Ein Sonnenkönig und seine Schattenseiten

(C) Wikipedia/ Hyacinthe Rigaud (1659–1743)
  • Drucken

Vor 300 Jahren starb Ludwig XIV. Den Thron bestieg er als Vierjähriger, mit zehn hatte er die wesentlichen Kulturtechniken eines Monarchen bereits erlernt.

Der König hat Paris verlassen? Das Gerücht verbreitete sich im Februar 1651 wie ein Lauffeuer, und das mit gutem Grund: Nachdem die königliche Familie das letzte Mal Hals über Kopf aus dem Palais Royal geflohen war, marschierten die Ludwig XIV. ergebenen Truppen wenig später gegen Paris und schnitten die Hauptstadt von der Versorgung ab. Mitten in einem besonders harten Winter. Die Erinnerung an die Hungersnot war noch frisch.

Ludwigs Gegner – die „Fronde“, in der sich Teile des hohen Adels und der Gerichtsbarkeit gegen Monarch und Regierung stellten, tobte seit 1648 – forderten den Beweis des Gegenteils. Eine bedrohlich anschwellende Menschenmenge belagerte das Palais, also ließ Ludwigs Mutter Anna von Österreich einen militärischen Führer der Fronde ins Schlafzimmer des jungen Königs, damit er sich von dessen Präsenz überzeugen konnte. Doch das genügte dem Mob nicht, und so sah sich Anna gezwungen, eine ganze Schar aus der wütenden Menge in die Gemächer einzulassen, um Schlimmeres abzuwenden. Ludwig stellte sich schlafend, die Meute zog ab. Absolute Macht – und kaum ein Wort ist enger mit Ludwig XIV. verbunden – und absolute Ohnmacht, selten lagen sie so nah beieinander.

Ludwig war zu diesem Zeitpunkt zwölf Jahre alt, stand also kurz vor der Volljährigkeit (mit 13), und war, wie der Münchner Historiker Mark Hengerer schreibt, bereits „mit zehn Jahren weitgehend geformt und beherrschte die Formen, die Haltungen und Gesten, die einen König von Frankreich ausmachten“. Das Kleinkind lernte König zu sein „on the job“, als sein Vater Ludwig XIII. 1643 starb. Keine fünf Jahre war er alt, da nahm er das erste Treueversprechen entgegen, im Folgejahr unterzeichnete er einen Allianz-Vertrag mit England, wieder ein Jahr später tanzte er auf seinem ersten Ball.


Lebensbedrohliche Pocken. Doch was ihn in seiner Kindheit – sofern der Begriff angemessen ist – vor allem prägte, war das Gefühl der Ohnmacht. Körperlich und politisch. Er erkrankte in seinen ersten Jahren lebensbedrohlich an den Pocken. Und lebensbedrohlich hätte auch die Fronde sein können, die mit dem notorischen Aufrührer Gaston von Orléans von jemandem (mit-)angeführt wurde, für den Ludwig XIV. am besten nie geboren worden wäre. Denn Gaston war sein Onkel – und bis zu jenem 5. September 1638 der Erste in der Thronfolge. Er war übrigens – im Gegensatz zum Vater – bei Ludwigs Geburt anwesend. Diese musste als halb-öffentliches Ereignis inszeniert werden, schon um Gerüchte hintanzuhalten, der Thronfolger sei „untergeschoben“. Schon damals: Macht und Ohnmacht. Auch das Sterben Ludwigs 77 Jahre später sollte, diesmal freilich mit der ausdrücklichen Billigung des Monarchen, in aller Öffentlichkeit über die Bühne gehen. Ein Leben als Inszenierung bis zum letzten Atemzug.

Die Erfahrungen, die Ludwig während der Fronde machte: Niemandem war zu trauen, schon gar nicht ehrgeizigen Verwandten, Allianzen konnten rasch wechseln, und wer zu viel Macht hat, kommt nur in Versuchung, sie (gegen die Krone) einzusetzen. Ludwig zog seine Lehren. Die politisch aktiven Höchstgerichte, die sogenannten Parlamente, wurden sukzessive entmachtet, dem hohen Adel Pfründe entzogen, die Käuflichkeit von Ämtern massiv eingeschränkt. Einiges wurde noch zu Lebzeiten des im Volk unbeliebten Ersten Ministers Kardinal Mazarin ins Werk gesetzt, doch der große Reformschub setzte nach dem Tod der Grauen Eminenz 1661 ein. Mazarin war ein Auslaufmodell, auf eigenen Wunsch: Er riet Ludwig, keinen Ersten Minister mehr zu bestellen, und diesem Rat folgte der König gerne. Wozu einen Ersten Minister, wenn es doch ihn, den König, gab. Wohl hatte Jean-Baptiste Colbert, der als Begründer des Merkantilismus gilt, über Jahre eine prägende Stellung inne, mit Mazarins Machtfülle aber nicht vergleichbar.

