Bei der Mindestsicherung verstärkt die ÖVP den Druck auf Sozialminister Hundstorfer. Strengere Kontrollen gegen Missbrauch, aber auch Wiedereinsteigerbonus gefordert.
Wien/St. Pölten. Nicht nur die von der ÖVP verlangten Einschränkungen für (EU-)Ausländer bei der Familienbeihilfe (siehe Bericht unten) entzweiten die Regierungsparteien. Bei den angestrebten Änderungen der sozialen Mindestsicherung reißt der ÖVP die Geduld mit Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ). „Wir werden jetzt den Druck massiv erhöhen“, kündigt ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger im Gespräch mit der „Presse“ an, „weil das einfach ungerecht ist gegenüber den arbeitenden Menschen“.
Im Vordergrund stehen strengere Kontrollen gegen Missbräuche und als Anreiz, damit Bezieher einer Mindestsicherung rascher in den Beruf zurückkehren, ein Wiedereinsteigerbonus. Bis 827,82Euro netto pro Monat gibt es 2015 für Alleinstehende als Mindestsicherung, bis 1241,73 Euro netto für Paare, pro Kind kommen 149 Euro dazu. Insgesamt gibt es rund 240.000 Bezieher dieses Sozialgelds für Personen, die wenig oder kein Einkommen haben, gut die Hälfte davon lebt in Wien.
Hundstorfer: „Pech gehabt“
In der Koalition spitzt sich der Konflikt um die Mindestsicherung zu, weil eine Reform von Hundstorfer nach Ansicht der ÖVP verschleppt wird. Nun soll es heuer im Herbst so weit sein. Der Sozialminister hat aber beim Regierungspartner erneut die Alarmglocken schrillen lassen. Die ÖVP drängt seit Jahren auf eine bundesweite Vereinheitlichung.
Grund dafür ist, dass die ÖVP hinter den überproportional vielen Beziehern im rot-grün regierten Wien Systematik durch einen lascheren Vollzug sieht, was die Stadt bestreitet. Hundstorfer hat erst am vergangenen Freitag nach der Konferenz der Sozialreferenten der Länder in Hall in Tirol mit der Ablehnung einer Vereinheitlichung, die auch vom Rechnungshof gefordert wird, aufhorchen lassen: „Wenn der Rechnungshof will, dass die Mindestsicherung reduziert wird, dann hat er Pech gehabt.“ Jedes Bundesland habe andere Voraussetzungen.
Bemerkenswert ist allerdings, dass Wien Ende Mai eine – von Hundstorfer unterstützte – Verschärfung angekündigt hat: Für Jugendliche bis 25 Jahren wird es demnach Sanktionen geben, wenn sie keine Arbeit annehmen wollen (Arbeitswilligkeit ist eine der Voraussetzungen für den Bezug einer Mindestsicherung). Die Wiener Aktion erfolgte offenkundig mit Blick auf die Wiener Wahl im Oktober, wo Rot-Grün für ÖVP und FPÖ weniger Angriffsfläche bieten und nicht als Beschützer von „Sozialschmarotzern“ dastehen will.
Das ÖVP-Reformmodell wurde federführend vom schwarzen Arbeitnehmerbund (ÖAAB) mit Obmann Wolfgang Sobotka in Niederösterreich erarbeitet. Dieses ist Basis des beim Bundesparteitag beschlossenen Konzepts Mindestsicherung neu. Begründung laut Antrag: „Viele Menschen haben heute das Gefühl, dass viele Personen das System ausnützen, obwohl sie eigentlich arbeitsfähig wären.“
Neben verstärkter Kontrolle, bei der die ÖVP künftig die Finanzpolizei dabeihaben will, soll der Wiedereinstieg ins Berufsleben attraktiver werden. Maximal sechs Monate lang soll es eines Bonus geben, sodass Mindestsicherung und Lohn zusammen höchstens 1160Euro im Monat ausmachen. Der Hintergrund: Fällt das Sozialgeld sofort völlig weg, ist der Aktivverdienst – etwa aus einer Teilzeitarbeit – sonst niedriger als die Mindestsicherung, was nicht zur Rückkehr in einen Job anspornt.
Grüne wollen 14-mal auszahlen
Hundstorfer hat zuletzt signalisiert, mit Sachleistungen (für Energiekosten, Schulungen) statt Geld Missbräuche vermeiden zu wollen. Die Grünen gehen in eine andere Richtung. Sie haben in einem – letztlich abgelehnten – Entschließungsantrag am 20.Mai eine Ausweitung der Mindestsicherung verlangt: Diese sollte 14-mal statt zwölfmal ausbezahlt werden; es sollte einen „Anspruch auf Abdeckung der vollen Wohnkosten“ geben. „Das kann es nicht sein“, wettert Wöginger, welche Arbeitnehmer bekämen vollen Ersatz?
AUF EINEN BLICK
Mindestsicherung. Die bedarfsorientierte soziale Mindestsicherung wurde im September 2010 statt der Sozialhilfe eingeführt. Sie beträgt für Alleinstehende derzeit 827,82 Euro netto im Monat (zwölf mal), für Paare 1241,73 Euro, für Kinder mindestens 149 Euro. 2013 gab es rund 238.000 Bezieher.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2015)