Asylquartiere: Regierung prüft mehr Durchgriffsrechte

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Die Regierung verkündet heute, wie der Ansturm an Asylwerbern bewältigt werden soll. Das Innenministerium gibt grünes Licht: Amnesty International soll die Flüchtlingssituation prüfen.

Traiskirchen/Wien/St. Pölten. Im Erstaufnahmezentrum für Flüchtlinge in Traiskirchen steht ab Samstag der von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) angekündigte Aufnahmestopp für neue Asylwerber bevor. Denn es wird nicht damit gerechnet, dass die Bundesländer trotz verstärkter Anstrengungen die bis Ende Juli zugesagten zusätzlichen Unterkünfte für Asylsuchende in voller Anzahl erfüllen können. Gleichzeitig ist hinter den Kulissen nach Informationen der „Presse“ neben der Innenministerin auch die Regierungsspitze mit Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner in die fieberhafte Suche nach Lösungen der Asylprobleme eingebunden. Am Freitag wird die Regierungsspitze im Kanzleramt die Ergebnisse bekannt geben.

Die Regierung rückt dabei jetzt auch der Umsetzung eines stärkeren Durchgriffsrechts des Bundes zur Unterbringung von Flüchtlingen näher. „Es gibt im Moment keine Idee, die nicht geprüft wird“, war aus Koalitionskreisen zu den Gesprächen zu erfahren. Mehr wollte man vorerst nicht preisgeben.

Die nun ins Auge gefasste Ausweitung der Kompetenzen des Bundes ist insofern bemerkenswert, weil dem Vernehmen nach derartige Überlegungen bisher noch an Bedenken der SPÖ gescheitert sind („Die Presse“ berichtete am 21. Juli). Es geht dabei unter anderem darum, dass die Innenministerin im Notfall und für einen begrenzten Zeitraum über die Kompetenzen des Bürgermeisters in Baurechtsangelegenheiten hinweg Quartiere zur Unterbringung von Flüchtlingen anordnen kann. Damit wäre ein Hindernis aus dem Weg geräumt. So hatte der Linzer Bürgermeister, Klaus Luger (SPÖ), die Aufnahme von Flüchtlingen mit Hinweis auf fehlende Widmungen verhindern können. Auch die Aufstellung von Containern wird vom Innenministerium derzeit nicht vorangetrieben, weil da die Bürgermeister ein Einspruchsrecht hätten.

In die Gespräche ist allerdings nicht nur die Regierungsspitze einbezogen, sondern auch die Landeshauptleute sowie Vertreter von Städte- und Gemeindebund. Bundeskanzler Werner Faymann bat am Donnerstag am Rand einer Baustelle für Junges Wohnen in St. Pölten um Verständnis, dass die Regierung vorerst intern verhandeln will.

Amnesty darf Traiskirchen inspizieren

Im Mittelpunkt steht die Entlastung des Erstaufnahmezentrums in Traiskirchen, in dem zuletzt rund 4500 Menschen – rund 2000 davon ohne Bett – untergebracht waren. Das rief auch Amnesty International auf den Plan. Die Menschenrechtsorganisation will ein internationales Team aus Menschenrechtsexperten, Ärzten und Dolmetschern nach Österreich schicken, um zu erheben, wie Flüchtlinge in Österreich untergebracht sind.
Amnesty Österreich wurde von der Zentrale beauftragt, die Mission durchzuführen, und hat beim Innenministerium angefragt, um Zugang zur Erstaufnahmestelle Traiskirchen zu bekommen. Für das Ansuchen gab es am Donnerstag, wie der „Presse“ im Innenministerium bestätigt wurde, die Zustimmung. Allerdings nicht zum gewünschten Termin am Freitag, sondern erst kommende Woche. Der genaue Termin soll gemeinsam geklärt werden, hieß es.

Der Antrag der Menschenrechtsorganisation war ungewöhnlich. „Man kann sagen, dass demokratisch und rechtsstaatlich gefestigte Länder so etwas im Schnitt nur alle zehn Jahre erleben“, sagte Amnesty-Österreich-Generalsekretär Heinz Patzelt. Offenbar seien internationale Beobachter angesichts der Bilder aus Traiskirchen besorgt, dass in Österreich Massenobdachlosigkeit unter Asylwerbern herrscht. Als einen Schwerpunkt der Prüfung nennt Patzelt die Situation unbegleiteter Minderjähriger. Derzeit sind hunderte Minderjährige unbetreut, weil den Ländern der vom Bund bezahlte Tagsatz von 75 Euro zu niedrig ist.

Offen ist, welche Auswirkung die von Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) angekündigte gesundheitspolizeiliche Untersuchung des Lagers Traiskirchen hat. Zuständige Gesundheitsbehörde ist die Bezirkshauptmannschaft Baden. Man werde sich einer allfälligen Entscheidung der BH beugen, heißt es dazu im Ministerium. Bereits vor einem Jahr hatte die BH Baden mit einem gewerberechtlichen Bescheid einen vorübergehenden Aufnahmestopp in Traiskirchen verhängt.

28.311 Asylanträge im ersten Halbjahr

Unterdessen sind die offiziellen Asylanträge für das erste Halbjahr bekannt gegeben worden: 28.311 Personen suchten um Asyl an, das ist mehr als im gesamten Jahr 2014. Die zahlenmäßig größte Gruppe waren Syrer (7692), gefolgt von Afghanen (5749) und Irakern (3802). Zu Beginn des Jahres gab es einen Ansturm von Albanern mit mehr als tausend Anträgen im Jänner, der inzwischen aber nach einer Informationsoffensive von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner in Albanien wieder völlig versiegt ist: Im Mai kamen nur noch 51 Albaner nach Österreich.

Die Zahl der Anträge ist im Ansteigen, im Mai gab es mehr als 6000, im Juni 7531 Asylanträge. Die Tendenz zeigt weiter nach oben, derzeit kommen pro Tag durchschnittlich 300 Flüchtlinge. Das Innenministerium rechnet für das gesamte Jahr bereits mit einer Zahl von 80.000 Flüchtlingen, was der höchste Wert seit der Ungarn-Krise 1956 und der Krise in der Tschechoslowakei 1968 wäre (siehe Grafik). Das Rote Kreuz warnt angesichts dieser Zahlen davor, dass es weiterhin keine langfristigen Strategien zur Unterbringung von Asylwerbern gebe. Selbst bei „sehr konservativer Schätzung“ werde man bis Jahresende 22.500 zusätzliche Quartiere benötigen, sagt Generalsekretär Werner Kerschbaum. (ett/maf)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2015)

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