Asyl: "Grenze der Belastbarkeit ist bald erreicht"

BURGENLAND: ASYL -ZELTE AM GELAeNDE DER LANDESPOLIZEIDIREKTION EISENSTADT
BURGENLAND: ASYL -ZELTE AM GELAeNDE DER LANDESPOLIZEIDIREKTION EISENSTADTAPA/CHRISTIAN BRUNA
  • Drucken

Mehr Geld, mehr Quoten, mehr Freiwillige? Über Lösungen im Asylbereich diskutieren Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und der steirische Caritas-Chef Franz Küberl.

41.000 Asylwerber befinden sich in Österreich in Grundversorgung. Ist diese Anzahl in einem reichen Land mit rund 8,5 Millionen Einwohnern wirklich nicht bewältigbar?

Franz Küberl: Das ist sie schon. Das Problem erscheint größer, weil die Anzahl der Asylwerber immer stärker wächst. Und damit auch die Sorge, ob sich diese Entwicklung legt. Menschen fliehen aber nicht ohne Grund, sondern vor Krieg oder anderen Katastrophen. Es ist wichtig, dass sie Schutz bekommen.

Nicht jeder in Österreich ist dieser Meinung.

Küberl: Damit die Bevölkerung das akzeptiert, braucht es die richtigen Signale. Österreich muss öffentlich klarmachen, dass es Interesse daran hat, die Fluchtursachen auszutrocknen. Aber auch, dass es im Inland die steigenden Arbeitslosenzahlen bekämpfen will. Sonst glauben die Menschen, man kümmert sich nur um das Asylthema. Es stellt sich auch die Frage, wie die Verantwortlichen bei der Unterbringung von Flüchtlingen zusammenarbeiten. Da sind wir noch stark am Lernen.

Frau Ministerin, sind wir noch am Lernen?

Johanna Mikl-Leitner: Ich habe schon vor einem Jahr gewarnt: Wir brauchen Quartiere, Quartiere, Quartiere. Da hat noch so mancher gemeint, das sei eine politische Inszenierung – (zu Küberl)übrigens auch in deinen Kreisen. Es war aber die Vorankündigung der Situation, die wir jetzt haben. Die Flüchtlingsfrage ist lösbar, wenn alle an einem Strang ziehen. Übrigens nicht nur in Österreich, auch international. Und dazu brauchen wir eine Quotenverteilung auf alle EU-Staaten.

Küberl: Europäische Konstrukte wie der Europarat und die Europäische Union sind Schönwetterkonstrukte. Jetzt haben wir aber stürmische Zeiten – und die Staaten müssen lernen zusammenzuarbeiten. Der Lernprozess schreitet aber langsamer voran, als die Not wächst. Das ist das Problem.

Ministerin Mikl-Leitner plädierte in der Vergangenheit öfter dafür, die EU-Außengrenzen hochzuziehen. Sind Sie sich in diesem Punkt einig?

Mikl-Leitner: Das ist die Forderung. Ich bin aber auch für die Einrichtung von UNHCR-Zentren nahe den Krisengebieten, in sicheren Drittstaaten. Vor Ort soll den Menschen geholfen und überprüft werden, ob sie eine Chance auf Asyl haben. So kann man legale Wege nach Europa schaffen und Flüchtlinge fair auf alle Länder verteilen.

Küberl: Nüchtern betrachtet ist es aber so: Dort, wo der Druck zu flüchten so groß ist, helfen auch Grenzen nicht. Ein ägyptischer Caritas-Kollege hat einmal zu mir gesagt: „Dann kommen sie eben mit dem Fesselballon.“ Die Frage nach den legalen Wegen ist aber umso wichtiger. Genauso wie die Frage nach der Rückführung. Vor allem in zwei, drei Jahren werden wir verstärkt Maßnahmen dafür brauchen. Damit Menschen in ihr Heimatland zurückkehren, müssen sie die Chance haben, dort eine Existenz aufzubauen. Sonst machen sie sich am nächsten Tag wieder auf den Weg nach Europa.

