Strolz: „Die liberale Viertelstunde der ÖVP ist vorbei“

„Wir können nicht alle, die nach Österreich wollen, aufnehmen. Und das werden wir auch nicht“, sagt Matthias Strolz.
„Wir können nicht alle, die nach Österreich wollen, aufnehmen. Und das werden wir auch nicht“, sagt Matthias Strolz.(c) Die Presse/Clemens Fabry
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Neos-Chef Matthias Strolz im Interview über die Vorzüge des Neoliberalismus, die Unterschiede zu den Grünen in der Zuwanderungsfrage und gescheiterte kommunistische Utopien.

Die Presse: Hayek oder Keynes?

Matthias Strolz: Hayek.

Beide waren Liberale. Warum Hayek?

Weil er mir das Individuum in seiner Verantwortung klarer herausstellt. Wobei ich Keynes nicht abgeneigt bin. Ich bin nur ein entschlossener Gegner der Fehlinterpretation von Keynes, wie sie von der Sozialdemokratie, insbesondere jener in Österreich, vorgenommen wurde. Keynes wurde von den Sozis ja bis zur Unkenntlichkeit verbogen. Keynes propagiert natürlich ein ausgeglichenes Budget über den Konjunkturzyklus hinaus. Die SPÖ hat aber immer nur die Hälfte von Keynes verstanden: das Deficit-Spending. In guten Zeiten hat sie dann allerdings nichts auf die Seite gelegt.

Im Gegensatz zur FDP, in der der Liberalismus in Reden und Debatten eine wesentlich größere Rolle spielt, hat man bei den Neos den Eindruck, dass gern – fast ein wenig verschämt – versteckt wird, dass man eine liberale Partei ist. Warum ist das so?

Ich glaube, es ist gut, dass wir nicht ideologisch argumentieren. Das hat auch mit unserer Entstehungsgeschichte zu tun. Wir wurden nicht vom unstillbaren Verlangen getrieben, eine liberale Partei zu gründen. Unsere Mission ist, dieses Land zu erneuern, weil es verzopft und versteinert ist. Freiheitsliebe, Eigenverantwortung und Nachhaltigkeit – das sind unsere drei inhaltlichen Kernwerte. Damit sind wir politologisch natürlich ein liberales Unternehmen. Aber es stimmt schon: Am Anfang haben wir das Etikett „liberal“ ein Stück weit verweigert, weil wir kein Etikett des 20. Jahrhunderts wollten.

Oder des 19. Jahrhunderts.

Oder des 19. Aber im 20. Jahrhundert sind unter der Flagge von Ideologien über hundert Millionen Menschen ermordet worden.

Dass der Liberalismus bei Ihnen nicht so eine große Rolle spielt – rührt das auch daher, dass Sie aus der ÖVP kommen und eben pragmatischer veranlagt sind?

Nein. Aber ich bin schon ein wertebasierter Mensch. Ich habe mich als Jugendlicher sehr mit der katholischen Soziallehre auseinandergesetzt. Und die Eigenverantwortung ist ein Kernwert der katholischen Soziallehre. Insofern ist es logisch, dass Neos heute ist, wie es ist: Es kommen Leute mit einer liberalen Sendung zu uns, unternehmerische Menschen, Menschen mit Hausverstand, Leute aus dem grünen Eck. Ich frage nicht: Woher kommst du? Ich frage: Was ist dir wichtig? Und wohin willst du?

Wobei die katholische Soziallehre schon im Widerspruch zum Liberalismus stand.

Das sehe ich nicht so. Also ideengeschichtlich, in der Auseinandersetzung der Vergangenheit: ja. Aber weltanschaulich nicht, weil beide ein starkes Personalitätsprinzip haben. Aber mir ist schon klar, dass der Liberalismus im Kampf mit dem christlich-sozialen Lager in Österreich keinen Fuß mehr auf den Boden gekriegt hat.

Die Neos waren die perfekte Antithese zur konservativen Spindelegger-ÖVP. Nun reicht es, wenn Reinhold Mitterlehner ein wenig liberal blinkt – und den Neos geht es an den Kragen.

