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Im Treibhaus der Triebe

„Skills in Pills“, das wilde Album von Metalmusiker Peter Tägtgren und Rammstein-Sänger Till Lindemann, schoss gleich auf Platz eins der deutschen Charts.
„Skills in Pills“, das wilde Album von Metalmusiker Peter Tägtgren und Rammstein-Sänger Till Lindemann, schoss gleich auf Platz eins der deutschen Charts. Warner Music
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Till Lindemann und Peter Tägtgren haben in einer ehemaligen Irrenanstalt ihr Album "Skills in Pills" aufgenommen. Ein Gespräch über die Möglichkeiten des Tabubruchs in unserer Zeit.

Mit einem knappen „Jägermeister!“ beschreibt der schwedische Metalmusiker Peter Tägtgren die Basis der vorzüglichen Chemie zwischen ihm und Rammstein-Sänger Till Lindemann. Von rauschhafter Opulenz ist ihr erstes gemeinsames Album „Skills in Pills“, das unter dem Signet „Lindemann“ erschienen ist. Es schoss gleich auf Platz eins der deutschen Charts. Der Markt für Schauerromantik-Metal ist dort immer noch im Wachsen begriffen.

Das krasse, vom serbischen Schwaben Zoran Bihać gedrehte Video zum Song „Praise Abort“ kurbelte die Nachfrage an. Der Protagonist des wüsten Liedes, ein von seinem Trieb geknechteter, vielfacher Kindesvater, verflucht den Sexualverkehr. Bihać, der im Alltag Spots für schwedische Möbelhäuser, Autos und Telefonanbieter fertigt, ließ sich auf hübsch gruselige, polymorph perverse Bildwelten ein. So sieht man den mit einem schmucken Schweinsrüssel ausgestatteten Lindemann, wie er, mit Lockenwicklern im Haar, sechs schnuckelige Ferkel säugt. Ausgiebig klagt er mit seiner Trademark-Röchelstimme: „I have six kids and I don't like it. They eat too much and treat me like shit.“ Bald geht ihm auf, was einzig zu helfen vermag: die Abwendung vom Weib. „So in the end, I got forced to stay away from female intercourse. I hate my kids, never thought that I'd praise abort.“

Zu diesen unheilvollen Gedanken brüllen Metalriffs, knüppeln stumpfe Tanzrhythmen. Um Tabubruch ging es ihnen keineswegs, versicherte Tägtgren, die Story sei vielmehr am Leben eines bedauernswerten Freundes von Lindemann festgemacht. „Frau und Kinder bringen ihn mit ihren permanent wachsenden Bedürfnissen an den Rand des Nervenzusammenbruchs.“

Im wirklichen Leben ist auch der grimmige Till Lindemann ein Familienmensch. So erzählte es zumindest seine Mutter, Gitta, in ihrer Eloge auf den erfolgreichen Sohn: „Manchmal lädt er uns in sein großes Auto, und wir fahren an die See oder gehen paddeln. Immer die ganze Familie. In unseren Bötchen sitzen wir und lassen uns treiben durchs Wasser, über uns schattiges Gezweig. Dann sucht er einen Rastplatz auf einer Wiese und hievt alle an Land. [...] Abends gibt's dann Fisch mit viel Knoblauch. Dann ist er ganz bei sich.“


Lindemann, der Dichter. Manchmal verschlägt es dieses Wunder von Sohn aber auch ganz allein nach Kanada. Von dort brachte er einen Song nach Hause: „Yukon“ nennt sich dieses beinah liebreizende Kleinod, das mit plätscherndem Klavier und sentimentalen Geigenarrangements anders klingt, weil es vom Beklemmungsgrad her nicht so intensiv ist. Lindemann, ein wenig stolz: „Wir haben beide eine besondere Beziehung zu diesem Lied. Ich war Kanufahren in Kanada und schrieb den Text im Boot am Fluss. Tägtgren fand ihn sehr inspirierend und schrieb Musik dazu. Normalerweise lief unser Arbeitsprozess umgekehrt. Er schickte mir die Musik, ich schrieb einen Text dazu.“