Zur Quotenverteilung: Um auf EU-Ebene den Druck zu erhöhen, haben Sie, Frau Ministerin, auf eine Maßnahme im Inland gesetzt: Behörden konzentrieren sich auf Dublin-Fälle (Menschen, die über ein sicheres Land nach Österreich kommen, Anm.). Andere Verfahren werden quasi eingefroren.

Mikl-Leitner: Ich habe diese Entscheidung getroffen, weil unsere Verwaltung organisatorisch nicht in der Lage ist, derartige Dimensionen an Asylanträgen abzuarbeiten. Wir müssen einen Schwerpunkt setzen. Den legen wir auf Dublin-Fälle. Das führt automatisch zu einem Stopp bei der Bearbeitung von Neuanträgen. Man muss so ehrlich sein und sagen: Schneller geht es nicht.
Küberl: Das Dilemma dabei ist: Die Leute bleiben auf der Strecke. Ich bin mir nicht sicher, ob die Taktik der Frau Innenministerin aufgeht – und ob es so zu einer neuen EU-Strategie kommt.

Mikl-Leitner: Aber organisatorisch geht es zurzeit gar nicht anders, als sich auf eine Sache zu konzentrieren.

Küberl: Die Europäische Union muss jedenfalls zu einer gemeinsamen Vereinbarung und Strategie kommen. Das gilt übrigens auch für Österreich: Bei Naturkatastrophen haben Bund, Länder und Gemeinden die Fähigkeit zusammenzuarbeiten. Das braucht es jetzt auch in der Flüchtlingsfrage. Es gibt Bürgermeister, die sich vorbildlich engagieren. Aber denen, die nichts machen, muss man sagen: Das Versteckspiel ist der Bürgermeister unwürdig.

Mikl-Leitner: Ja, vom Florianiprinzip muss man sich verabschieden: Helfen, aber nur nicht bei mir. Mit dem neuen Asylmodell ab dem 20. Juli sind wir schon einen Schritt weiter. Jedes Bundesland übernimmt auch die Erstversorgung, Flüchtlinge werden von Anfang an fairer verteilt. In welchen Quartieren sie untergebracht werden, ist dann immer noch nicht gelöst.

Kanzler Werner Faymann hat daher beim vergangenen Asylgipfel Bezirksquoten vorgeschlagen. Wieso waren Sie dagegen?

Mikl-Leitner: Ich will mich nicht auf Detaildiskussionen einlassen. Unser nächstes Etappenziel ist Ende Juli. Bis dahin wollen die Länder 6500 zusätzliche Plätze schaffen. Derzeit haben wir eine untragbare Situation in den Erstaufnahmezentren Thalham und Traiskirchen. Wir mussten deshalb ja neuerlich Zelte aufstellen.

Küberl: Das Prinzip, jeden Bürgermeister beim Aufstellen von Quartieren zu befragen, wird auf Dauer nicht haltbar sein. Eine Zusammenarbeit innerhalb der Bezirke wäre für mich denkbar.

Mikl-Leitner: Bei der Frage nach Quartieren gibt es leider keine einfachen Antworten. Aber Gott sei Dank öffnen immer mehr Bürgermeister ihre Tore.

Sie haben aber selbst einmal Gemeindequoten vorgeschlagen. Warum lehnen Sie jetzt Bezirksquoten ab?

Mikl-Leitner: Ich habe sie nicht abgelehnt. Aber ich verstehe die Bedenken einzelner Länder. Klar ist: Die Fixierung einer Quote schafft noch keinen einzigen Betreuungsplatz. Mit einer Bezirksquote ist das Problem daher noch nicht gelöst. Die Länder wiesen ja auch auf die unterschiedlichen Voraussetzungen hin: In manchen ländlichen Gebieten ist es nicht möglich, Betten zu schaffen. Im urbanen Raum ist es dafür einfacher. Die Gefahr des gegenseitigen Ausspielens der Bezirke sei außerdem auch gegeben.