Nein, alle Fäden sollten in Ludwigs Hand zusammenlaufen: „Ich bin über alles unterrichtet, höre auch meine geringsten Untertanen an, weiß jederzeit über Stärke und Ausbildungsstand meiner Truppen und den Zustand meiner Festungen Bescheid (..) lese die Depeschen und entwerfe teilweise selber die Antworten“, idealisierte er seine Herrschaftspraxis in den „Memoires“, der für seinen Nachfolger diktierten Bedienungsanleitung für das Königreich. Der Wiener Historiker Wolfgang Schmale schreibt von einem „professionellen Informationsmanagement“, das es erlauben sollte, die jeweils richtige Entscheidung zu treffen – zumindest theoretisch. Absolute Macht gepaart mit absoluter Perfektion, die sich auf absoluter Rationalität gründet. Und alles zum Wohle des Volkes, das er mit seinem eigenen gleichsetzte: Nicht verbürgt ist der Satz „Der Staat bin ich“. Verbürgt aber ist, was er in den „Memoires“ schrieb von der „falschen Auffassung eines angeblichen Interesses des Volkes, das dem des Königs entgegengesetzt sei“, wo doch „diese beiden Interessen ein einziges sind“.

Viel hatte seine Umgebung dem höfischen Vergnügungen (seine Mitwirkung an Balletten sorgte im Ausland für Spott) und den Frauen (mit 18 musste er wegen Tripper behandelt werden) zugetanen Monarchen nicht zugetraut, der in Tränen ausbrach, weil er seine unstandesgemäße Geliebte nicht heiraten durfte (Macht und Ohnmacht!). Was für eine Fehleinschätzung.


Reformkönig. Mit Feuereifer machte er sich an die Modernisierung Frankreichs, auf allen Gebieten. Die Rechtsordnung wurde ebenso umgekrempelt wie das Militär. Mit Hilfe drastischer Maßnahmen (ein 1661 eingesetztes Sondergericht prüfte die berüchtigten Steuerpächter, und zwar gleich 25 Jahre zurück), gelang es Ludwig und Colbert gar, eine Trendumkehr bei den Staatsfinanzen einzuleiten, Schulden abzuzahlen und sich partiell der Abhängigkeit der Kreditgeber zu entwinden. Dass Ludwig diese Erfolge durch seine vielen Kriege – Frankreich war unter ihm zeitweise eine Art „Aggressor vom Dienst“ – wieder zunichte machte, steht auf einem anderen Blatt. Kriege kosten auch Geld, wenn man sie gewinnt, wie etwa den Spanischen Erbfolgekrieg von 1701 bis 1714 gegen den Erzrivalen Habsburg.

Reichlich Geld verschlang auch die Inszenierung als – wie es der Sonnenkönig sah – erste Monarchie der Welt. Eine Inszenierung, die ihren Gipfel in Ludwigs Lebensbaustelle Versailles fand. Das Jagdschloss des Vaters transformierte er in mehreren Bauphasen zwischen 1662 und 1712 in die prächtigste Residenz Europas. Doch er musste im Alter lernen, kürzer zu treten. Symbolhaft, als er einen silbernen Thron zu Münzen verarbeiten lassen musste. Am Ende hinterließ er einen Berg Schulden. Längst war die Steuerlast wieder drückend geworden, hatte sich der König gezwungen gesehen, den Ämterkauf wieder zu forcieren und massiv Kredite aufzunehmen. Als Ludwig XIV. am 1. September 1715 starb – er hatte mit Sohn und Enkel zwei Generationen an Thronfolgern überlebt – brach in Teilen von Paris Jubel aus.

Apropos Versailles

Das von Ludwig XIV. zur Prunk-Residenz ausgebaute Schloss ist ein Gipfelpunkt monarchischer Prachtentfaltung. Doch die sanitären Bedingungen waren ausbaufähig.

Versailles sollte alle Sinne überwältigen: Von der Architektur über Garten und Innenausstattung bis hin zu Opern- und Theateraufführungen. Was allerdings dem Geruchssinn geboten wurde, war alles andere als betörend. Es mangelte schlicht an Aborten und Latrinen, und so erleichterte man sich oft, wo man eben gerade war, in den Gängen, auf den Treppen, in den Höfen, im Garten, wie Versailles-Experte William Ritchey Newton schreibt. „Die Leute p... in alle Winkel, man kann nicht aus seinem Appartement gehen, ohne jemanden p... zu sehen“, beklagte sich 1702 Liselotte von der Pfalz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.