Hundstorfer: "Mindestsicherung zu beziehen ist alles andere als lustig"

Bitte fragen Sie den Verfassungsgerichtshof“: Sozialminister Hundstorfer zu unterschiedlichen Ruhensbestimmungen für ASVG-Pensionisten und Beamte.
Bitte fragen Sie den Verfassungsgerichtshof“: Sozialminister Hundstorfer zu unterschiedlichen Ruhensbestimmungen für ASVG-Pensionisten und Beamte.Die Presse
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Sozialminister Rudolf Hundstorfer kündigt beim Sozialgeldvollzug bis Ende 2015 Änderungen an. Hartz IV wie in Deutschland lehnt er als Weg in die Armut strikt ab. Das Pensionsrecht für Wiens Beamte verteidigt er.

Wie erklären Sie einer Supermarktkassierin in Teilzeit oder einem einfachen Hackler in der Steiermark, dass er teilweise kaum mehr verdient als jemand, der Mindestsicherung in voller Höhe bezieht? Ist das gerecht?

Rudolf Hundstorfer: Das ist erklärbar. Bevor ich überhaupt eine Mindestsicherung bekomme, muss ich mein Vermögen verwerten. Beim Aktiveinkommen sind es 14 Monatsbezüge, Mindestsicherung gibt es für zwölf Monate. Im Schnitt dauert der Mindestsicherungsbezug 8,2 Monate. Beim Vergleich mit einem Jahreseinkommen ist das Aktiveinkommen das höhere. Klar ist, es kann in manchen Monaten anders sein. Auch bei der Mindestsicherung muss ich dem Arbeitsmarktservice (AMS, Anm.) zur Verfügung stehen, sonst kommt es zur Kürzung. Eine Mindestsicherung zu beziehen ist alles andere als lustig.

Die Differenz zwischen dieser Sozialleistung und bestimmten Erwerbseinkommen ist dennoch relativ gering.

Nein, überhaupt nicht. Natürlich, wenn jemand im Handelsbereich nur 16 Stunden arbeitet, gibt es gar keinen Unterschied. Aber es dauern ja nicht alle Dienstverhältnisse nur 16 Stunden. Wenn Sie den Vergleich mit einem Jahreseinkommen machen, schaut die Welt schon wieder ganz anders aus.

Laut Koalitionspakt wird sich die Koalition die Mindestsicherung auf Änderungen hin anschauen. Die ÖVP drängt auf Verschärfungen. Was wollen Sie ändern?

Zur Mindestsicherung gibt es 15a-Vereinbarungen mit den Ländern. Das läuft aus und muss verlängert werden.

Wann?

2016. Wir müssen und wollen etwas Neues schaffen. Etwa, ob man die Mindestsicherung statt in Geld- in Sachleistungen auszahlen kann.

Spricht etwas dagegen?

Überhaupt nichts. Das könnte man schon heute, es passiert auch in Einzelfällen. Zwei Länder wollen Sachleistungen ausbauen (Wien, Niederösterreich, Anm.). Jetzt muss man schauen, was vernünftig ist. Wenn ich sage, ich zahle die Stromrechnung direkt. Oder Fortbildungskurse in Deutsch, das ist alles okay. Weiters ist die Frage, schreiben wir in die Landesgesetze, der Bezug der Mindestsicherung ist immer befristet, wie das Wien und Niederösterreich machen? Gut funktioniert das Meldesystem zwischen AMS und Bezirksverwaltungsbehörden. Noch einiges zu tun ist im täglichen Vollzug.

Es wird auch kritisiert, dass es die mit Abstand meisten Bezieher in Wien gibt.

Wien lehnt ein Drittel der Anträge ab und hat 7700 Personen die Mindestsicherung gekürzt. Dass es in Wien überproportional viele Bezieher gibt, liegt einerseits im Großstadtfaktor begründet und betrifft auch Linz oder Salzburg, andererseits darin, dass zwei Drittel der Asylberechtigten, nicht der Asylwerber, automatisch Mindestsicherung erhalten. Gründe sind, dass es Sprachbarrieren gibt und auch die Anerkennung von Zeugnissen zu klären ist.

