Die Evolution geht immer weiter

Der Erreger der Pest unterscheidet sich nur durch ein paar kleine genetische Veränderungen von seinem eher harmlosen Vorgänger, fanden Forscher jetzt heraus.

Es war einmal ein Bakterium namens Yersinia pseudotuberculosis, das mittelschwere Darminfektionen auslöst. Irgendwann in den vergangenen 10.000 Jahren begann dieser Keim sich zu verändern, wurde zu Yersinia pestis und löste ab dem 6. Jahrhundert immer wieder schwere Pestepidemien aus (den sogenannten Schwarzen Tod). Auch heute gibt es, v. a. in Afrika, alljährlich Dutzende Pesttote.

Eine Ausrottung der Krankheit ist unmöglich, weil der Erreger nicht nur den Menschen befällt, sondern auch rund 200 andere Säugetierarten – und weil er zudem die Fähigkeit erlangte, sich mithilfe von Flöhen von einem Tier zum nächsten transportieren zu lassen. Der Ahnherr des Pest-Erregers konnte das noch nicht, er verbreitete sich nur über Ausscheidungen. Irgendwann kam es zu einer genetischen Veränderung, die die Übertragbarkeit durch Flohbisse ermöglichte. Kürzlich fanden, wie berichtet, Forscher den Grund dafür heraus: Eine Mutation des Gens ureD bewirkt, dass die Flöhe nicht mehr durch das Bakterium geschädigt werden.

Das allein machte die Yersinia-Bakterien aber noch nicht zu den tödlichen Keimen. Dazu waren zwei weitere Genveränderungen notwendig, wie diese Woche US-Forscher berichteten (Nature Communications, 30.6.): Demnach nahmen die Bakterien ein Plasmid (ein kleines ringförmiges DNA-Molekül) auf – wahrscheinlich von anderen Darmbakterien –, das den Bauplan für das Enzym PLAenthält. Dieses Eiweiß abbauende Enzym machte Yersinia pestis zu einem Erreger von schweren Lungenentzündungen, der „Lungenpest“. Dieser Stamm verursachte aber noch nicht eine andere Form der Pest, die „Beulenpest“ (geschwollene, blutunterlaufene Lymphknoten): Erst eine bestimmte Mutation im PLA-Protein – an der Stelle 259 wurde die Aminosäure Isoleucin durch Threonin ersetzt – brachte es mit sich, dass sich Yersinia pestis über den Blutkreislauf im ganzen Körper ausbreiten kann.

Aus dieser Geschichte kann man zwei Dinge lernen: Erstens führt uns die Entwicklung des Pest-Erregers deutlich vor Augen, dass die Evolution immer weitergeht und sich Arten verändern – auch wenn wir das nur in den seltensten Fällen mitbekommen. Zweitens können kleinste genetische Veränderungen ausreichen, um aus einem eher harmlosen ein todbringendes Bakterium zu machen.

Beides zusammengenommen bedeutet auch, dass es eine ständige Gefahr gibt, dass immer neue schlimme Krankheitserreger entstehen.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2015)

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