Das kann er, der 52-Jährige aus Mecklenburg-Vorpommern. Mit neun Jahren ergoss er sich erstmals lyrisch. Wer waren die dichtenden Role Models seiner Adoleszenz? Ein Spur Verlegenheit kriecht jetzt in die Stimme des Rammstein-Stars: „Verehren tu ich sehr den Friedrich Rückert und den Gottfried Benn. Auch Bertolt Brechts düstere Geschichten liebe ich. Und nicht zu vergessen: Heinrich Heine. Die deutsche Kulturlandschaft ist ja voll mit großen Poeten.“

Die Dichterwerkstatt Lindemanns ist mal im Flugzeug, dann wieder am Wasser oder in der Bar situiert. Seine Notizen sortiert er in den Nachtstunden. Zuweilen bricht bei Lindemann, der sich als Versschmied schon in Gothic und Groteske, in Expressionismus und Naturromantik probiert hat, unverstellt die Leidenschaft durch. „When I break open your kingsize bra, your giant boobs are just wunderbar“, heißt es im von einem majestätischen Orgelintro eingeleiteten „Fat“. Geht es ihnen im zivilen Leben um große Brüste? Tägtgren verneint. „We love all kinds of boobs.“ Das Lied handle vielmehr von jener sexuellen Abart, die da unter dem Begriff Feeders rubriziert wird. Lindemann: „Das sind zierliche Männer, die ihre Frauen beinah zu Tode füttern. Sie kämmen und streicheln, vor allem aber füttern sie sie“, erklärt er. Dann wechselt er ins Englische, damit ihn auch der schwedische Kollege versteht: „That's probably the strangest kind of love.“


Keine Ironie. Von besonderem Liebreiz ist es, den in der DDR sozialisierten Lindemann Englisch singen zu hören. „Zu Beginn war es seltsam für mich“, gesteht er. „Bei uns war halt Russisch die erste lebende Fremdsprache.“ Sexuell scheint er indes alle Spielarten zu beherrschen: „Let cry your pinky flower, give me, give me the golden shower“, fleht er urophil in „Golden Shower“. Entgegen seines Lippenbekenntnisses kratzt Lindemann hier an sexuellen Tabus, wie er in seiner Hauptband Rammstein auch mit der Zeichensprache des Totalitarismus flirtet. Von Ironie will er aber nichts wissen – auch nicht, wenn er von asiatischen Ladyboys schwärmt: „I have it all, all in one. No broken hearts, no bad romance, why should I love, when I can have fun with my ladyboy?“, singt er in „Ladyboy“.

Hat er Feldforschung dafür betrieben? „Sie meinen physisch? Sagen wir so, in Thailand war ich sehr fasziniert von dieses Ladyboys. Sie sind in der Regel wunderschön. Wer etwas Neues erleben will, ist da richtig. Wenn nicht, auch egal. Man muss nicht alles machen, was der Trieb gern hätte.“

Steckbrief

Till Lindemann. 1963 in Leipzig geboren, absolvierte er in der DDR eine Lehre als Bautischler, Korbmacher und Galerietechniker. Zudem ist er ausgebildeter Pyrotechniker.

Er dichte seit seinem neunten Lebensjahr. Seine musikalische Karriere begann er in der DDR als Schlagzeuger der Band First Arsch, seit Mitte der Neunzigerjahre ist er Sänger und Texter der weltweit erfolgreichen Band Rammstein.

Peter Tägtgren. 1970 wurde er in Stockholm geboren, schon als Kind lernte er – beeinflusst von Kiss und von Trash-Metal– Schlagzeug, Keyboard, Bass und Gitarre.

Mit dem Ein-Mann-Projekt Hypocrisy machte er erstmals auf sich aufmerksam, heute ist er in schwedischen Metalprojekten wie Pain, Lock Up, The Abyss, War und Marduk tätig.

Album. „Skills in Pills“ erschien bei Warner Music.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2015)

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