Flüchtlinge: Gestrandet in Wien Simmering

Für drei junge Männer aus Damaskus ist die Jedletzbergerstraße vorläufig die Endstation - die Polizei wartet schon auf sie.
Für drei junge Männer aus Damaskus ist die Jedletzbergerstraße vorläufig die Endstation - die Polizei wartet schon auf sie.Stanislav Jenis
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Täglich kommen Dutzende Asylwerber in Wien an. Endstation ist oft die Anschlussstelle Simmering.

Wien. „Where?“, fragt der junge Araber. Viel mehr lässt sein Englisch nicht zu, um zu fragen, wo er nun sei. „Vienna. Austria. Simmering.“ Unverständnis. „Nemsa.“ Erst auf den arabischen Namen Österreichs reagiert er entspannt, erleichtert deutet er, ob er telefonieren könne. Der junge Syrer ist gemeinsam mit zwei weiteren jungen Männern aus Damaskus in Wien angekommen. Frühmorgens, nahe der Autobahnabfahrt Simmeringer Haide, gehen sie ohne Ziel die Jedletzbergerstraße entlang. Das Areal zwischen Ostautobahn und dem alten Huma-Einkaufspark ist seit Monaten Endstation – oder Zwischenstation – vieler Flüchtlinge. Täglich halten sich Menschen auf der Flucht an der Jet-Tankstelle, am Metro-Parkplatz oder auf dem Grünstreifen neben der Straße auf.

Ihre Spuren dort, auf einem verlassenen Platz, zeugen davon: Ein eingedrückter Fleck im hohen Gras, vermutlich ist dort jemand gelegen und hat Gewand zurückgelassen. Ein Zelt, Schuhe, ein Haufen alter Kleidung. Eine Plastikkarte, aus der eine Handy-SIM-Karte herausgedrückt wurde, oder Wasserflaschen mit Etiketten aus Südeuropa zeugen von der Flucht.

Verkehrsknoten als „Hotspots“

„Sie lassen alles zurück, was sie nicht mehr brauchen, oder wodurch sie vielleicht als Flüchtlinge auffallen würden“, wird ein Kriminalbeamter später erzählen, der nun fast täglich mit seinen Kollegen in Simmering unterwegs ist. Auch die drei jungen Männer aus Damaskus bleiben nicht lang unbemerkt. Während sie an der Straße gehen, telefonieren, Verwandten, die schon in Europa sind, Bescheid sagen, dass sie da sind, kommt eine junge Frau über die Straße. Roter Zopf, blaues Tanktop, Blumentattoo am Dekolleté, streckt sie einen Ausweis entgegen. Polizei. Kriminaldienst, zuständig für Schlepperei. Ob die Männer Pässe, einen Personalausweis haben, fragt sie. Ob sie Englisch sprechen? Kopfschütteln.

Die Beamtin begleitet die Männer zu einer etwas verborgenen Zufahrtstraße, dort wartet ein junger Kollege. Und ein zweites Beamten-Duo, ebenfalls umgeben von fünf jungen Arabern. Offenbar sei gerade ein Schlepperbus da gewesen und habe die Männer abgesetzt. „Zwei Minuten zu spät“ seien sie gekommen, sagt ein Beamter. In Simmering sind derzeit jeden Tag Polizeibeamte unterwegs, um die Flüchtlinge „aufzugreifen“, wie das im Beamtendeutsch heißt. Die Anschlussstelle Simmering ist zu einem der beliebtesten Plätze geworden, an dem Menschen von Schleppern abgesetzt werden. Neben Verkehrsknoten wie dem Westbahnhof, dem Hauptbahnhof oder auch mehreren Orten im 22. Bezirk ist hier einer der „Hotspots“. Die Zahlen variieren. Am Montag wurden 53 Flüchtlinge in Wien aufgegriffen, in den Tagen zuvor waren es einmal 15, einmal 106, einmal 143, wie es von der Wiener Polizei heißt.

Schwierige Verständigung

Die Asfinag bestätigt, dass immer wieder Menschen an Autobahnen, vor allem an der Ostautobahn, beobachtet werden. Entweder sie fallen auf den Bildern der Verkehrsüberwachung auf, oder die Asfinag wird angerufen. Die Flüchtlinge werden aus dem Gefahrenbereich gebracht und mit Wasser versorgt – alles Weitere obliegt der Polizei.

