Häupl: „Es gibt Dinge, die Führungslosigkeit vermitteln“

Michael Häupl
Michael Häupl(c) Die Presse - Clemens Fabry
  • Drucken

Der Wiener Bürgermeister, Michael Häupl, verlangt mehr Leadership in der Bundeskoalition. Und einen Investitionsschub, um die Wirtschaft anzukurbeln – vor der Nationalratswahl. Denn: „Sonst wird's ungemütlich.“

Die Presse: Herr Bürgermeister, muss man Ihnen gratulieren?

Michael Häupl: Wozu?

Sie haben eine neue Aufgabe erhalten: in der Bildungspolitik als SPÖ-Verhandler zu retten, was zu retten ist. Trotz Wahlkampfs.

Man braucht gelegentlich intellektuelle Erholungsphasen in einem Wahlkampf. Zur Sache: Schulverwaltung ist nicht das zentrale Thema. Wir müssen uns unterhalten, was unterrichtet wird, wie unterrichtet wird, wie sieht die Lehrerausbildung aus, wie die Schulorganisation. Wenn wir mit dem fertig sind, können wir über die Schulverwaltung sprechen.

Weshalb wird dann seit Jahrzehnten genau in der umgekehrten Richtung diskutiert?

Da müssen Sie jemanden anderen fragen. Da müsste ich einen Freund beschimpfen, das mache ich nicht. Es ist nicht so schwer: Der Beschluss der Landeshauptleute besagt, dass alle inhaltlichen Entscheidungen über Didaktik, Lehrerausbildung, Dienstzeit der Lehrer bis hin zur Schulorganisation Bundesangelegenheit sind. Verwaltung soll Angelegenheit der Länder sein. Dem Lehrer ist es doch völlig egal, wer den Gehaltszettel unterschreibt. Es müssen nicht vier Dienststellen sein wie zur Stunde, sondern es reicht eine. Da ist es mir vollkommen egal, ob das der Bund oder die Länder sind.

Ist es nicht Sinnbild für den Stand der Koalition, wenn zwei einfach aufstehen (Erwin Pröll, Hans Niessl; Anm.) und sagen, dass das nichts mehr wird?

Ich bin sitzen geblieben bei den Verhandlungen zur Steuerreform, und wir haben eine Steuerreform. Wir werden auch eine Bildungsreform zustande bringen.

Wo sehen Sie Bewegung? Die ÖVP bekennt sich im neuen Parteiprogramm zum Gymnasium.

In der Wirtschaft, in der Industriellenvereingung, bei manchen Ländern. Man darf sich von der Lehrergewerkschaft nicht erpressen lassen.

Es gibt eine Parallele zum Asylgipfel, auf dem es auch eine Auseinandersetzung zwischen Bund und den Ländern gab. Der Ton entspricht nicht unbedingt der Staatsräson.

Den Asylgipfel hätte es nicht gebraucht, wenn alle Länder sich so verhielten wie Niederösterreich und Wien und die Quote erfüllten.

Was halten Sie vom Vorschlag des oberösterreichischen Landeshauptmannes Pühringer, an der Grenze wieder zu kontrollieren?

Das ist ein Unfug und EU-rechtswidrig, und das weiß er auch. Ich wiederhole: Wahlkampfzeit ist Zeit fokussierter Unintelligenz.

Der geplatzte Asylgipfel fällt doch SPÖ und ÖVP auf den Kopf.

Nicht, wenn man die Dinge erledigt. Erwin Pröll und ich haben drei Tage später 150 Jugendliche aus Traiskirchen herausgeholt. Aber der Kanzler wurde aufgefordert, seine Koordinierungsfunktion wahrzunehmen. Da frage ich mich schon: Ist die Innenministerin zurückgetreten? Gibt es keinen Außenminister? Übrigens hat der Bundeskanzler nicht einmal die Richtlinienkompetenz wie in Deutschland. Es müssen die Ressortminister ihren Job erledigen.

Das Asyl überlagert alle Themen. Kann eine Partei, die das Asylgesetz ordnungsgemäß vollzieht, heute eine Wahl gewinnen?

Ja, denn das Asylthema begleitet mich, seit ich Bürgermeister bin. Dass das nicht mein öffentliches Lieblingsthema ist, liegt auf der Hand. Aber hier steh ich nun und kann nicht anders. Wenn Menschen an Leib und Leben bedroht sind, helfe ich. Ich versuche, der Rechtslage und den Menschenrechten gerecht zu werden und danach zu handeln, nicht tausend unverständliche Ausreden zu finden.

Wie beurteilen Sie die Handlungsfähigkeit einer Koalition, in der es solche Nichtergebnisse gibt wie nach dem Asylgipfel mit Schuldzuweisungen?