Aber die liberale Viertelstunde der ÖVP ist ja längst vorbei. Nach der Steiermark-Wahl, innerhalb weniger Tage, hat die ÖVP einen strategischen Schwenk gemacht und ist an den rechten Rand gehechtet, da sie draufgekommen ist, dass sie jetzt auch an die FPÖ verliert. Da wurde sogar Sebastian Kurz, den ich sonst sehr schätze, mit sehr kantigen, rechtspopulistischen Ansagen – Sozialhilfe abstellen für Ausländer – ausgeschickt.

Dafür unterscheidet sich die Position der Neos in der Flüchtlings- und Zuwanderungsfrage kaum von jener der Grünen.

Das sehe ich nicht so. Wir sind da viel klarer in der Trennung von Asyl und Arbeitsmigration. Es braucht in der Asylfrage Menschlichkeit und Professionalität – das vermisse ich. Da gibt es unmenschliche Zustände, Menschen, die bei 40 Grad auf Asphalt gebettet werden. Wenn da jemand stirbt, werden wir eine völlig andere Debatte führen. In der Frage der Arbeitsmigration haben wir eine klarere Haltung als die Grünen: Wir können nicht alle, die nach Österreich wollen, aufnehmen. Und das werden wir auch nicht. Da braucht es auch europäische Antworten in der Rückführung. Es können nicht alle, die eine Fantasie in Sachen Arbeitsmigration haben, nach Europa kommen – das wird sich nicht ausgehen.

Heikel für Liberale ist die Kopftuchfrage: Einerseits richtet sich dieses als religiöses Symbol gegen eine liberale, säkulare Gesellschaft, anderseits tut man sich als Liberaler schwer, den Menschen Kleidungsvorschriften zu machen.

Ich bin da entspannt. Weil es kein wirkliches Problem ist.

In Frankreich gibt es ein Verbot an öffentlichen Schulen.

Ich bin kein großer Fan der Burka und der Vollverschleierung. Aber ich war jetzt vier Tage in Bad Gastein auf Urlaub. Und das stelle ich mir lustig vor, wie die Polizei da unter jeden Schleier einer Urlauberin schaut. Ein Verbot steht nicht dafür. Was nicht geht, ist ein Passfoto mit Vollverschleierung.

Was ist denn liberal für Sie?

Wir wollen den Menschen groß machen. Nicht so sehr den Staat. Wir wollen weniger Steuern zahlen. Aber dafür mehr Steuerzahler.

Sie haben einmal gemeint, die Neos seien keine „neoliberalen Säcke“. Gibt es nicht auch gute Gründe, den Neoliberalismus gegen seine Gegner zu verteidigen?

In einer akademischen Debatte würde ich den Neoliberalismus immer verteidigen. Weil er im ursprünglichen Wortsinn nichts anderes meint als die soziale Marktwirtschaft. Es gibt auf diesem Planeten keinen besseren Hebel für den Wohlstand für breite Massen. Es gab Utopien, allen voran die kommunistische, die sind nicht einmal gescheitert, sondern hundertfach. In der Gulasch-Kommunismus-Variante der Ungarn. In der Hardcore-Variante der Russen.

Ist es liberal, wenn sich die Neos in die Phalanx der Befürworter einer flächendeckenden Gesamtschule einreihen?

Wir reihen uns nicht ein. Wir wollen ein gemeinsames Ziel mit einer mittleren Reife für alle 15-Jährigen. Und in der Umsetzung dieses Ziels eine Vielfalt der Mittelschulen.

Den Neos geht es ein wenig wie einst dem LIF: Der Anfangshype ist vorbei, nun werden sie auf Randthemen wie die Cannabis-Legalisierung reduziert.

Das war eine Phase, diese halte ich für überwunden. Wir haben nun eine angriffigere Linie, nicht zuletzt in Wien und Oberösterreich . . .

Genau das hat das LIF seinerzeit auch gemacht.

Weiß ich nicht, ich bin kein LIF-Chronist. Wir haben auch eine andere Geschichte: Wir sind nicht Top-down gegründet, wir sind eine Bürgerbewegung von unten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2015)

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