Restplatzbörse Politik

SONDERSITZUNG DES NATIONALRATES: �BERSICHT
SONDERSITZUNG DES NATIONALRATES: �BERSICHT(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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Parteien rekrutieren ihr Spitzenpersonal fast ausnahmslos aus dem eigenen Stall. Das widerspricht dem Leistungs- gedanken und führt dazu, dass sich junge Menschen nicht mehr engagieren, findet Ex-Vizekanzlerin Susanne Riess.

Neben der Kirche ist die Politik eine jener Branchen, die wahrscheinlich die größten Nachwuchs- und Rekrutierungsprobleme haben. In der Schweiz werben die Kapuziner-Mönche schon per Stelleninserat mit einer „Lebensstelle, die Spiritualität, Gebet und soziale Sicherheit bietet“. Ein Modell auch für die Politik? Wie könnte ein Inserat für potenzielle Politiker aussehen? „Wir bieten eine befristete Stelle mit hohem Reputationsrisiko und durchschnittlichem Gehalt. Vorausgesetzt wird ein absolut integrer Lebenswandel inklusive untadeliger Vergangenheit. Flexible Integration in eine Parteiorganisation und hohe Flexibilität in Gesinnungsfragen sind für die Karriere von Vorteil.“

Überspitzt? Natürlich! Aber diese fiktive Ausschreibung ist nahe an der Realität. In den beruflichen Stationen meines Lebens waren Personalmanagement und -planung immer ein wesentlicher Teil meiner Aufgabe: ob als Parteichefin, als für den Bundesdienst verantwortliche Ministerin oder jetzt als Vorstandsvorsitzende eines Unternehmens, in dem ich die Verantwortung für mehr als 2500 Mitarbeiter trage.

Am Anfang steht die Frage, woher rekrutiert wird. In der Politik ist die Antwort eindeutig: überwiegend aus dem eigenen Apparat. Sehr zum Unterschied von Unternehmen werden Sie auf den Websites etablierter Parteien kaum Stellenangebote finden. Ausnahmen sind die CDU, die zurzeit einen IT-Entwickler und einen Mitarbeiter für das Kommunikationsteam Nordrhein-Westfalen sucht, und die Demokratische Partei in den USA, wo sogar führende Stellen im Marketing ausgeschrieben werden.

Ist die Kandidatensuche per Inserat ein Rezept für die Zukunft? Natürlich nicht. Es ist jedoch bezeichnend, dass Parteien im Regelfall auch bei der Besetzung operativer, gänzlich unpolitischer Funktionen fast ausnahmslos auf Leute aus dem eigenen ideologischen Lager setzen. Oder anders gesagt: Wer über keinen entsprechenden Stallgeruch verfügt, wird allein mit fachlicher Kompetenz nicht reüssieren. Im Vergleich dazu kann die Wirtschaft durch die offenen Ausschreibungen aus einem wesentlich größeren Reservoir an kompetenten Bewerbern auswählen.

Bei der Auslese für politische Funktionen aus dem Pool der Parteifreunde gibt es ein weiteres Problem, das aus dem hehren, aber jeglichem Leistungsprinzip widersprechenden Modell der Basisdemokratie resultiert: Im Regelfall setzen sich bei internen Wahlen jene Kandidaten durch, die am meisten Zeit für die Partei und damit auch für die Eigenwerbung haben. Wir reden hier also einerseits von Berufspolitikern oder Funktionsträgern aus geschützten Bereichen, andererseits – und leider gar nicht so selten – von Menschen, die in ihrem zivilen Beruf nicht übermäßig erfolgreich oder ausgelastet sind. Wer meint, das sei eine zynische Übertreibung, soll sich die Auswahlmechanismen in Parteien vor Augen halten.

Ein Beispiel: Kein Vorsitzender einer etablierten Partei kann die Kandidatenliste für eine Nationalratswahl selbst bestimmen. Solche Listen sind das Ergebnis kaskadenartiger Wahlgänge auf Gemeinde-, Bezirks- und Landesebene, dazu eines Interessenausgleichs zwischen Bundesländern, Vorfeldorganisationen (Frauen, Jugend, Senioren etc.), Wirtschafts- und Arbeitnehmerorganisationen oder ähnlichen Interessengruppen. Mit viel Glück bleiben für die Parteiführung noch ein paar Restplätze auf der Bundesliste zu besetzen, falls die nicht auch für „verdiente“, aber regional zu kurz gekommene Funktionäre zu reservieren sind.

