Kriegsjahr 1915: Um gute Stimmung wird gebeten

Der 1. Weltkrieg - Kaiser Franz Joseph und der Krieg'
Der 1. Weltkrieg - Kaiser Franz Joseph und der Krieg'(c) ORF
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Mit dem plötzlichen Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg wird die Lage bedrohlich. Die Propagandisten haben alle Hände voll zu tun.

In unserer großen Erzählung vom Ersten Weltkrieg, die im Sommer 2014 begonnen hat, halten wir nun im Juni/Juli 1915, da sich die Wetterlage für Österreich-Ungarn entscheidend gewendet hat. Bedrohlich. Seit dem 23.Mai bekriegt das bis dahin neutrale Königreich Italien die Doppelmonarchie im Süden. Ein erbittertes Ringen ist es, weil sich Österreich schändlich verraten fühlt. Und wohl auch, weil erstmals eine bange Ahnung fühlbar ist, dass dieser Krieg für das Land und für Habsburg schrecklich enden könnte.

Indes sind die Propagandisten an allen Fronten im Einsatz. Das k.u.k. Kriegspressequartier produziert am laufenden Band heroische Gemälde vom Kriegsschauplatz, patriotische Texte der Edelfedern des Landes sollen die Moral heben, die Theater bemühen sich um gute Stimmung. Dem stehen freilich die zahlreichen Fotos von kaiserlichen Offizieren entgegen, die jede Woche in Chiavaccis „Wiener Bildern“, dem illustrierten Familienblatt, in der Rubrik „Gefallen auf dem Feld der Ehre“ veröffentlicht werden.

Die Nationalbibliothek hütet einen Fundus von über 52.000 Gegenständen und tausenden Fotos, die die einstige Hofbibliothek ab 1914 zur Dokumentation der „Großen Zeit“ gesammelt hat. Tagespresse und Behörden wurden angewiesen, Plakate, Flugblätter, Tagebücher, Vivatbände, Postkarten, Gedichte, Schulaufsätze, Zeichnungen und Fotos einzusenden, „um späteren Generationen möglichst viele Aspekte des Kriegs verdeutlichen zu können“, sagt Manfried Rauchensteiner, der die vorjährige Ausstellung in der ÖNB „An Meine Völker!“ gestaltet hat.

Ein Katalog der Fa. Schall

In diesem Kriegsjahr 1915 offeriert die Wiener Firma Max Schall in einem Katalog von 370 Seiten alles, was ein Soldat der kaiserlich-königlichen Armee benötigt. So penibel das Erscheinungsbild des einst hochgeachteten Militärstands durch Adjustierungsvorschriften geregelt war, so tolerant war man in der Interpretation. Man ging durchaus mit der Mode. Es gab etwa unzählige Portepees für den Säbel, auch wenn die Adjustierungsvorschrift nur eine Art kannte. Man weiß, wie allergisch Franz Joseph reagierte, wenn Offiziere dagegen verstießen („Der Zauber der Montur“, Verlag Militaria, 376 Seiten Großformat, € 49,90).

Noch dürfen die Frauen hierzulande weder in den Gemeinden, noch im Land, schon gar nicht im Bund wählen. Und gewählt werden können sie schon überhaupt nicht. Doch die weibliche Unzufriedenheit wächst, denn immer mehr Frauen müssen die Arbeit der zum Krieg eingezogenen Männer übernehmen. „Zum Wählen zu dumm – aber zur Arbeitspflicht für das Kriegführen gescheit genug“, höhnt Adelheid Popp. Die Frauenrechtlerin aus unvorstellbar einfachen Verhältnissen sollte es erst 1918 als sozialdemokratische Abgeordnete ins Hohe Haus schaffen. Bis dahin wurden ihre Geschlechtsgenossinnen kaum ernst genommen.

Bei Bertha von Suttner, die kurz vor dem Beginn des Weltkriegs starb, verband sich literarisch das Streben nach endlicher Gleichberechtigung mit flammenden Warnungen vor der Kriegsbegeisterung. Das konnte man von der berühmt gewordenen Kollegin der „Neuen Freien Presse“, Alice Schalek, wohl nicht behaupten.

„Die Schalek“ ist zwar von Karl Kraus in den „Letzten Tagen der Menschheit“ mehrmals grob karikiert worden, mittlerweile ist ihr aber Gerechtigkeit widerfahren: So einfältig und naiv war diese Kriegsberichterstatterin beileibe nicht, wie sie der Zyniker Kraus zu unser aller Vergnügen gezeichnet hat.

Nachdem Väter, Brüder, Ehemänner und Söhne eingezogen worden waren, übernahmen Frauen notgedrungen ihren Platz in Industrie, Gewerbe, Landwirtschaft und öffentlichen Einrichtungen. Sie arbeiteten zusätzlich zum Haushalt und zur Kindererziehung auch in Fabriken der Rüstungsindustrie, in der Verwundeten- und Krankenfürsorge und verrichteten schwere Feldarbeit. Dabei verdienten sie bei dreizehn Stunden pro Tag wesentlich weniger als Männer.

Der Unterhaltsbeitrag, den der Staat Familien, deren Männer in den Krieg gezogen waren, zahlte, reichte meist nicht zum Leben. Auf Selbsthilfe angewiesen, schlossen sich die Frauen in Vereinen zusammen, die Geld- und Sachspenden sammelten, Essensausgaben organisierten und Tipps für sparsame Haushaltsführung gaben, um „aus nichts etwas zu machen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2015)

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