Astschnitt: Es werde Licht

Baum
Baum(c) Die Presse - Clemens Fabry
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Wenn der Garten zur grünen Höhle wird, weil alles von groß gewordenen Bäumen beschattet zu werden droht, muss ein Befreiungsschlag her, dessen sanfteste Variante mittels Teleskop-Astschere erfolgen kann.

Als alter Techniker verfügt der Nachbar über mehrere, auf Keller, Hütten und sonstige Handwerkersakristeien verteilte Werkzeugarsenale, in denen die passenden Instrumente für jedwede Lebenslage nur darauf harren, hervorgekramt zu werden. Stumpfe Messer oder Spaten? Kein Problem, es gibt einen durch ein Wasserbad rotierenden Schleifstein. Stahlbeton- und Steinmauern, in die ein Loch gebohrt werden soll, für die aber jedes normale Bohrwerkzeug der reinste Hohn ist? Diamantbohrer liegen in einem Dutzend Größen und Durchmessern bereit. Ein Waagriss in komplizierter Topografie sollte her? Eine einfache Übung für denjenigen, der die Evolution der Technik von der guten alten Schlauchwaage bis hin zum selbst nivellierenden Laser lückenlos mitgemacht hat.

Auch für gärtnerische Problemstellungen jeder Art liegen so gut wie alle Instrumente bereit. Die Komposthaufen sind zum Durchwerfen reif? Her mit dem walzenförmigen rotierenden Kompostsieb. Buchsbäume müssen dem alljährlichen Formschnitt unterzogen werden? Hecken- und Strauchscheren in verschiedensten Ausfertigungen, von manuellem über Strom- bis hin zum Motorbetrieb, kommen zur Anwendung.

Doch was ist mit langsam, aber sicher gefährlich hoch und breit wachsenden Bäumen, die den gesamten Garten zu überschatten drohen und neben vielem anderen auch das Glashaus, das eigentlich sonnendurchflutet sein sollte, zu einer gründämmrige Höhle machen? Mir persönlich fiel außer Bäumekraxeln samt nicht unbedingt ungefährlicher Sägetätigkeit in vielen Metern Höhe die längste Zeit über nichts Intelligentes zur Lösung des Problems ein. Gerade die beschattenden, weil in ausladender Manier die unteren Zonen überlappenden Äste sind logischerweise die dünnsten, und an die komme ich weder von unten noch von oben heran.

Der Nachbar schüttelte angesichts meiner läppischen Schnipseleien, die ich auf Leitern wackelnd und an Ästen hängend vollzog, mitleidig den Kopf, drehte sich um, schritt zu einer seiner Gartenhütten und kehrte, wie nicht anders zu erwarten gewesen war, mit einer passenden Gerätschaft zurück. Die wirkte nur auf den ersten Blick harmlos und stellte eine etwa eineinhalb Meter lange Stange samt bärbeißiger Schere am Ende dar. Doch dann legte er einen unscheinbaren Hebel um und zog das Gerät auf eine Länge von zumindest vier Metern aus.

Ich möchte so weit gehen zu behaupten, dass dieser Moment mein Gärtnerinnenleben in ein Davor und Danach teilt. Die Teleskop-Astschere samt Seilzug tanzte mit mir quer über das Grundstück, bis bedauerlicherweise irgendwann, Stunden später, die Dämmerung einbrach. Insbesondere die ausladenden Nussbäume, unter denen bekanntlich nichts wächst, bekamen an den Rändern über den Staudenbeeten sorgfältig angebrachte Rasuren verpasst. Doch auch Haselnuss, Schlehe, Ahorn mussten Äste und Blätter lassen, und wenn ich es mir recht überlege, gäbe es noch einige weitere zurückzustutzende Kandidaten.

Der Sonnenaufgang des folgenden Tages erstreckte sich erstmalig wieder bis in das Glashaus, und ich hatte das Gefühl, manch jahrelang nicht mehr zu betretenden, sondern nur noch zu durchkriechenden Bereich meines Gartens wiedergewonnen zu haben. Da der Nachbar seine Werkzeuglust im Lauf der Jahre auch auf mich übertragen hat, war es mir ein Leichtes, die meterhohen Astberge zu beseitigen, denn ich verfüge über die segensreiche Erfindung des Asthäckslers. Die zerhackte Grünmasse darf dann wieder als Mulch unter Sträuchern und Bäumen, unter Rosen und in den wilderen Rabatten ausgebreitet werden. Das verhindert den Unkrautwuchs, hält die Erde trocken und lockt die Regenwürmer an, die den Boden besser und tiefgründiger auflockern als jedes von Menschen gemachte Gerät.

Nun, da alles – na ja, fast alles – zurückgestutzt ist, gleicht das Areal nicht, wie man vielleicht annehmen würde, dem gärtnerischen Schlachtfeld einer dem Schneidewahn Verfallenen. Auf den ersten Blick ist tatsächlich kaum ein Unterschied auszumachen, es ist nur alles etwas luftiger und heller geworden. Wunderbar!

Die Lilien, die gerade in voller Blüte stehen, dürfen wieder Sonne tanken. Die brauchen das ebenso wie Sternlauch, Herbstanemonen, Strauchrosen und die vielen anderen Staudenpflanzen, die das Schattendasein nunmehr hinter sich haben. Tatsächlich braucht man im Garten nicht allzu viele Werkzeuge, doch die, die man anschafft, sollten erster Güte sein. Als unverzichtbare Grundausstattung hat sich erwiesen: ein scharfer, schmaler Wurzelspaten, ein Pflanzspaten, ein Krampen, eine exzellente Gartenschere, eine schärfbare Ziehhacke, ein Laubrechen und ein kleiner normaler Rechen. Neuerdings auch eine Teleskop-Astschere, zumindest, wenn man keinen technikversessenen Nachbarn hat ...

Lexikon

Astschere. Die gibt es in allen erdenklichen Varianten, von der beidhändig zu bedienenden Form bis hin zu eben diesen raffinierten Teleskop-Gerätschaften. Der Schnitt erfolgt hier über einen händisch bedienten Flaschenzug.

Gartenschere. Die einen schwören auf das Amboss-System, die anderen auf sogenannte Bypass-Scheren. Erstere schneiden gegen eine fest stehende Unterlage, bei Zweiteren gleiten die Klingen aneinander vorbei.

Rebschere. Das ist die zierliche, sehr preisgünstige Schere für feine Schnitte, nicht nur im Weingarten. Für Blumenstrauß-Pflücker, feine Stauden, abgeblühte Rosen und andere Eventualitäten ...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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