Traiskirchen: Viel Leid bringt einem Unternehmen viel Geld

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Rund 21 Millionen Euro zahlte der Staat 2014 an das Unternehmen ORS, das die Betreuung der Asylwerber für den Bund abwickelt. Insgesamt 65 Millionen Euro setzt der Konzern jährlich um. Das Unternehmen hat Dutzende Stellen ausgeschrieben, für Traiskirchen werden Praktikanten gesucht.

Traiskirchen. Je mehr Flüchtlinge nach Österreich kommen, desto besser. Das gilt zumindest für die Firma ORS, die in Österreich die Betreuung der Asylwerber in Quartieren des Innenministeriums abwickelt. Ganze 21 Millionen Euro flossen 2014 in die Kasse des aktiennotierten und somit klar auf Profit ausgerichteten Schweizer Unternehmens. Das ergibt eine aktuelle Beantwortung einer Anfrage der grünen Abgeordneten Alev Korun an Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. In den Verträgen finden sich spannende Details.

So bekommt die ORS etwa eine sogenannte Sockelfinanzierung – also eine gewisse Grundpauschale, die NGOs wie Caritas oder Diakonie seit Jahren verwehrt wird. Das BMI argumentiert, dass Leistungen ganz genau abgerechnet werden müssten. Derzeit bekommen NGOs 19 Euro pro Tag pro Asylwerber. Davon müssen sie Unterkunft, Verpflegung und Betreuung finanzieren. Dieser Tagsatz wurde in den letzten zehn Jahren nur ein Mal minimal erhöht, was nicht einmal annähernd die Inflation abdeckte.

Zu der Sockelfinanzierung bekommt ORS pro Asylwerber eine Pro-Kopf-Pauschale. Wie hoch diese ist, will das Innenministerium nicht sagen. Tatsache ist jedoch: Sie wird auch für jene Flüchtlinge erbracht, die in Traiskirchen ohne Dach über dem Kopf im Freien schlafen müssen – das sind derzeit noch immer weit über 1500, darunter auch Frauen und Kinder. Laut Vertrag ist ORS außerdem dafür zuständig, ausreichende medizinische und soziale Betreuung zu organisieren sowie für gute hygienische Zustände zu sorgen – all das kann die Firma bei der hohen Belagszahl von rund 4000 Menschen nicht mehr gewährleisten, wie der jüngste Bericht von Amnesty International bestätigt.

Mit Steuergeld wird derzeit eine vertraglich festgehaltene Leistung bezahlt, die nicht annähernd erbracht wird. Dennoch ist Hilfe im Lager bisher nicht erwünscht: NGOs wie die Caritas oder Ärzte ohne Grenzen bieten schon seit Langem ihre Unterstützung an, die Türen blieben bisher zu. „Es ist schade, denn die Hilfsbereitschaft der Menschen ist groß und wird völlig außen vor gelassen. Sie werden nicht mit einbezogen“, sagt Caritas-Wien-Geschäftsführer Klaus Schwertner. Das sei eben eines der Probleme, wenn gewinnorientierte Unternehmen derartige Betreuung übernähmen: „Da wird getan, was vertraglich aufgetragen wird – und mehr dann eben auch nicht.“ Das liegt neben den vertraglich definierten Aufgaben wohl aber auch an den fehlenden personellen Ressourcen.

Praktikanten gesucht

Laut Anfragebeantwortung arbeiten derzeit 75 Sozialbetreuer in Traiskirchen. Diese sollten laut Vertrag eine abgeschlossene Ausbildung im Pädagogik-, Sozial- bzw. Pflegebereich haben – oder eine mehrjährige Berufspraxis im vorliegenden Tätigkeitsbereich. „Ehrlich, das hat von den Kollegen kaum jemand“, sagt ein Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte. In seinem Vertrag wurde Schweigepflicht zu den Arbeitsbedingungen vereinbart. „Hier zu arbeiten ist hart – vor allem psychisch. Wir sind froh, wenn wir irgendjemanden finden, der sich das antut“, sagt er. Diesen Eindruck bekommt man auch, wenn man sich die Dutzenden Jobausschreibungen auf der ORS-Seite ansieht. Beinahe in jeder Bundesbetreuungsstelle wird gesucht. So dringend, dass auch um Praktikanten gebuhlt wird, die durchaus dafür gut bezahlt werden. Rund 1863 Euro bezahlt die Schweizer Firma monatlich. Als Voraussetzung wird eine laufende Ausbildung gefordert.

Bis 2011 betreute in Traiskirchen die Firma European Homecare. Sie kündigte den Vertrag, weil das Geschäft nicht rentabel genug war. Die ORS darf sich nicht beklagen: Rund 65 Millionen Euro setzt das in Österreich, Deutschland und der Schweiz tätige Unternehmen, hinter dem auch die Barclays Bank steht, um. Der Vertrag mit dem BMI ist nicht befristet – eine weitere Ungewöhnlichkeit. „Das ist wirklich sehr selten“, sagt Vergaberechtsexperte Stephan Heid. Aus rein wirtschaftlicher Sicht sei es auch sinnvoll, immer wieder Ausschreibungen zu machen. Dazu steht in den Verträgen, dass Dritte einfach in den Vertrag ohne Ausschreibung aufgenommen werden können – auch das sieht er kritisch. Inwieweit das der Fall ist und welche Subunternehmen beschäftigt sind, geht aus den Verträgen nicht hervor. Die Anhänge wurden vom BMI nicht veröffentlicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2015)

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