Jihadisten im Flüchtlingsstrom? Verfassungsschutz beobachtet

Flüchtlinge warten im Hafen von Palermo darauf, an Land gehen zu können. Der österreichische Verfassungsschutz will die Menschenmassen so gut wie möglich im Auge behalten.
Flüchtlinge warten im Hafen von Palermo darauf, an Land gehen zu können. Der österreichische Verfassungsschutz will die Menschenmassen so gut wie möglich im Auge behalten.(c) REUTERS
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Die Asylwerber-Flut aus dem Nahen Osten könnte als Tarnung für einsickernde Jihadisten dienen. Staatsschutz-Analysen halten das Risiko für gering. In Deutschland spricht man von „abstrakten Hinweisen auf entsprechende Absichten des IS“.

Wien. Hunderte Personen strömen täglich als Kriegs- und auch Wirtschaftsflüchtlinge über Österreichs Grenze. Viele wollen hier bleiben, noch mehr haben andere EU-Staaten als Reiseziel. Die unübersichtliche Lage der von kriminellen Schleppern befeuerten Migrationsbewegung öffnet auch eine andere Flanke des staatlichen Sicherheitsapparats: Die Vielzahl an Schutzsuchenden eignet sich als Versteck und Vehikel für jihadistisch motivierte Terroristen, um in der Masse unbemerkt in Europa einzusickern. Der österreichische Staatsschutz setzt derzeit eine weitere Maßnahme gegen die (noch) abstrakte Bedrohung.

Mit Anfang der Woche hat das Innenressort einen zentralen Stab zur akuten Migrationslage installiert. Darin vertreten sind – neben externen Hilfsorganisationen – vor allem Stellen des Hauses, die sich mit der Abwicklung der Asylanträge sowie der Verfolgung von Schlepperkriminalität befassen. Und: das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT).

Der Hintergrund für die Beteiligung der Staatsschützer am (vorerst) bis Ende Oktober installierten Stab ist, dass der Flüchtlingsstrom längst eine sicherheitspolitische Relevanz bedeutender Größe angenommen hat. Oder anders formuliert: Das BVT soll alle anderen im Stab vertretenen Abteilungen über terroristische Bedrohungen informieren, die sich aus der jeweiligen Lage an den Grenzen des Landes oder Europas ergeben.

„In unseren derzeitigen Analysen wird nicht ausgeschlossen, dass potenzielle Terroristen mit der Masse von Flüchtlingen nach Österreich geschleppt werden“, sagt ein BVT-Mann der „Presse“. „Sehr wahrscheinlich ist es jedoch nicht.“

Hohes Aufgriffsrisiko an Grenzen

Der Staatsschutz stützt seine aktuelle Bewertung dieses Bedrohungsfelds insbesondere auf zwei Tatsachen. Erstens: Angesichts der für die Lage sensibilisierten Sicherheitsapparate in Europa ist das Risiko, derzeit bei der Einreise nach Österreich oder Europa erwischt zu werden, relativ hoch. Zweitens: Es zahlt sich – aus der Sicht von Terroristen – insbesondere dann nicht aus, dieses Risiko einzugehen, wenn dadurch gut ausgebildete Spitzenkräfte des IS oder der unterschiedlichen al-Qaida-Gruppierungen Gefahr laufen, aufzufliegen. Zwar verfügt vor allem der IS über beachtliche Ressourcen kampfwilliger Männer. Topleute, die über die nötigen Fähigkeiten in konspirativem Verhalten, Sprachen, Waffen und letztendlich auch Sprengstoff verfügen, sind jedoch selten. Der Staatsschutz hält es deshalb für wahrscheinlicher, dass solche Personen – wenn überhaupt – auf konspirativeren Wegen als jenen der Schlepper in die Union gelangen.