Bis wann soll die Neuregelung mit den Ländern unter Dach und Fach sein?

Mir wäre am liebsten, wenn wir das bis Jahresende erledigen könnten. Es gibt keine tiefen Gräben.

Manche Experten sagen, das deutsche Modell Hartz IV funktioniere insofern besser, als das ein Beitrag zur Senkung der Arbeitslosenrate in Deutschland war.

Hartz IV ist in Wahrheit der Einstieg zum Ein-Euro-Job.

Aber ist ein Ein-Euro-Job nicht besser als gar keine Arbeit?

Ich habe in Deutschland drei Millionen Menschen mit Ein-Euro-Jobs, die sind massiv armutsgefährdet auf ewig. Dann kann ich nur einladen, sich mit Herrn Dr. Hartz zusammenzusetzen, weil das wollte er nicht. Hartz IV führt in den Niedriglohnsektor. Wir haben 94.000 Menschen aus der Mindestsicherung in den Erwerbsprozess zurückgebracht.

Außenminister Kurz hat angeregt, auf EU-Ebene die Sozialleistungen für Bürger aus dem EU-Ausland zu reformieren und zu senken. Was spricht dagegen?

Er löst damit ja nichts. Aber es gibt Gespräche zu dem Thema.

Der Druck auf das österreichische Sozialsystem würde etwas gedämpft.

Wenn ich um 100 oder 200 Euro weniger hergebe, löst das kein Problem.

Thema Pensionen. Viele verstehen nicht, warum es noch große Unterschiede zwischen ASVG und Beamten und weitere Sonderrechte gibt. Sie halten das für ungerecht.

Wir sind überall dabei, dass das Allgemeine Pensionsgesetz, APG, Basis aller Pensionsrechte in Österreich wird.

Der Weg dorthin dauert aber Jahrzehnte.

Jetzt sind wir in Übergangsphasen und die sind unterschiedlich gestaltet. Wenn man das rechnet, kommt man darauf, der Unterschied ist gar nicht so massiv.

Experten und auch ÖVP-Politiker wollen den Übergangszeitraum deutlich verkürzen.

Nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis, ich habe mit dem Pensionskonto seit 2014 die Schüssel-Reform umgesetzt!

Dagegen haben Sie mit den Gewerkschaftern unter Schwarz-Blau noch demonstriert.

Ja, aber ich habe das so modifiziert, dass es umsetzbar war, damit es keine Demonstrationen gibt. Ich habe beim Pensionskonto mit Beschränkungen Gewinne und Verluste minimiert.

Für die gesetzliche Pensionsversicherung – ASVG, Gewerbe und Bauern – haben Sie Reformen in die Wege geleitet, damit das tatsächliche Pensionsantrittsalter steigt – zuletzt auf 60,1 Jahre. Bei der Stadt Wien und den ÖBB liegt das Durchschnittsalter wegen vieler Frühpensionen um Jahre darunter.

Die Stadt Wien hat zum Beispiel kein Invaliditätspensionsrecht. Wenn Sie mit 52 oder 53 Jahren erwerbsunfähig werden, sind Sie in der Statistik drinnen. Wien kennt auch keine Langzeitversichertenregelung ...

... die Hacklerregelung ...

Es gibt auch keine Korridorregelung (Frühpension ab 62, Anm.). Männer und Frauen müssen mit 65 Jahren gehen, für alle gilt ein eigener Pensionssicherungsbeitrag. Außerdem liegt der Prozentsatz der Bediensteten der Stadt Wien, die noch im früheren Pensionssystem sind, bei 26 oder 27 Prozent.

Das Pensionsantrittsalter ist bei der Stadt Wien im Schnitt dennoch viel niedriger.

Nein, seien Sie mir nicht böse! Das gilt nur für 27 Prozent der Mitarbeiter, schreiben Sie das einmal dazu!