Küberl: Es ist ja auch niemandem verboten, mit einem zweiten Bezirk zu kooperieren. Auch zwischen den Bezirken, damit es zu einem Lastenausgleich kommt. Es bleibt aber die Frage, ob die Menschen verstehen, dass es eine gemeinsame Kraftanstrengung braucht. Bis die Menschen das verstehen, dauert es nur wahnsinnig lang – als wäre man verrostet. Aber die Humanität in Österreich ist nicht verrostet.

Warum dauert es dann so lang?

Küberl: Selbst bei einem altgedienten Sozialhelfer ist der erste Reflex immer: So schlimm wird es wohl nicht sein. Weil der Wunsch danach einfach da ist. Man braucht Zeit, um den Hilferuf zu verdauen. Dieser Alarmschrei sollte jetzt aber lang genug hörbar sein.

Mikl-Leitner: Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation. Täglich 300 Asylantragsteller unterzubringen ist eine enorme Aufgabe. Die kann man nicht allein bewältigen.

Haben Sie das Gefühl, dass der Alarmschrei nun gehört und auch ernst genommen wird?

Mikl-Leitner: Es herrscht noch Unsicherheit in der Bevölkerung. Man stellt sich die Frage, wie viele Flüchtlinge noch kommen. Und wo die Obergrenze liegt.

Gibt es denn für Sie eine Antwort darauf?

Mikl-Leitner: Aus meiner Sicht ist die Grenze der Belastbarkeit Österreichs bald erreicht. Zu prognostizieren, wie viele Flüchtlinge noch kommen wollen, ist aber wohl kaum möglich.

Aber es könnte ja sein, dass Sie als Ministerin eine Obergrenze ziehen würden.

Mikl-Leitner: Und dann? Es gibt die Genfer Flüchtlingskonvention, an die sich ein Rechtsstaat auch hält. Wenn jemand bei uns einen Asylantrag stellt, dann wird der auch behandelt. Ob das nun im Land ist oder an der Staatsgrenze. Diese Zahl kann man also kaum beeinflussen.

Die Frage nach der Obergrenze stellen sich dennoch viele, daher auch meine Frage.

Mikl-Leitner: Jetzt geht es vielmehr darum, Solidarität zu leben. Hier in Österreich, der EU und darüber hinaus. Kriegsflüchtlinge müssen aber auch so schnell wie möglich auf andere Staaten in Europa verteilt werden, via Dublin-Verfahren oder über eine Quote. Und Wirtschaftsauswanderer müssen wir so schnell wie möglich wieder in ihre Heimat zurückbringen.

Um die Hilfsbereitschaft in Österreich zu erleichtern, fordert die Caritas die Erhöhung der Tagsätze von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Ist das vorstellbar?

Mikl-Leitner: Wenn die Regierungsspitze sich darauf einigt, Tagsätze zu erhöhen, bin ich die Erste, die sich darüber freut. Ich kann das von meinem Budget aber nicht decken.

Küberl: Das Wort der Frau Ministerin in das Ohr aller Regierenden. Die Versorgung ist eine große Herausforderung, man kann sie nicht nur idealistisch bewältigen. Die Caritas ist zwar himmelsoffen, aber auch erdgebunden. Die Frage der Tagsätze ist wichtig. Ich wäre auch für die Einrichtung eines Bundesfonds zur Sanierung von Gebäuden, die in einigen Monaten gebraucht werden.

Mikl-Leitner: Viele Sanierungen haben wir schon eingeleitet, aber diese wird sicher noch in einer größeren Dimension benötigt werden.

Werden Sie sich bei der Regierungsspitze für mehr Geld einsetzen?

Mikl-Leitner: Wenn wir Flüchtlinge unterbringen wollen, werden wir auch mehr Geld für Dinge wie Sanierungen brauchen. Das ist allen bewusst.