Auch da ist Wasser die erste Bitte der Männer. Ein paar Minuten müssten sie noch warten, vertröstet sie die Beamtin, dann komme ein Bus, und dann könnten sie auch trinken, rauchen, essen. Ob die Männer Asyl in Österreich beantragen wollen, versucht sie auf Deutsch, auf Englisch und auch mit der Hilfe eines Verwandten von einem der jungen Männer am Telefon zu erfragen.

„Wissen nicht, wie nett ich bin“

Der will nicht mit ihr reden. „Ja eh. Mit der Polizei redet niemand gern, das ist überall so. Die wissen ja nicht, wie nett ich bin“, sagt sie, scherzt, und erfährt dann doch, dass zwei der Syrer gern weiterreisen und einer Asyl in Österreich beantragen möchte. Das ist entscheidend dafür, wie es mit den Männern weitergeht. Zunächst ordern die Beamten per Handy einen „Frosch“, wie sie den Wagen, in dem Festgenommene abtransportiert werden, in ihrem Jargon nennen. Für die acht Männer, die eine viertel Stunde in der morgendlichen Hitze gewartet haben, geht es nun ins Polizeianhaltezentrum (PAZ) Roßauer Lände. Dort werden spezialisierte Beamte versuchen, ihre Identitäten festzustellen, sie befragen, Asylanträge vorlegen und die weitere Unterbringung klären. Familien kommen in Wien in die Zinnergasse, Alleinreisende in die PAZ Hernalser Gürtel oder Roßauer Lände – und abschließend, nach einem, maximal zwei Tagen, nach Traiskirchen. Wohin die neu angekommenen Flüchtlinge gebracht werden sollen, wenn dort, wie angekündigt, ab heute, Mittwoch, keine weiteren Flüchtlinge aufgenommen werden, weiß man auch bei der Polizei noch nicht. Vielleicht schlagen sie sich ja auf eigene Faust durch.

In die Schweiz möchte er, sagt ein junger Syrer, der die Straße entlanggeht, als der Polizeiwagen schon abgefahren ist. Wo genau er ist, und wie er einen Verwandten, der ihm in Wien mit der Weiterreise helfen soll, finden wird, davon hat er noch keine Vorstellung, als er morgens in Simmering ankommt.

Ausgesetzt vor Deutschland

Die Anschlussstelle Simmering ist nicht der einzige Brennpunkt entlang von Autobahnen, an dem Flüchtlinge ausgesetzt werden. Auch an der oberösterreichischen Innkreisautobahn, nahe der deutschen Grenze, hat sich das zuletzt verschärft. In den vergangenen Monaten wurden immer wieder Menschen dort – im Glauben, sie seien schon in Deutschland – an den Raststationen nahe der Grenze bei Suben abgesetzt. Ihre Schlepper haben sich schnell aus dem Staub gemacht. Seit Mai ist die Zahl angestiegen. An manchen Tagen waren es zuletzt mehr als 100 Menschen, an manchen nur 15.

Gefahr in OÖ? „Blödsinn“

Berichte, wonach Dutzende Asylwerber völlig erschöpft stundenlang neben der Autobahn herumirren würden und dabei den Verkehr, vor allem aber sich selbst gefährden – so sehr, dass man jenseits der Grenze schon erwäge, das Tempolimit auf der Autobahn zu drosseln –, seien aber ein „Blödsinn“, wie es aus der Landespolizeidirektion Oberösterreich heißt.

Mittlerweile sei die Kontrolldichte an den besagten Strecken hoch – vor allem, um auch die Schlepper auszuforschen. Auch Autofahrer rufen immer wieder die Polizei, wenn sie Flüchtlinge oder Schlepper sehen – und in maximal 15 bis 30 Minuten würden die Flüchtlinge dann bei den Raststationen abgeholt und in eine von neun nun auf Asyl spezialisierte Polizeidienststellen in Oberösterreich gebracht. Eine Gefahr für die Flüchtlinge oder einen Unfall habe es noch nicht gegeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2015)

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