Aber bei immerhin tausenden Mitarbeitern.

Das betrifft 27 Prozent von gut 70.000 Mitarbeitern. Und es werden jedes Jahr weniger. Sie wissen, es wird fast niemand mehr pragmatisiert – wie beim Bund.

Trotzdem versteht ein ASVG-Versicherter nicht, dass die Übergangszeit in das neue Pensionssystem in Wien bis 2042 dauert und für ihn im ASVG 2028 endet.

Weil man sich etwas ausgemacht hat. Die Leute haben dafür akzeptiert, dass es keine Langzeitversichertenregelung gibt, dass sie einen höheren Pensionsbeitrag zahlen etc.

Sie kennen doch das Wiener Rathaus wie Ihre Westentasche und auch den Wiener Bürgermeister. Warum sagen Sie nicht einfach zu Bürgermeister Häupl, das kann ich gegenüber meinen Zigmillionen ASVG-Versicherten nicht mehr rechtfertigen?

Weil man es sehr wohl rechtfertigen kann, wenn die Medien bereit wären, es in der Gesamtheit zu berichten: also keine Korridorpension, keine Langzeitversichertenregelung, Pensionssicherungsbeiträge und Abschläge.

Was man nicht rechtfertigen kann, ist, dass es seit Ende 2005 für ASVG-Frühpensionisten Ruhensbestimmungen – Kürzungen der Pension bei Zuverdienst – gibt, während Bundesbeamte voll dazuverdienen können.

Bitte fragen Sie den Verfassungsgerichtshof, denn der hat das ermöglicht.

Ich frage aber Sie als Politiker. Denn die Bundesregierung könnte eine Regelung für ASVG und Beamte treffen.

Nein, da haben wir ein Problem.

Das Erkenntnis verbietet aber nicht, dass das gleich behandelt wird.

Wir haben damals ein Commitment gemacht, wir lassen das so, wie es ist. Ich habe auch keinen Handlungsbedarf, weil das Pensionsalter bei den Beamten bei 65 liegt und wir schauen, dass wir dort hinkommen.

Der Finanzminister will im Herbst ein Modell vorlegen, um die schleichende Steuererhöhung, die kalte Progression, abzuschaffen. SPÖ und ÖGB sind gesprächsbereit. Lässt sich das unter Dach und Fach bringen?

Es liegen diverse Vorschläge auf dem Tisch. Ich gehe davon aus, dass es im Herbst möglich wird, eine entsprechende Gestaltung zu finden.

Wo kommt das Geld, die notwendigen 400 Millionen Euro, dafür her?

Sie wissen, es hat ein ÖGB-Modell gegeben, mit dem sich der Koalitionspartner nicht ganz identifizieren kann.

Die ÖVP kann sich nicht damit identifizieren, das über Reichensteuern zu finanzieren.

Ich sage nicht Reichensteuern.

Sondern?

Vermögensbesteuerung. Aber das ist jetzt nicht das Thema. Das Thema ist, wir sind uns einig, dass wir hier etwas tun wollen. Am besten ist bei diesen Verhandlungen, man kommentiert sie nicht, bevor sie begonnen haben.

Die SPÖ hat schon bei der Debatte über die Steuerreform auf Vermögensteuern als Beitrag zur Gerechtigkeit gedrängt.

Wir werden im September/Oktober mit Verhandlungen beginnen. Die führt man am besten ohne Medien. Punkt. Ende.

Steckbrief

1951
Rudolf Hundstorfer wird in Wien geboren. Als Kanzleilehrling beginnt seine Berufslaufbahn bei der Gemeinde Wien. Politisch steigt er in der SPÖ im Gemeinderat und in der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten auf.

2006
Im Gefolge des Bawag-Skandals übernimmt Hundstorfer Ende März die Nachfolge von Fritz Verzetnitsch. 2007 folgt die offizielle Wahl zum ÖGB-Chef.

2008
Im Dezember zieht er als Arbeits- und Sozialminister in die SPÖ-ÖVP-Regierung Faymann ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2015)

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