wichtigste an unserer Arbeit und immer mehr Regierungen beginnen das ähnlich zu sehen: Auch wenn sich Regierungen nicht für Verhaltenspsychologie interessieren, sollten sie zumindest Experimente und Tests durchführen. Warum um alles in der Welt glauben wir, wir wären so clever, dass wir auf einem Sessel im Regierungsbüro die beste Art erfinden könnten, einen Brief an säumige Steuerzahler zu formulieren, der für alle Bevölkerungsschichten funktioniert. So klug sind wir nicht. (Anm.: Die Nudge-Unit schaffte es durch einen zusätzlichen Satz in den Mahnschreiben an säumige Steuerzahler, die Einnahmen um fünf Prozent zu steigern. Man wies einfach darauf hin, dass die Mehrheit ihre Steuern pünktlich zahlt)

Warum testen Regierung und Verwaltung Maßnahmen eigentlich so selten?

Gute Frage. Darüber wundern sich viele, wenn sie einmal darüber nachdenken. Doch es gibt tief verwurzelte kulturelle Faktoren, die dagegen arbeiten Die legislative und rechtliche Expertenwelt denkt eben anders. Ein Gesetzgeber testet nicht drei Varianten eines Gesetzes ab, er verabschiedet es einfach. Tatsächlich steht in vielen Ländern dem Ausprobieren von Regeln auch ein massives rechtliches Hindernis entgegen, nämlich das Grundprinzip der gesetzlichen Gleichbehandlung. Aber es geht ja nicht immer gleich um Gesetze: Wenn Ihnen ein Arzt Pillen verschreibt, dann nehmen Sie zu Recht an, dass diese getestet wurden. Aber wenn Sie Ihr Kind in die Schule schicken, warum glauben Sie, dass die Art, wie dort Mathematik unterrichtet wird, die beste Art ist, Mathematik zu unterrichten?

Vielleicht auf Grund der Erfahrung der Lehrer?

Ja, mag sein. Aber würden Sie Erfahrung als Begründung für Medikamente durchgehen lassen?

Immer alles zu testen ist aber teuer, oder?

Es muss gar nicht teuer sein. Nehmen Sie unser Beispiel mit den Briefen an säumige Steuerzahler: Es ist nicht besonders aufwendig, bei einigen tausend Briefen Variationen der Formulierung auszuprobieren und zu schauen, worauf die Leute wie reagieren, zumal die Quote derer, die zahlen oder auch nicht, ohnehin erhoben wird. Da Regierungen zunehmend digital mit den Bürgern kommunizieren, wird das Abtesten künftig auch noch leichter.

Wenn ich von Reaktionen unserer Leser ausgehe, dann vermute ich, dass man in Österreich Nudging eher skeptisch gegenübersteht. Vielleicht weil der Eindruck entsteht: Man gehorcht hier, ohne zu wissen, dass man gehorcht. Verstehen Sie diese Skepsis?

Ja, weil es in Großbritannien - und noch stärker in den USA - ähnliche Ängste vor Manipulation gab. Vor allem in den USA ist man der Meinung, dass Nudges vor allem die Auswahl an Optionen erhöhen sollte und nicht einschränken darf. Und das wollen wir ja auch. Nehmen wir das Beispiel mit den Betriebspensionen: Statt dass sich die Leute aktiv anmelden müssen, dreht man es eben um: Man muss sich abmelden. Das heißt: Man hat dieselbe Wahlfreiheit wie vorher, es wird einem nur leichter gemacht, dabeizubleiben. Das ist überhaupt das fundamentale Prinzip des Nudging: Es den Leuten leicht zu machen. Natürlich war es auch vorher schon nicht schwer, sich für die Betriebspension anzumelden, aber es war langweilig - langweilige bürokratische Arbeit.

Sie habe Ängsten erwähnt.Hat sich die Stimmung punkto Nudging - es gibt ja auch Kritik - in Großbritannien in den vergangenen Jahren sehr verändert?

Ja. Das erste Mal haben wir es vor zirka zehn Jahren in der Ära von Tony Blair ausprobiert. Es gab schlechte Reaktionen: in der Presse, in der Bevölkerung (siehe nebenstehender Artikel). Blair nahm dann Abstand davon. Die Cameron-Regierung nahm die Idee dann wieder auf, aber der Kontext war ein anderer: Während in der Ära Blair die Leute skeptisch waren, weil die Regierung viele neue Ideen hatte und sich auszubreiten schien, geht es nun um etwas anderes: den schlanken Staat. Diese Regierung will Nudgimg teilweise dafür nutzen, um Regulierungen zurückfahren und um Geld zu sparen - sie fährt ja ein Austeritätsprogramm. Das fühlt sich für die Bevölkerung anders an.

Was glauben Sie, hätte eigentlich Churchill von Nudging gehalten?

Ich glaube, er hätte das Potenzial erkannt. Die meisten intuitiven Politiker haben Nudging ohnehin immer benutzt. Es sind eher die großen administrativen Apparate, die nach seiner Ära entstanden sind, die damit ein Problem haben, weil sie etwas von der Menschlichkeit aus dem politischen System herausgequetscht haben.

Was würden Sie Österreich empfehlen, wenn es eine ähnliche Nudge-Unit aufbauen will?

Dass man seine Kämpfe vorsichtig wählen soll. Man sollte sich als Pilotprojekte solche aussuchen, von denen die Menschen konkret profitieren. Solange man abstrakt über Nudging redet, wirkt es mysteriös und gefährlich. Wenn die Leute konkrete Beispiele sehen, die für sie Sinn ergeben, ändert sich das. Es besteht ja auch die Möglichkeit, die Öffentlichkeit einzubeziehen: Das wurde bei den Betriebspensionen auch gemacht - es wurde abgefragt, ob die Leute lieber eine Opt-in- oder eine Opt-out-Variante haben. Die Öffentlichkeit hat hier der Politik quasi die Änderung der Einstellung erlaubt. Generell hat es Österreich natürlich jetzt leichter: Sie können auf unseren Erfahrungen aufbauen.

In Grobritannien wird es bekanntlich ein EU-Referendum geben. Könnten Sie die Leute "nudgen", damit Sie für einen Verbleib in der EU stimmen?

Bei diesem Thema wird sowieso schon in die verschiedensten Richtungen "genudged". Das ist kein Thema für uns.

Zur Person

David Halpern leitet das britische Behavioural Insight Team (Spitzname: Nudge Unit, www.behaviouralinsights.co.uk), die 2010 gegründet und 2014 aus der Regierung ausgegliedert wurde.  Von 2001 bis 2007 war Halpern Chefanalyst der Strategie-Unit unter Premierminister Tony Blair. Davor unterrichtete er an der Cambridge University. Der Sozialpsychologe hat mehrere Fachbücher geschrieben,  sein nächstes erscheint diesen Sommer.

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