Nach Genen fischen

(C) „Hellbender Cryptobranchus alleganiensis“ von Brian Gratwicke - originally posted to Flickr as Hellbender Cryptobranchus alleganiensis. Lizenziert unter CC BY 2.0 über Wikimedia Commons
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Erst ging es an DNA von Tieren und Pflanzen, nun an Umwelt-DNA: In einem Brösel Erde zeigen sich alle dortigen Lebensformen, heutige und uralte.

Schmal ist er nicht, der Schlammteufel, und ein Teufel ist er natürlich auch nicht, obwohl das auch in seinem englischen Namen anklingt: Hellbender. Aber teuflisch schwer zu finden ist er schon, der Amerikanische Riesensalamander, der auf dem Grund von Bergbächen lebt und seinen bis zu 75 Zentimeter langen Körper gern unter Steinen verbirgt. Wer ihn erforschen will, der braucht Geduld und Kraft und Instrumente zum Heben der Steine, dann muss er ins kalte Wasser springen, um die Beute zu bergen. Die mag das nicht, vielleicht kommt daher ihr englischer Name, eigentlich meint er das wilde Geschehen einer durchzechten Nacht.

Einer solchen könnte eine Idee entsprungen sein, die Steven Spears 2013 hatte. Spears ist Konservationsbiologe an der University of Idaho, er müht sich um die Erhaltung des Salamanders, der hat stark zu kämpfen mit der Verschmutzung der Gewässer. Man weiß jedoch wenig von ihm, man kennt nicht einmal sein Verbreitungsgebiet, Spears will die verbliebenen Habitate dokumentieren. Aber er kann nicht jeden Riesenstein in jedem Bachbett umdrehen. Also schöpfte er einfach ein wenig Wasser aus Bächen, von denen er wusste, dass es Schlammteufel dort entweder gibt oder nicht. Beobachtende Angler verlachten ihn, er selbst empfand sich auch als „närrisch“, er tat es doch – und schüttete das Wasser dann in DNA-Sequenzierautomaten.

Mit solchen Analysen hatten Mikrobiologen in den 1990er-Jahren begonnen, sie wollten die Vielfalt der Bodenbakterien dokumentieren: Viele Bakterien kann man nicht im Labor kultivieren, aber ihre DNA ist in der Umwelt, etwa im Boden, dort ging man fischen, nach „dirtDNA“, später erweiterte man auf „eDNA“, das e steht für environment, aus geringsten Proben kann man die ganze Fülle des Lebens extrahieren bzw. herausrechnen. Craig Venter etwa, der im Alleingang das Genom des Menschen und vieler anderer Lebewesen sequenzierte und deshalb als „Gen-Hexer“ galt – „Scorcerer“ –, umsegelte mit seiner Jacht Scorcerer II die halbe Erde und zog Proben aus allen Ozeanen, er wollte mit Bakteriengenen die Welt retten, etwa die Energiegewinnung revolutionieren.

Dann wandte er sich der Luft zu, installierte auf einem Hochhaus in New York einen Filter, durch den am Tag 1400 Kubikmeter Luft gingen. Aber das „Air Genome Project“ brachte selbst den Hexer an seine Grenzen – es sind doch eher wenige Bakterien und Viren in der Luft –, und von seiner Weltrettung hat man auch lang nichts gehört. Stattdessen stieg im Reich der eDNA ein neuer Superstar auf, Eske Willerslev (Kopenhagen): Dem ging es nicht nur um Bakterien, sondern um das gesamte Leben in einer Umwelt. Zum Einüben zog er in Zoos Bodenproben aus Gehegen etwa von Elefanten und Löwen, darin fand er deren Gene.


Genspuren in der Tränke. Dann kam das Gesellenstück, diesmal in Wasser: In dem eines Sees fand Willerslev DNA von Rehen, die vor Wochen dort trinken waren, sie hatten Spucke hinterlassen. eDNA kann auch mit anderen Körperausscheidungen in die Umwelt geraten, mit Haaren oder Eierschalen oder Blättern etc. Und DNA kann lang in der Welt bleiben, nicht nur in Zähnen und Knochen – das bisher älteste sequenzierte Genom ist das eines Pferdes, das vor 700.000 Jahren lebte –, sondern auch in der Umwelt. Zwar zerfällt DNA dort meist rasch, und Bakterien machen sich über sie her. Aber sie kann auch schier ewig halten, wenn sie etwa an tonige Mineralien gebunden ist oder im Frost geborgen liegt.

Am besten beides: 2003 holte Willerslev Sediment aus sibirischem Permafrost, bis 400.000 Jahre alt, und doch fand sich aDNA – a wie ancient – von vielen Pflanzen, auch von Bisons und Mammuts. Und es muss gar nicht so eisig sein, auch Höhlen kühlen, in einer in Neuseeland fand sich DNA von Moas, flugunfähigen Vögeln, die auf der Insel lebten, bis der Mensch kam (Science 300, S.791). Dann zog es Willerslev wieder in den Norden, in seinen ersten Proben waren ihm große Veränderungen der Pflanzengesellschaften über die Jahrtausende aufgefallen.

Nun wollte er das Geschehen der vergangenen 50.000 Jahre im Detail rekonstruieren. Dazu nutzt man für gewöhnlich Pollen, aber die können trügen, manche Pflanzen, Gräser, haben viel, andere, Blumen, haben wenig, das verzerrt das Bild. Willerslev nahm also wieder Bodenproben – klein wie Zuckerstücke –, diesmal im Permafrost am Yukon (Nature 506, S.47): In der Zeit vor und auf dem Höhepunkt der Eiszeit – vor 25.000 bis 15.000 Jahren – gediehen krautige Blumen wie Scharfgarben in großer Vielfalt, deren Gene fanden sich auch im Darminhalt großer Graser wie Mammuts, die Gegend war trocken und kalt. Dann wurde es wärmer und feuchter, die Blumen wichen Gräsern und Büschen, die sind weniger nahrhaft. Und dann lebten die großen Graser nicht mehr lang, warum ist umstritten, Willerslev hält es für „verlockend zu sagen, dass der Verlust der Hauptfutterquellen zum Untergang dieser Tiere führte“. (Science 349, S.367)

Wie auch immer, dem Schlammteufel soll es nicht so ergehen, und Spears behielt gegen den eigenen Zweifel und den Spott der Angler recht: Die Gene im Wasser verrieten die Standorte. Das hatten sie schon in stehenden Gewässern getan – bei Fröschen –, nun in fließenden (Biological Conservation 183, S.38), das Verfahren bewährte sich inzwischen auch bei Lachsen in Nordamerika und Stören in Russland. Den nächsten Schritt will Stefano Mariani (University of Salford) wagen, auch er ist ein Konservationsbiologe, kümmert sich um Haie, will also in die Meere.

Aber nicht immer geht es um Erhaltung, mit eDNA kommt man auch sog. Bioinvasionen auf die Spur, das sind Pflanzen und Tiere, die von Menschen in neuen Regionen verbreitet werden, etwa die Pythons, die sich seit einigen Jahren in den Sümpfen Floridas breitmachen. Sie wachsen sich zu einer immer größeren Plage aus, auch zur Bedrohung anderer Tiere, und so einfach sind sie gar nicht zu finden, eDNA aus Wasser soll Fängern den Weg weisen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

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