Auch bei den Tagsätzen?

Mikl-Leitner: Wir haben bereits vereinbart, mit Jänner 2016 die Tagsätze (um 1,50 Euro, Anm.) zu erhöhen.

Nicht jeder scheint damit zufrieden zu sein.

Mikl-Leitner: Man muss aber auch die budgetäre Situation der Republik kennen und im Auge behalten.
Küberl: Mir würde es ja nichts ausmachen, wenn Finanzminister Hans Jörg Schelling sich in dieser Frage auch produktiv äußern würde, wie er diesen Bereich pekuniär unterstützen könnte. Ich sage das, weil ich weiß, wie das in der Regierung laufen kann: Dass Fachminister sich plagen, aber andere in der Loge stehen und zuschauen. (Schaut zu Mikl-Leitner:) Ich lasse das jetzt einfach so stehen, du musst gar nichts darauf antworten.

Mikl-Leitner: Nicht alles lässt sich finanziell lösen. Dazu braucht es vor allem auch Akzeptanz und freiwilliges Engagement.
Küberl: Aber es ist wichtig, die Menschen, die helfen können, pekuniär zu unterstützen. Dass Akzeptanz wichtig ist, schließe ich ja gar nicht aus. Im Gegenteil. Wenn die Bevölkerung Flüchtlinge kennenlernt und ein Gesicht vor Augen hat, wird gern geholfen.

Tatsächlich ist es oft so, dass die Bevölkerung in vielen Fällen sehr positiv reagiert, sobald Flüchtlinge in ihrer Gemeinde untergebracht sind. Trauen die Bürgermeister den Einwohnern am Ende zu wenig zu – und haben selbst die größte Angst?

Mikl-Leitner: Wir sehen das in allen Umfragen: Dort, wo man keinen Flüchtling kennt, gibt es auch die größten Ängste. Und dort, wo man mit Asylwerbern vertraut ist, hat man mehr Verständnis.

Trauen sich Bürgermeister also zu wenig?

Mikl-Leitner: Dass das Unbekannte irritiert, ist menschlich. Positivbeispiele zeigen aber, wie es funktionieren kann.

Küberl: Wenn eine Gemeinde Flüchtlinge aufnimmt, ist es kein Fass ohne Boden, sondern immer eine überschaubare Anzahl an Menschen. Nur weil es in einem Ort mit 2000 Einwohnern 30Flüchtlinge gibt, bricht ja das Dorfleben nicht zusammen. Das ist die falsche Ansicht. Überall dort, wo die Bevölkerung einsieht, dass Flüchtlinge Menschen mit einem Gesicht und einer Vergangenheit sind, dort entsteht auch ein anderer Umgang.

Mikl-Leitner: Es treffen Menschen mit unterschiedlichsten Kulturen zusammen, da gibt es natürlich Sorgen. Die muss man auch ernst nehmen.

Küberl: Sorgen kann man aber auch bewältigen.

zu den personen

Johanna Mikl-Leitner (51)
Seit 2011 ist die gebürtige Niederösterreicherin als Innenministerin im Amt. 1999 zog sie für die ÖVP in den Nationalrat ein, 2003 wurde sie Landesrätin in Niederösterreich.

Franz Küberl (62)
Seit Ende 2013 arbeitet Küberl als Direktor der Caritas Steiermark. Davor war der Grazer 18 Jahre lang als Präsident der Caritas Österreich tätig. Von 1976 bis 1982 leitete er das Bundessekretariat der katholischen Jugend Österreichs und war auch Vorsitzender des Bundesjugendrings.

in Zahlen

70tausend
Flüchtlinge sollen in diesem Jahr nach Berechnungen des Innenressorts nach Österreich kommen.

900Flüchtlinge
in Traiskirchen haben keinen fixen Schlafplatz – sie schlafen also im Freien.

3384Minderjährige

ohne Eltern befinden sich derzeit in Österreich in der Grundversorgung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.