Traiskirchens SPÖ-Bürgermeister Andreas Babler kritisiert, dass das Land Niederösterreich bei der Asylfrage völlig versagt hat.
Die Presse: Traiskirchen hat mit 3900 Asylwerbern einen neuen Rekord in der aktuellen Flüchtlingswelle aufgestellt. Wie wirkt sich das auf die Stadt aus?
Andreas Babler: Die Situation ist angespannt. Es gibt viele Beschwerden, etwa über die Lautstärke in der Nacht, bei so vielen Menschen ist die Stimmung immer wie in einem Fußballstadion. Auch kommt es zu Nutzerkonflikten im öffentlichen Raum: Die Wohnbevölkerung kann keine Spielplätze mehr benützen, weil sie voll sind. Auf der anderen Seite gibt es große Betroffenheit und Mitgefühl. Insgesamt ist der Zorn auf die Innenministerin relativ groß.
Warum gibt es in Niederösterreich selbst keine Bestrebungen, Traiskirchen zu entlasten?
Das ist die Unfähigkeit und das Nichtkönnen des zuständigen Landesrats, Maurice Androsch. Übrigens ein roter Landesrat.
...also einer von Ihrer Partei.
Ja. Denn man hat natürlich freie Quartiere. Aber Maurice Androsch hat nicht viel zu sagen, wenn der Landeshauptmann (Erwin Pröll, ÖVP, Anm.) nicht mitspielt. Das ist die politische Realität hier.
Traiskirchen wird in die Aufnahmequote von Niederösterreich eingerechnet. Ansonsten würde das Land nur um die 80Prozent der Quote erfüllen und nicht, wie behauptet, über 100 Prozent.
Ja, und das ist ein totaler Schwachsinn. Niederösterreich müsste 2000 bis 2500 neue Plätze schaffen. Ohne Traiskirchen wäre es Quotenschlusslicht. Dass man dieses Spiel auf Kosten einer Stadt in Niederösterreich macht, ist fast schon Amtsmissbrauch.
In Ihrem Bundesland will man nicht mehr als zwei Prozent Asylwerber pro Ort unterzubringen.
Ja, und eine Stadt lässt man völlig dabei aus. Ich habe dem Androsch gesagt: „Dann muss man das auch für Traiskirchen machen.“ Da fehlen ihm die Argumente.
Gestern starteten die neuen Verteilerzentren. Erwarten Sie eine Entlastung?
Nur geringfügig. Die Verteilerzentren sind von vornherein mit wenig Kapazitäten ausgestattet. Niederösterreich hat in der Sache komplett versagt, weil es nicht einmal einen Standort für das Verteilzentrum gefunden hat. Wichtig wäre es, jede Räumlichkeit aufzusperren, um die Obdachlosigkeit in Traiskirchen zu beenden.
Gibt es Kapazitäten in Niederösterreich?
Sicher. Es gibt die Martinek-Kaserne hier in der Nähe, sie steht zum Verkauf. Das Landespflegeheim in Baden steht leer. Das sind nur Gebäude in der Nachbarschaft.
Aber selbst wenn Platz frei wäre: Es sind gar nicht alle in Traiskirchen zum Asylverfahren zugelassen.
Von den 3900 Leuten sind rund 1500 zum Verfahren zugelassen und damit unterzubringen. Ich glaube, man braucht jetzt wirklich eine Entscheidung für andere Erstaufnahmezentren. Mit einer Kapazität von maximal 400 Menschen.
Wie soll man die Situation lösen?
Man sieht sich die Zahlen an, schaut, was es für Verteilungsquoten, Rahmenbedingungen braucht und valorisiert das Betreuungsgeld. Es braucht Rechtssicherheit für Bürgermeister, Betreuungsstandards und Höchstzahlen für Einrichtungen von maximal 400 Leuten. Das alles muss für ein eigenes Gesetz diskutiert werden.
In der Quartierdebatte wehren sich vor allem die Bürgermeister.
Ja, weil sie keine Rechtssicherheit haben. In Thalham und in Steinhaus am Semmering– überall hat das Innenministerium Zelte oder Unterkünfte aufgemacht, ohne vorher anzurufen. Ich höre das immer wieder von Kollegen: Sie hätten nichts dagegen, Asylwerber aufzunehmen. Aber die Bürgermeister wollen eine Rechtssicherheit, dass sie nicht irgendwann ein Mini-Traiskirchen vor der Tür haben.
Das heißt, das System krankt am Misstrauen gegenüber dem Innenressort.
Ja. Die Innenministerin hat in der Hinsicht das Vertrauen der Gemeinden verspielt.
ZUR PERSON
Andreas Babler ist Bürgermeister der Stadt Traiskirchen südlich von Wien. Der 42-Jährige hat bei der Gemeinderatswahl heuer im Jänner die Vormachtposition der SPÖ im Gemeinderat auf 73,1 Prozent noch ausbauen können. Er ist wegen der Situation im überfüllten Erstaufnahmezentrum nicht nur ein scharfer Kritiker von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Vor Wochen hat er deswegen eine Demonstration vor dem Innenministerium in der Wiener Herrengasse angeführt. Ex-Juso Babler ist aber auch unzufrieden mit SPÖ-Chef Werner Faymann und daher in der Initiative Kompass SPÖ-intern aktiv. [ APA ]
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2015)