Steuerreform: Ein „Meilenstein“ als „Kieselstein“

NATIONALRAT: FAYMANN
NATIONALRAT: FAYMANN(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Die Steuerreform wurde gestern mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP, bei der Abschaffung des Bankgeheimnisses auch mit Zustimmung der Grünen, vom Nationalrat beschlossen. Das Urteil fiel geteilt aus.

Wien. Es gab an diesem Dienstag keinen besseren Ort als das Parlament. 35,2 Grad Celsius meldeten die Wetterdienste für Wiens Innere Stadt, das Hohe Haus aber war dank Klimaanlage angenehm temperiert. Man stelle sich nur vor, welche Emotionen es bei der Steuerreform-Debatte gegeben hätte, wäre zum ohnehin umstrittenen Thema noch die nervenaufreibende Hitze gekommen.

So aber verlief die fünfeinhalbstündige Diskussion zu den neun Tagesordnungspunkten, die die Steuerreform umfasste, weitgehend gesittet, gar mit „wenig Elan“, wie die Austria Presse Agentur urteilte.

Die Felder waren freilich auch schon lang abgesteckt und die Positionen bekannt. Wer von SPÖ und ÖVP die Steuerreform bisher nicht gelobt und wer von der Opposition sie bisher nicht kritisiert hat, hat auch sonst nichts zu sagen. Trotzdem standen 73 Abgeordnete auf der Rednerliste – vielleicht auch, um im besten Sinne des Parlamentarismus die anderen von den eignen Ansichten zu überzeugen. Ganz sicher aber, um verbal etwas zum wohl bedeutendsten Tag der Legislaturperiode beizutragen.

Faymann, Schelling mussten nach Brüssel

Die Neos konnten die Debatte gar nicht erwarten und widmeten ihre Aktuelle Stunde um neun Uhr – mit etwas Schlagseite – dem Thema „Steuerreform befeuert Arbeitslosigkeit“. Die Zuhörer, zu diesem Zeitpunkt waren es sieben, die in Erwartung spannender Debatten erst später kamen, hatten deshalb die wichtigsten Wortmeldungen bereits versäumt und fanden nur noch eine Regierungsbank mit Alois Stöger (SPÖ) und Andrä Rupprechter (ÖVP) vor, die für Bundeskanzler Werner Faymann und Finanzminister Hans Jörg Schelling einsitzen mussten. Faymann und Schelling mussten – nachdem sie ihre Reform gelobt hatten („Beschäftigung schaffen, Arbeitslosigkeit senken, Österreich voranbringen“) – in Sachen Griechenland nach Brüssel enteilen.

„Sie haben keinen Plan und keine Ahnung von Unternehmertum“, donnerte Neos-Chef Matthias Strolz gegen die Regierung, weil Unternehmer mit dieser Reform „nicht mehr im positiven Umfeld“ agieren könnten. Daher stellten sie keine Arbeitnehmer an, wodurch die Arbeitslosigkeit bis 2017 auf 600.000 Personen steige. Österreich entwickle sich „zum Griechenland der Alpen“.

Faymann verpasste in seiner Replik auch gleich dem Koalitionspartner einen Seitenhieb, in dessen Reihen es viele Kritiker der Registrierkasse gibt: „Wir haben großen Respekt vor Unternehmern, die ihre Steuern zahlen, eine Registrierkasse haben und sich vor einer Betrugskampagne nicht fürchten.“

Dafür gab es Applaus von den SPÖ-Mandataren, keinen von der ÖVP und später eine scharfe Antwort von ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka: „Im Gegensatz zum Bundeskanzler glaube ich, dass Unternehmer auch ohne Registrierkasse ihre Steuern bezahlt haben.“ Dafür gab es Applaus von den ÖVP-Mandataren und keinen von der SPÖ.

Auch FPÖ-Abgeordneter Herbert Kickl musste sich mit Applaus aus den eigenen Reihen für seine Wortmeldung begnügen: Die Steuerreform sei ein Paket aus „Kriminalisierung, Schikanierung und Bürokratisierung“. Sein Parteichef, Heinz-Christian Strache, legte später nach, bezeichnete die Steuerreform als „missglückt“, gab dem zwischenrufenden Jan Krainer (SPÖ) verbal eine Doppelwatsche – „Sie haben mit sozialdemokratischer Politik gar nichts mehr zu tun“, „das zeigt Ihre soziale Kälte“ – und tat die ÖVP als „ehemalige Wirtschaftspartei“ ab, weil Betriebe belastet werden würden.

2114,93 Euro mehr für Abgeordnete

Immerhin von den Grünen, die der Koalition ja die Zweidrittelmehrheit etwa für die Abschaffung des Bankgeheimnisses lieferten, gab es ein wenig Lob. Österreich stehe nicht so schlecht da wie „in den Wahlkampfreden von FPÖ und Neos“, meinte Werner Kogler. Die Steuerreform sei dennoch „kein Meilenstein, sondern ein Kieselstein“.

Den Sager des Tages lieferte Neos-Mandatar Gerald Loacker – nicht zur Steuerreform, sondern zur politischen Zukunft Werner Faymanns: Der Bundeskanzler sitze jetzt schon „nur noch auf den Sägespänen des Sessels“, den ihm seine Genossen weggesägt hätten.

Am Ende konnte niemand niemanden überzeugen. Die 5,2 Milliarden Euro schwere Steuerrerform wurde mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und teils der Grünen beschlossen. Privat dürfen sich aber auch die oppositionellen Mandatare über die Reform freuen. Jedem Abgeordneten bleiben durch die neuen Einkommensteuertarife pro Jahr 2114,93 Euro mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2015)

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