Kein Manager könnte unter solchen Bedingungen erfolgreich eine Organisation leiten. Einer der zentralen Erfolgsfaktoren von Organisationen jedweder Art und Größe ist meiner festen Überzeugung nach das bestmögliche Human Ressources Management. Führungskräfte sind verantwortlich für die Erbringung von Leistung und Kreativität als wesentliche Parameter für den Unternehmenserfolg. Dieser Verantwortung kann man jedoch nur gerecht werden, wenn man eine aktive Personalplanung betreibt, Mitarbeiter syste-matisch fördert und weiterbildet, aktives Talentmanagement betreibt und ja, auch aktives Trennungsmanagement.

Um es an einem Beispiel ganz simpel zu sagen: Würden in einem Unternehmen neun Landesdirektoren in ihren jeweiligen Regionen für fünf Jahre gewählt und wären de facto unabsetz- bar; hätten sie keine Mitverantwortung für das Gesamtunternehmensergebnis und läge es in ihrem eigenen Ermessen, ob sie die Unternehmensziele in ihrem Bereich unterstützen oder nicht, wie lange könnte ein solches Unternehmen erfolgreich im Wettbewerb bestehen?

Ja, natürlich ist Basisdemokratie eine wunderbare Vision, sie führt nur in der Praxis zu falschen Ergebnissen. Das wurde sogar in jenen Parteien schmerzhaft erkannt, die sie in bester Absicht idealtypisch verwirklichen wollten. Und ja, natürlich wollen wir eine repräsentative Demokratie, in der die politischen Entscheidungsträger die Vielfalt der Bevölkerung widerspiegeln. Aber es sollten eben nicht die emsigsten Parteifunktionäre, sondern die besten Repräsentanten der verschiedenen Gruppen und Interessen sein.

Mangelnde Durchlässigkeit. Die mangelnde Durchlässigkeit zwischen Wirtschaft und Politik halte ich für das größte Hindernis, wenn es darum geht, aktives politisches Engagement wieder zu einer attraktiven Karriereoption für Menschen außerhalb der klassischen Netzwerke zu machen. Die Ausübung einer politischen Funktion und das damit zwangsläufig verbundene Engagement für eine bestimmte Partei sind – anders als früher und auch anders als anderswo, etwa in den USA – echte Karrierekiller in der Wirtschaft.

Für Menschen mit einem Angestelltenverhältnis in der Privatwirtschaft ist die Ausübung eines Mandats de facto überhaupt unmöglich geworden. Im Gegenteil, heute gilt es schon als anrüchig, neben der Politik in einem zivilen Beruf tätig zu sein. Neben Vertretern aus den klassischen Rekrutierungspools der Parteien, Sozialpartnerorganisationen und des öffentlichen Dienstes findet man kaum mehr von den Institutionen unabhängige Mandatare. Abgesehen vielleicht von dem einen oder anderen Millionär, der zusätzlich zum wirtschaftlichen Erfolg noch eine andere Form der Selbstbestätigung sucht. Ein Modell, das sich jedoch bislang auch noch nirgends bewährt hat.

Wirklich fatal aber ist die dramatisch sinkende Bereitschaft junger Menschen, sich in den klassischen politischen Institutionen zu engagieren. Und dies, obwohl keineswegs von einem sinkenden Interesse der jungen Generation an politischen Themen die Rede sein kann. Im Gegenteil. In Bürgerinitiativen, auf Social-Media-Plattformen und in NGOs ist das Engagement enorm. Der Glaube daran, im Rahmen einer klassischen Parteikarriere Veränderungen bewirken zu können, ist jedoch so gut wie nicht mehr vorhanden. Und weitestgehend leider zu Recht.

