Bürgerwille wird in Ländern erprobt

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Im Bund wird das Volk weiterhin kaum Möglichkeiten zur direkten Demokratie haben. Auf Landesebene aber sollen Gesetze erzwungen und verhindert werden können.

Wien. Erfolgreiche Volksbegehren sollen in Österreich Volksabstimmungen auslösen können. Und diese, wenn die Bevölkerung zustimmt, zu Gesetzen führen. Das wünschte sich die Opposition.

Gut gehende Volksbegehren sollen zu einer Volksbefragung führen. Deren Ergebnis zwar nicht bindend ist, aber Druck auf die Politik macht. So sah der Kompromiss aus, auf den sich SPÖ, ÖVP und Grüne einigten. Das war 2013.

Heute, zwei Jahre später steht fest: Auch diese Variante kommt nicht. Zu groß sind die Bedenken der Koalition. In der SPÖ, so sagen Insider, hatten von Anfang an viele Bauchweh. In der ÖVP hingegen waren wichtige Vertreter der Reform wohlgesonnen. Doch Chef Reinhold Mitterlehner soll dem Plan aus 2013 deutlich distanzierter gegenüberstehen als sein Vorgänger Michael Spindelegger. Dazu gab es Warnungen, etwa von Bundespräsident Heinz Fischer. „Wir müssen vermeiden, den derzeitigen Weg der Gesetzgebung zu durchlöchern“, meinte er. Man dürfe Lobbys und Medienkampagnen nicht noch größeren Einfluss einräumen.

Bei der Opposition sorgt die Kehrtwende freilich für Kopfschütteln. „I am not amused“, drückt es die grüne Verfassungssprecherin, Daniela Musiol, gegenüber der „Presse“ aus. Sie kämpft seit Jahren für mehr direkte Demokratie. „In Wahrheit haben die Koalitionsparteien Angst vor dem Wähler“, meint gar der Dritte Nationalratspräsident, Norbert Hofer (FPÖ).

SPÖ-Vizeklubobmann Josef Cap verteidigt das Umdenken: „Wenn Modelle entwickelt werden, die letztlich nicht praktikabel sind, haben die Bürger nichts davon.“ Die Variante aus 2013 hat vorgesehen, dass zehn Prozent der Wahlberechtigten bei einem normalen bzw. 15 Prozent bei einem Verfassungsgesetz eine Volksbefragung erzwingen können. Ausgenommen davon wären Bereiche wie EU-Recht, Völkerrecht sowie Grund- und Menschenrechte. Bevor man mit Ausnahmen anfange, sei es besser, auf Landes- und kommunaler Ebene die direkte Demokratie zu forcieren, meint Cap. Dies sei auch in anderen europäischen Staaten der übliche Weg.

ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl gilt als Befürworter der direkten Demokratie. Dass man ihr nun auf regionaler Ebene neue Möglichkeiten gibt, sieht er einmal „als ersten Schritt“. Und als einen, der vielleicht sogar sinnvoller sei, als ähnliche Instrumente gleich im Bund einzuführen – wie er es ursprünglich wollte. Konkret will man in die Bundesverfassung schreiben, dass die Länder Volksgesetzgebung und Vetoreferenden einführen dürfen. Die Länder könnten dann festlegen, ob und unter welchen Voraussetzungen Bürger am Landtag vorbei Gesetze schaffen dürfen. Und wie Bürger per Referendum vom Landtag beschlossene Gesetze kippen können. Auch auf Gemeindeebene soll es mehr Mitbestimmung geben.

Volksabstimmung vor Reform?

Doch da wäre noch eine Sache. Vorarlberg hatte nämlich schon einmal eine Volksgesetzgebung. Wenn die Bürger wollten, musste der Landtag in eine bestimmte Richtung abstimmen. Das Verfassungsgerichtshof hat diese Landesregelung 2001 aufgehoben, weil sie gegen das Grundprinzip der repräsentativen Demokratie verstoße. Ändern könne man das dann nur mit einer Gesamtänderung der Bundesverfassung. Dazu benötigt man neben einer Zweidrittelmehrheit noch eine Volksabstimmung. Dieses VfGH-Erkenntnis hätten einige Koalitionsvertreter gar nicht gekannt, sagt Musiol.

Dann bleibt die Frage, ob es auf Länderebene überhaupt Themen gibt, die für eine Abstimmung spannend genug sind. Länderkompetenzen wären etwa Jagdrecht und Jugendschutz. Nur über solche Themen abstimmen zu können sei aber viel zu wenig, meint Neos-Vizeklubobmann Nikolaus Scherak.

Ein paar Neuerungen sind aber dann von der Koalition auch für die Bundesebene geplant: So sollen Initiatoren von Volksbegehren ein Rederecht im Parlament bekommen. Und Volksbegehren online unterzeichnet werden dürfen.

Wann werden die Neuerungen in der Verfassung verbrieft? „In dieser Legislaturperiode wollen wir das schon schaffen“, sagt Cap.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2015)

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