Amnesty rechnet mit "Barbarei" in Traiskirchen ab

(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
  • Drucken

Amnesty-Generalsekretär Patzelt ist zornig wegen des von Österreichs Politik "selbst erzeugten Pseudo-Notstands" im Flüchtlingszentrum. Zugleich ist die Übernahme von Asylwerbern durch die Slowakei in Gefahr.

„Ich habe so etwas in Österreich nicht für möglich gehalten.“ Heinz Patzelt, der Generalsekretär von Amnesty International Österreich, speit seinen Groll über die Zustände im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen in Niederösterreich förmlich heraus: seine Fassungslosigkeit über die „Barbarei“ vor allem gegenüber minderjährigen Flüchtlingen; seinen Zorn über diesen „Notstand aus völliger verwaltungstechnischer Inkompetenz“. Er macht kein Hehl daraus, dass er die Verantwortung für die prekäre Situation für Flüchtlinge bis hin zur Verletzung der Menschenrechtskonvention in Traiskirchen bei Österreichs Politik und Regierung sieht. Es sei ein „selbst erzeugter Pseudo-Notstand“ in einem der reichsten Länder der Welt.

Ungleich ruhiger hat davor die Teamleiterin der am 6. August erfolgten Amnesty-Überprüfung in Traiskirchen, Daniela Pichler, am Freitag in Wien den Medien Fakten im Prüfbericht erläutert. Die Erkenntnisse sind hart, wenn auch großteils nicht neu: 1500 von mehr als 4000 Menschen haben in Traiskirchen kein Dach über dem Kopf, weil sie in Zelten oder im Freien übernachten müssen; es gibt keine Nummernausgabe und kein Wartesystem für Neuankömmlinge; für besonders Schutzbedürftige wie Minderjährige und Frauen besteht „kein ausreichender Schutz“; Duschplätze für Frauen sind nicht einmal durch Vorhänge abgetrennt.

Durchgriffsrecht

Fazit Pichlers: „Es gibt derzeit keine angemessene Unterbringung von Flüchtlingen.“ Busse auf dem Gelände der angrenzenden Sicherheitsakademie als Ersatz für feste Quartiere kämen einer „unmenschlichen Behandlung gleich“. Für Patzelt gibt es zwei Hauptforderungen: das Durchgriffsrecht des Bundes gegenüber Ländern und Gemeinden für Quartiere „muss endlich Wirklichkeit werden“; Kinderrechte müssten eingehalten werden. Der Gesetzesentwurf zum Durchgriffsrecht „hängt“ noch im Parlament. Es gibt Widerstände: So fordert Kärnten nun eine Obergrenze. Die Zahl der Flüchtlinge dürfe maximal ein Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Für Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) gibt es inzwischen ein neues Problem. Die Überstellung von 500 Asylwerbern nach Gabcikovo in der Slowakei ist gefährdet. Denn nach dem Nein der Bevölkerung bei einer Abstimmung sagt nun der slowakische Premier, Robert Fico: „Lasst uns abwarten.“ Österreich und die Slowakei haben freilich bereits im Juli einen Vertrag über die Flüchtlingsübernahme unterzeichnet.

Zelte aus Kärnten

Etwas Erleichterung für Traiskirchen sollten zwölf Zelte aus Althofen bringen, die in der Kärntner Stadtgemeinde abgebaut wurden. "Sie wurden nach Traiskirchen gebracht", bestätigte Bürgermeister Alexander Benedikt im Gespräch einen Bericht der Online-Version der "Kleinen Zeitung". Die Maßnahme wurde mit dem aktuellen "Notstand" im niederösterreichischen Erstaufnahmezentrum begründet.

Ab sofort bekommt die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen Zugang zum Flüchtlingslager in Traiskirchen. Das gab die Organisation am Freitagabend nach einem Gespräch mit Vertretern des Innenministeriums bekannt. Sowohl Ärzte ohne Grenzen als auch ein Sprecher des Innenressorts berichteten von "sehr konstruktiven Gesprächen", bei denen die NGO auch ihre Kritik am Zustand im Lager darlegte. Man wolle eine Bestandsaufnahme tätigen; es gehe dabei nicht um Schuldzuweisungen, sondern darum, zu schauen, wie man den Betroffenen vor Ort am besten helfen kann, sagte  Österreich-Präsidentin Margaretha Mahle 

ett

Fakten

Amnesty-Prüfung. Vertreter von Amnesty International haben das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen am 6. August, einen Tag nach Verhängung des Aufnahmestopps für neue Asylwerber, besucht. Es wurde mit 30 Asylwerbern gesprochen, ebenso mit der Firma ORS, die seit 2011 die Betreuung und Administration in Traiskirchen innehat.

Obdachlos. 1500 Menschen waren laut Bericht ohne ein Dach über dem Kopf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.08.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

LUXEMBOURG FOREIGN AFFAIRS COUNCIL
Innenpolitik

Integration von 30.000? „Schaffen wir!“

Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz ist sich sicher, dass die Integration der Flüchtlinge gelingt. Gleichzeitig müsse der Andrang reduziert werden.
Asyl: Oberhauser überlegt Einsatz syrischer Ärzte
Politik

Asyl: Oberhauser überlegt Einsatz syrischer Ärzte

Die Ärzte könnten auch ohne Nostrifikation als Berater in Asyleinrichtungen eingesetzt werden, erklärt die Gesundheitsministerin. Vorbild ist Deutschland.
Knapp 160 Flüchtlinge übernachteten auf Wiens Bahnhöfen
Wien

Knapp 160 Flüchtlinge übernachteten auf Wiens Bahnhöfen

Betreut wurden die Flüchtlinge vom Roten Kreuz, der Caritas und freiwilligen Helfern. Die meisten reisten am Freitag nach Deutschland weiter.
EUROPAeISCHES FORUM ALPBACH 2015: EROeFFNUNG 'POLITISCHE GESPRAeCHE' / KURZ
Politik

Flüchtlinge: Österreich zahlt zwei Millionen für humanitäre Hilfe

Das Geld aus dem Auslandskatastrophenfonds soll in Programme in Syrien, der Türkei, dem Libanon sowie im Irak fließen.
Oberösterreich: Pfarrer gibt afghanischer Familie "Kirchenasyl"
Politik

Oberösterreich: Pfarrer gibt Flüchtlingsfamilie "Kirchenasyl"

Die beabsichtigte Rückführung der Flüchtlinge nach Ungarn sei unmenschlich, erklären Pfarrer und Bürgermeister von St. Georgen an der Gusen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.