Dennoch steht das BVT genau wegen dieses Bedrohungsbilds in ständigem Kontakt mit den Behörden und Diensten jener Länder, durch die die Routen der Schlepper führen. Das betrifft insbesondere die Staaten des Balkans und die dort stationierten Verbindungsbeamten des Innenministeriums. Österreich ist in diesen Ländern seit einigen Jahren schon mit Polizeiattachés vertreten, die über die nötige Vertrauensbasis bei den Behörden vor Ort verfügen. Aus diesem breiten Spektrum an Informationen erstellt das BVT nun Analysen und Lagebilder, die das Amt laufend aktualisiert dem neuen Migrationsstab zur Verfügung stellt. „Bisher“, so der Staatsschutz-Mitarbeiter, „haben sich aus der Beobachtung des Flüchtlingsstroms noch keine Festnahmen oder Erkenntnisse im Zusammenhang mit jihadistischem Terrorismus ergeben“.

Einzeltäter vor Ort mit mehr Bedeutung

Die Analysen des BVT decken sich mit jenen aus Deutschland, wo operativ des Bundeskriminalamt (BKA), in der Aufklärung jedoch auch Bundesnachrichtendienst (BND) und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) für die Terrorabwehr verantwortlich sind. Laut einem der „Presse“ vorliegenden Regierungsbericht „liegen abstrakte Hinweise auf entsprechende Absichten des IS vor“, dass dieser Kämpfer nach Europa bzw. Deutschland schicken will, um dort terroristische Anschläge vorzubereiten. Konkretisiert habe sich diesbezüglich jedoch nichts. Deshalb schätzen deutsche Sicherheitsbehörden die Gefahr, die von radikalisierten, bereits im Land befindlichen Einzeltätern ausgeht, auch als höher ein.

Dabei berichtet die deutsche Terrorabwehr von einer weiteren bemerkenswerten Parallele zu Geschehnissen, wie sie auch schon hierzulande stattgefunden haben. In einigen wenigen Fällen hätten sich Bewohner von Asyl-Aufnahmezentren an die Behörden gewandt, die Mitbewohner der IS-Mitgliedschaft verdächtigten. Und zwar – zumindest bisher – stets in verleumderischer Absicht.

Im Wiener Innenministerium nehmen die mit dem Themenkomplex befassten Abteilungen das abstrakte Bedrohungspotenzial, das von im Flüchtingsstrom gleichermaßen mitschwimmenden Terroristen ausgehen könnte, ernst. Gleichzeitig hält man sich bei der Kommunikation dieser Bedrohung nach außen auf den offiziellen Kanälen bewusst zurück. In der angespannten Lage will niemand Öl ins Feuer jener gießen, die Zuwanderer und Flüchtlinge grundsätzlich als Bedrohung darstellen. Denn auch das, so ein Beamter, habe negativen Einfluss auf die öffentliche Sicherheit. Die Gratwanderung zwischen sachlich argumentierbarer Verschwiegenheit und dem Vorwurf von Intransparenz ist heikel.

Mit dem gezielten Einschleusen unerwünschter Personen in den Flüchtlingsstrom hat man hierzulande übrigens schon Erfahrungen gemacht. In den vergangenen Jahren stellte sich heraus, dass sich im Strom der Schutzsuchenden aus Tschetschenien auch Agenten des Regimes der russischen Teilrepublik befanden. Diese Personen sollen in Österreich nach Ansicht des Staatsschutzes sogar an Morden beteiligt gewesen sein. Zuletzt gipfelte eine Familienfehde von zweien von ihnen in einer blutigen Schießerei am Stadtrand von Wien.

AUF EINEN BLICK

Der starke Zustrom von Flüchtlingen eignet sich aus der Sicht jihadistisch motivierter Terroristen dazu, in den Massen von Menschen gleichsam unterzutauchen und so auf diesem Weg in Österreich bzw. Europa einzusickern. Zumindest theoretisch. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) hält diese Bedrohung in aktuellen Analysen für möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Grund für die Annahme: Gut ausgebildete Anschlagteams sind rar und entsprechend wertvoll. Gleichzeitig ist das Risiko, erwischt zu werden, trotz der unübersichtlichen Lage an Europas Grenzen immer noch vergleichsweise hoch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2015)

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