Dystopie: Träumen Roboter von Thomas Piketty?

(c) EPA (Alberto Estevez)
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Als Horrorvision taugt der von Steven Hawking, Elon Musk und Co. heraufbeschworene Krieg zwischen Mensch und Maschine nur bedingt. Bedrohlicher wäre eine Automatisierung der Staatsgewalt durch rücksichtslose Fabrikanten.

Nun also auch noch die Roboter. Nach Kernkraft, künstlicher Intelligenz, Klimawandel und Kollaps des globalen Kapitalismus sind autonome Kampfmaschinen zum Sorgenkind der Futurologen avanciert. Am Dienstag reichten rund tausend Unterzeichner – unter ihnen Größen wie Physiker Stephen Hawking, Internet-Unternehmer Elon Musk und Apple-Mitbegründer Steve Wozniak beim Weltkongress zur Lage der Forschung über artifizielle Intelligenz in Buenos Aires eine Petition ein, in der eindringlich vor Robotern auf dem Schlachtfeld gewarnt wird. Waffensysteme, die ihre Ziele ohne menschliches Mitwirken erfassen und vernichten können, sind demnach die „dritte Revolution“ in der Kunst der Kriegsführung nach der Erfindung des Schießpulvers und der Atombombe. „Ein Wettrüsten im Bereich der militärischen künstlichen Intelligenz wäre für die Menschheit nicht vorteilhaft“, heißt es in dem offenen Brief. Denn Robotersoldaten wären das ideale Werkzeug für Aufgaben wie „Unterdrückung der Bevölkerung, selektive Tötung von ethnischen Gruppen und die Destabilisierung ganzer Nationen“.

Skynet, Matrix, Nexus-6

Die Sorge über feindlich gesinnte Maschinen ist nicht neu. Wer sich vor Robotern fürchten möchte, hat die Qual der Wahl: Es gibt Skynet, die Geißel der Menschheit im Film „Terminator“, dann die Matrix aus dem gleichnamigen Blockbuster, die Menschen als Batterien missbraucht, weiters außer Rand und Band geratene Replikanten der Baureihe Nexus-6 aus Phillip K. Dicks Roman „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ oder Mechagodzilla, den gigantischen Kampfroboter aus dem „Schwarzen Loch Planet 3“, den sich japanische Trickfilmer in den 1970er-Jahren einfallen ließen, als ihnen die Gegner für die patriotische Riesenechse Godzilla auszugehen drohten – und das ist nur eine kleine Auswahl. Im Gegensatz zu diesen teils gigantomanischen Entwürfen nehmen sich die heutigen Roboterkrieger vergleichsweise mickrig aus – teilautonome Drohnen, die eigenständig auf einem Flugzeugträger landen können, „intelligente“ Minen, die das herannahende Ziel optisch erfassen, oder automatisierte Maschinengewehrnester, wie sie beispielsweise an der Grenze zwischen Süd- und Nordkorea eingesetzt werden. Was nicht heißen soll, dass derartige Systeme in einer fernen Zukunft nicht das Potenzial dazu hätten, die menschliche Zivilisation in Schutt und Asche zu legen.

Nach jetzigem Wissensstand besteht diese Gefahr jedoch nicht, wie Simon Stringer vom Oxford Centre for Theoretical Neuroscience and Artificial Intelligence der „Financial Times“-Bloggerin (und großen Science-Fiction-Freundin) Izabella Kaminska erklärte. Und zwar, weil künstliche Intelligenzen derzeit schlicht und ergreifend nicht in der Lage sind, die Welt in ihrer Gesamtheit so zu erfassen, wie Menschen es tun – ein Handicap, an dem sich zumindest mittelfristig wenig ändern dürfte. Stringer zufolge kommen die fortschrittlichsten Maschinen, wie sie derzeit etwa vom US-Unternehmen Boston Dynamics entworfen werden, in ihrer räumlichen Selbstwahrnehmung nicht einmal an ein Nagetier heran. Anno 2015 kommt ein Hamster in seinem Umfeld besser zurecht als der teuerste Roboter.

Sind Kampfmaschinen also ein Popanz? Ganz so einfach ist die Sache nicht, denn nach Ansicht vieler Experten geht die wirkliche Gefahr nicht von intelligenten, sondern von teilautonomen Robotern aus, die von ihren menschlichen Lenkern gegen andere Menschen eingesetzt werden könnten. Die Horrorvision eines Krieges zwischen Menschen und Maschinen verblasst neben einer Zukunft, in der Fabrikanten nicht nur alle Produktionsmittel kontrollieren, sondern auch die Staatsgewalt privatisiert und automatisiert haben.

Kapital, Arbeit, Maschinen

Um zu dieser Dystopie zu gelangen, braucht man nur die Petition von Hawking, Musk und Co. mit Thomas Pikettys Bestseller „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ zu kreuzen. Die These des französischen Ökonomen, wonach Kapitalrenditen tendenziell schneller wachsen als die Wirtschaft (r > g), ist zwar in Fachkreisen nicht unumstritten. Doch daran, dass es in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Konzentration des Vermögens gekommen ist, gibt es wenig Zweifel. Der Software-Unternehmer und Autor Martin Ford stellt in seinem kürzlich erschienenen Buch „Rise of the Robots: Technology and the Threat of a Jobless Future“ (Basic Books) die Behauptung auf, dass die fortschreitende Automatisierung das bis dato eherne Axiom des britischen Ökonomen und Statistikers Arthur Bowley außer Kraft gesetzt hat, wonach die Anteile von Arbeit und Kapital am Nationaleinkommen annähernd stabil seien – in den USA fiel der Anteil der Arbeit von 65 Prozent des BIPs Anfang der 1950er-Jahre auf 58 Prozent im Jahr 2014.

Eine Trendwende ist nach Ansicht von Ford derzeit nicht in Sicht. Ein Zukunftsentwurf, in dem rücksichtslose Plutokraten den durch technologische Umwälzung am Arbeitsplatz pauperisierten Rest der Gesellschaft mittels Drohnen kontrollieren und Robotermilizen gegen Dissidenten eingesetzt werden, kann also durchaus plausibel skizziert werden – und in dieser Zukunft wären die Chancen auf ein Happy End verschwindend gering. Denn Revolutionen finden nur dann statt, wenn Teile der Exekutive dem Despoten die Gefolgschaft verweigern – der Sturz des ukrainischen Machthabers Viktor Janukowitsch im Februar 2014 bietet diesbezüglich das aktuellste Anschauungsmaterial. Was aber, wenn sich die Exekutive beliebig programmieren lässt und nicht von schlechtem Gewissen geplagt wird? Anders als (menschliche) Beamte der Sonderpolizei hätte eine Drohne auf dem Maidan in Kiew wohl kaum gezögert, den Abzug zu betätigen. Eigentlich müsste man sich wünschen, dass Roboter möglichst rasch intelligent werden. Denn vom Bewusstsein zum Klassenbewusstsein ist der Weg nicht weit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2015)

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