Asyl: Unterkunft scheitert am Geld

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Wien könnte sofort "mehrere hundert" Plätze für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge schaffen - wenn der Tagsatz erhöht wird. Doch der Bund sträubt sich.

Wien. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die angespannte Situation im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen in Aggression entladen würde. In der Nacht auf vergangenen Freitag waren mehr als 300 Asylwerber in eine Schlägerei verwickelt. Wenige Stunden später veröffentlichte die Caritas Wien erneut drastische Bilder aus dem überfüllten Massenlager auf Facebook. Die Fotos zeigen Kleinkinder, die auf der Wiese schlaffen, verstopfte Waschbecken und Sanitäranlagen, in denen Fäkalien schwimmen. Außerdem berichtet die Hilfsorganisation über unhaltbare Zustände im Asylzentrum: Jugendliche, die von Gewaltübergriffen erzählen, für die sich niemand interessiert. Andere, die erklären, dass sie sich umbringen wollen. Kinder, die erschöpft und müde von der Obdachlosigkeit sind. Dazu gibt es viele Bewohner, die mit gesundheitlichen Problemen kämpfen.

Zeitgleich kommen Länder und Bund in der Quartiersuche keinen Schritt weiter. 3500 Plätze fehlen laut Innenministerium in den Ländern. Und das dürfte auch eine Frage des Geldes sein. „Wir haben dem Innenministerium schon vor Wochen gesagt, dass wir in der Lage sind, zusätzliche Plätze zu schaffen“, sagt der Wiener Flüchtlingskoordinator, Peter Hacker, zur „Presse“. „Mehrere hundert“ Plätze könnte Wien in erster Linie für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, aber auch für Familien und Erwachsene schaffen. Einzige Bedingung: Der Tagsatz für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge müsste von derzeit 77 Euro auf 95 Euro erhöht werden, sagt Hacker. Eine Forderung, die bereits Wiens Bürgermeister, Michael Häupl, in einer Aussendung artikuliert hat.

Qualität wichtig für Betreuung

„Wir haben eine Kostenstruktur, bei der wir mit dem derzeitigen Betrag nicht durchkommen. Ein gewisses Maß an Qualität ist aber wichtig bei der Betreuung“, argumentiert Hacker. Gerade bei jungen männlichen Flüchtlingen wirke sich diese „eins zu eins auf die Integration aus“. Denn dadurch entscheidet sich, „wie hoch die Arbeitsbereitschaft der elternlosen Jugendlichen ist, wie hoch ihre Bereitschaft, sich anzupassen, aber auch ihre Bereitschaft, sich zu radikalisieren.“ Wien hätte daher nicht nur aus „humanistischen, sondern auch aus sicherheitspolitischen Gründen“, ein Interesse, die jungen Asylwerber gut zu betreuen.

Im Innenministerium hält man auf Nachfrage der „Presse“ fest, dass der Tagsatz für die jungen Asylwerber 2014 gemeinsam von Bund und Ländern beschlossen wurde. Über den Betrag hätte es also einen Konsens gegeben, und man wüsste nicht, was sich seither an der Betreuungssituation für die jugendlichen Asylwerber geändert hätte, so ein Sprecher. Die Grundversorgungsvereinbarung bilde die Basis für die Abrechnung der Länder mit dem Bund. Heißt übersetzt: Die Länder können sich den erhöhten Tagsatz ja selbst zahlen.

Doch die sehen das anders. In der Landeshauptleutekonferenz im Februar 2015 als auch im Mai 2015 wurde schriftlich festhalten, dass die Innenministerin „die Tagsätze für die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Fremden dem tatsächlichen Aufwand entsprechend festzulegen“ habe, „um eine entsprechende Anzahl an Versorgungsplätzen sicherzustellen“.

Von einem Konsens über den Betrag ist also keine Rede. Aber auch nicht von der Bereitschaft, es selbst zu zahlen. Dass Wien die Kosten trägt, schließt Hacker dezidiert aus. „Wir zahlen sowieso bei den unter 14-Jährigen dazu, weil sie nach österreichischem Recht in die Obhut der Jugendwohlfahrt gehören.“ Auch würde Wien bei der Betreuung der jugendlichen Asylwerber von vornherein Abstriche machen. Ein Wiener Kind, das nach den pädagogischen und therapeutischen Maßstäben der Jugendwohlfahrt betreut werde, kostet bis zu 150 Euro am Tag. Und: „Die Grundversorgung ist Aufgabe des Bundes. Die Länder unterstützen den Bund nur dabei.“

Falsche Perspektive?

Und der hat kein Geld. Zumindest sei das das Hauptargument, warum der Tagsatz nicht erhöht werde, sagt Hacker. „Was ich bemerkenswert finde, denn das Nichterledigen von Asylwerberfällen (derzeit werden Dublin-Fälle prioritär behandelt, Anm.) kostet den Bund noch viel mehr“, sagt er. Der Bund gehe also aus einer falschen Perspektive an die Sache heran.

Ein zweites Argument im Bund gegen den erhöhten Tagsatz sei, dass man Österreich für Asylwerber nicht attraktiver machen wolle, sagt Hacker. Aber „Flüchtlinge fliehen in Panik. Die landen da, wohin der Wind sie treibt. Das ist alles eine Debatte, die bringt uns keinen Millimeter weiter“, erklärt Hacker.

Im Innenministerium dementiert man die Aussage, dass man Österreich nicht attraktiv für Flüchtlinge machen will, und kritisiert Wien. „Wenn ein Land hinter der Quote zurückliegt, dann gehen wir davon aus, dass es keinen Platz gibt“, so der Ministeriumssprecher. Wien würde seine Quote zwar übererfüllen, nicht aber im richtigen Verhältnis. Eigentlich sollte es 320 unbegleitet minderjährige Flüchtlinge mehr aufgenommen haben. Wie übrigens jedes Land bei den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen säumig ist. Nur nicht Niederösterreich. Dort beeinflusst das überfüllte Lager Traiskirchen allerdings die Quote stark.

„Wir teilen auch die Perspektive der Volksanwaltschaft, die sagt, dass die Situation für Kinder und Jugendliche in Traiskirchen besonders prekär ist. Und gerade deswegen gibt es Erwartungen, dass die Länder diese übernehmen“, erklärt der Innenministeriumssprecher weiter. „Für den Fall, dass höhere Tagsätze mehr Plätze schaffen, gibt es darüber Gespräche.“ Wie lang die Verhandlungen noch dauern und bis wann in der Sache eine Entscheidung gefällt wird, konnte der Ministeriumssprecher auch nach mehrmaligem Nachfragen nicht sagen. Bis dahin müssen die rund 600 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die nicht einmal ein Bett haben, wohl noch weiter auf der Wiese in Traiskirchen schlafen.

Kundgebung in Traiskirchen

Rund 200 Personen haben am Sonntag laut Polizeiangaben an einer von der Hochschülerschaft angemeldeten Kundgebung in Sachen Asyl in Traiskirchen teilgenommen. Eine von der Initiative Freedom not Frontex angemeldete Kundgebung am selben Ort war vergangene Woche untersagt worden.

Laut Berichten war die Stimmung zwischen Teilnehmern und Zusehern der Kundgebung aufgeheizt, die Veranstaltung verlief aber ruhig. Scharfe Kritik wurde an denjenigen geübt, die Schuld an der angesichts zunehmender Flüchtlingszahlen eskalierenden Situation tragen würden. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) habe jegliche Hilfeleistung unterlassen, auch Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) trage Verantwortung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2015)

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