Nur in seltenen Ausnahmefällen gelingt es jungen Menschen, in politische Entscheidungsebenen vorzudringen. Ein Beispiel dafür ist Sebastian Kurz, der in zwei besonders sensiblen Themenbereichen, der Integrations- und der Außenpolitik, den größten Zweiflern den Wind aus den Segeln genommen hat. Im Regelfall aber werden junge, aufstrebende und offenkundig ehrgeizige Kandidaten von den etablierten Platzhirschen mal für mehrere Jahre auf die Ersatzbank verbannt. Gerade diejenigen, die Mut und Willen zu Veränderungen haben, haben verständlicherweise nicht die Geduld, sich jahrelang die klassische Parteihierarchie hinaufzukämpfen. Und denen, die es versuchen, gehen unterwegs oft die Begeisterung und das Feuer verloren.

Wer will da rein? Gerhard Schröder hat der Überlieferung nach schon mit 18 Jahren an den Toren des Kanzleramtes in Bonn mit den Worten „ich will da rein“ gerüttelt. Kennen Sie einen 18-jährigen kreativen Burschen, der gern mit Werner Faymann tauschen würde? Zum Unterschied zu vielen anderen bin ich nicht der Meinung, dass der finanzielle Faktor das Haupthindernis bei der Rekrutierung von Top-Leuten für die Politik ist. Es ist vielmehr der teilweise menschenverachtende Umgang unter „Parteifreunden“ und die mediale Häme, die beim geringsten Schwächezeichen losbricht. Kaum taucht ein neuer Name auf, laufen die Telefone in den Redaktionsstuben heiß. Alle sind auf der Suche nach einem dunklen Punkt in der Vergangenheit: Ein Parkvergehen, einmal zu tief ins Glas geschaut, oder noch besser eine nicht solo verfasste Doktorarbeit, und schon ist der Skandal perfekt.

Welche Art von Politikern hätten wir denn gern? Das ist eine Frage, die sich jeder Wähler vor jedem Urnengang stellen sollte. Ich kann sie nicht allgemeingültig, sondern nur für mich beantworten: Ich hätte gerne Politiker, die keine Heiligen sind; die Fehler gemacht haben, dazu stehen und – vor allem – daraus gelernt haben; die etwas tun und nicht etwas sein wollen; die nicht von Coaches zu Kunstfiguren stilisiert wurden, sondern noch in ihrer Eigenart erkennbar, die noch „Typen“ sind; die nicht ex cathedra dozieren, sondern bereit sind, ihre Glaubensgrundsätze permanent zu hinterfragen und – bei Bedarf – Irrtümer zu revidieren.

Solche Politiker werden wir nur bekommen, wenn wir Wähler haben, die nicht jene belohnen, die die meisten Hände schütteln, sondern diejenigen, die für die komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts (Finanzkrisen, demografische Entwicklungen, Migration etc.) am besten gerüstet sind. Das sind im Regelfall aber auch jene, die unangenehme Wahrheiten statt rhetorischer Placebos anzubieten haben.

Steckbrief

Susanne Riess
(vormals Riess-Passer) war zwischen 2000 und 2003 Vizekanzlerin sowie Beamten- und Sportministerin in der schwarz-blauen Regierung unter Wolfgang Schüssel, außerdem FPÖ-Chefin. Nach einem Zerwürfnis mit ihrem politischen Mentor Jörg Haider kündigte sie 2002 – gemeinsam mit Finanzminister Karl-Heinz Grasser und FPÖ-Klubchef Peter Westenthaler – ihren Rückzug an. Die Koalition platzte, es kam zur Neuwahl.

Seit 2004
ist die heute 54-jährige Oberösterreicherin Generaldirektorin der Wüstenrot-Gruppe.
Clemens Fabry

BUCHTIPP

Der Text von Susanne Riess stammt aus dem Buch „Dagegen sein ist nicht genug“, das am Montag (31. August) im Verlag Kremayr & Scheriau erscheint. Herausgeber ist der Politikexperte Thomas Hofer, der Preis beträgt 22 Euro.

Weitere Autoren
sind – unter anderen – Irmgard Griss, Rudolf Hundstorfer, Sebastian Kurz, Reinhold Mitterlehner, Josef Moser, Erwin Pröll, Anneliese Rohrer, Hermann Schützenhöfer und Franz Vranitzky.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

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