Hängen wir das nicht so hoch. Man hat sich an der Koalitionsspitze wieder versöhnt.

Was erwarten Sie von der Wien-Wahl außer einem guten Ergebnis?

Das wäre schon einmal gar nicht so schlecht.

Aber wird die Koalition mit den Grünen fortgesetzt?

Für so erfahren halte ich mich doch, dass ich über Koalitionen nicht vor der Wahl spreche. Ausnahme: die FPÖ. Da habe ich eine völlig klare und unemotionale Haltung: Es geht nicht.

In der SPÖ gab es zuletzt nach Rot-Blau im Burgenland eine Häufung anderer Signale.

Wenn man das nur moralisierend betrachtet, können wir uns gegenseitig moralische Papierflieger an den Kopf werfen. Ich halte ja dagegen. Ich mache eine andere Politik. Ich helfe jungen Flüchtlingen und setze mich in der Frage mit der FPÖ hart auseinander. In diesem Punkt kann ich meinem Parteivorsitzenden keinen Vorwurf machen. Der hält, und da gibt es kein Wackeln. Daher halte ich auch zu ihm.

Wo machen Sie Ihrem Parteivorsitzenden einen Vorwurf?

Ich mache ihm überhaupt keinen Vorwurf. Er ist der beste Parteivorsitzende, den wir haben.

Wie lang wird er Bundeskanzler bleiben?

Solang ihn die Bevölkerung wählt, die nächste Wahl findet 2018 statt.

Was ist mit Gerhard Zeiler, der seine grundsätzliche Bereitschaft erklärt hat, Faymann nachzufolgen?

Gerhard Zeiler und ich sind seit langen Zeiten Freunde. Er hat das so formuliert, dass man sich sehr mühen muss, zu interpretieren, dass er Kanzler werden will. In der Partei erzeugt eine Vorsitzendendebatte nur Chaos. Und daher findet sie nicht statt.

Hat nicht die Doktrin, keine Koalition mit der FPÖ zu schließen, die FPÖ stärker und die SPÖ schwächer gemacht?

Der Versuch in der Ära Schüssel, die FPÖ zu zähmen, war ein extrem temporärer Erfolg. Genau so wird es im Burgenland sein. Die werden dort den Ton so lang verschärfen, bis Niessl die Koalition aufkündigen muss.

In der Bevölkerung gibt es die Grundstimmung, dass der Wohlstand nicht leicht zu halten ist.

Angst ist immer ein furchtbarer Ratgeber. Die Angst vor sozialem Abstieg ist oft Thema, wenn ich mit Menschen spreche. Ich sehe es als Aufgabe der Politik, Angst zu nehmen, nicht diese zu schüren.

Glauben Sie, Sie würden das – sagen wir – energischer angehen als die beiden Koalitionsspitzen?

Wahrscheinlich, ja. Aber wir haben das mit der Steuerreform gut hingebracht, jetzt müssen wir einen Investitionsschub zustande bringen. Dann haben wir die Chance, dass wir in zwei, drei Jahren auf 2,5 Prozent Wirtschaftswachstum kommen. Der Stabilitätspakt stammt aus einer völlig anderen Zeit, heute wirkt er wie eine Hand- und Fußfessel. Wir brauchen einen neuen Stabilitätspakt, auch mit Erlaubnis eines strukturellen Defizits. Vor der Nationalratswahl müssen wir das hinbekommen, sonst wird's ungemütlich.

Die Wähler haben offenbar eine tiefe Sehnsucht nach Leadership. Fehlt das nicht im Bund?

Das ist vermutlich das psychologische Kernproblem.

Sie sehen das auch so?

Ich bin nicht blind und bin viel mit Leuten zusammen. Da kann man vieles inhaltlich ausräumen, dann kommt das Bauchargument. Es gibt immer wieder Dinge, die Führungslosigkeit vermitteln. Zelt-Aufstellen bei Flüchtlingen ist Sinnbild dafür, dass man mit dem Problem nicht fertig wird. Auch deswegen: Weg mit den Zelten.

ZUM INTERVIEW

Das Interview mit Michael Häupl fand im Rahmen einer Kooperation mit der „Kleinen Zeitung“, den „Salzburger Nachrichten“, den „Oberösterreichischen Nachrichten“, der „Tiroler Tageszeitung“ und den „Vorarlberger Nachrichten“
statt. [ Fabry ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Innenpolitik

SPÖ zeigt Einigkeit

Parteivorstand. Häupl stärkt Faymann den Rücken, dessen Vertrauter Gerhard Schmid wird SPÖ-Manager.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.