Ostermayer: „Auch ein Kanzler hat seine Grenzen“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Josef Ostermayer hat weniger Einfluss, als alle glauben. Sagt er. Ein Gespräch über Macht und Ohnmacht, burgenländische Bescheidenheit, Versäumnisse in der Asylpolitik und die Gewaltenteilung in der SPÖ.

Wann haben Sie sich das letzte Mal ohnmächtig gefühlt?

Josef Ostermayer: Das kommt immer wieder vor, auch im Job. Als ich in den Kulturbereich eingestiegen bin, hatte ich plötzlich ein riesiges Finanzproblem im Burgtheater. Das ist dann der Moment, in dem man dasitzt und überlegt, was passieren könnte. Aber ich glaube, ich habe richtig reagiert.

Ich frage deshalb, weil Sie immer so tun, als hätten Sie keine Macht.

Ich definiere es anders: Ich habe bis 2018 eine Aufgabe übertragen bekommen und versuche die Probleme, die sich stellen, zu lösen.

Man könnte das Tiefstapelei nennen. Sie sind der engste Mitarbeiter des Bundeskanzlers, Regierungskoordinator der SPÖ und in allen wesentlichen Reformgremien dabei. Es gibt kaum eine Regierungsentscheidung, die nicht Ihren Tisch passiert.

Ich würde es nicht als Tiefstapelei bezeichnen, vielleicht ist es burgenländische Bescheidenheit.

Man sagt, Sie wüssten sehr genau, wie Sie Ihre Macht einsetzen müssen, um Interessen durchzusetzen.

Wenn damit gemeint ist, dass ich Argumente suche, um andere zu überzeugen, dann ja. Das ist Teil meiner Arbeit.

Ich fürchte, so war das nicht gemeint. Setzen Sie die Ihnen verliehene Macht manchmal auch als Druckmittel ein?

Ich habe nicht die Möglichkeit, jemanden anzuweisen. Wenn ich sage: „Der Bundeskanzler hat mich beauftragt“, wird das nicht ausreichen, um die nötigen Mehrheiten in der Regierung und im Parlament zu bekommen. Wie gesagt: Ich verwende Argumente.

Glauben Sie, dass Sie allein schon kraft Ihres Amtes einschüchternd auf Kollegen oder Parteifreunde wirken können?

Dass bestimmte Lösungen, die schon zustande gekommen sind, ein gewisser Rückhalt für neue Vorhaben sind, glaube ich schon. Aber es ist nicht die Funktion, sondern die Kraft des Wortes.

Mögen Sie die Macht?

Ich mag die Verantwortung. Und meine Funktion. Aber sie ist zeitlich limitiert, das ist mir bewusst. Viele Menschen sind wegen meines Berufs freundlich zu mir. Jemand hat einmal gesagt, dass die Funktion gegrüßt wird, nicht die Person. Davon bin ich überzeugt.

Wenn schon nicht sich selbst, wen halten Sie dann für mächtig?

Den Präsidenten der USA. Die deutsche Kanzlerin. Allein schon aufgrund der Größe ihrer Staaten.

Und in Österreich?

Natürlich hat der Bundeskanzler die operativ stärkste Funktion. Aber deshalb kann er nicht alles bestimmen. Auch ein Kanzler hat seine Grenzen.

Ländergrenzen etwa. Gemäß Realverfassung haben nämlich die Landeshauptleute die operativ stärkste Funktion, finden Sie nicht?

Auch in den Parteien gibt es Demokratie. Wenn die Landesparteichefs gegen etwas sind, wird der Parteichef keine Mehrheit in den Gremien bekommen. Die Parteien delegieren ja sozusagen von unten nach oben. Insofern gibt es auch dort eine Gewaltenteilung oder, wenn Sie so wollen, Machtteilung.

Genau: Die Landeshauptleute halten sich einen Kanzler oder Vizekanzler, der dann mit Reformvorhaben regelmäßig vor ihnen kapituliert, weil er Parteichef bleiben möchte.

Ich finde, wir haben relativ viel gemeinsam mit den Ländern reformiert – nicht zuletzt das Steuersystem. Obwohl nicht immer alle einer Meinung waren.

Fühlen Sie sich ungerecht bewertet?

Ich will jetzt nicht Kritik an der Kritik üben. Es ist die Aufgabe der Medien, zu kritisieren. Aber Erfolge werden weniger gern dargestellt als Misserfolge.

Ärgert Sie das?

Nein. Aber manchmal wäre es gut, wenn eine optimistischere Stimmungslage im Land erzeugt würde. Michel Houellebecq und Bernard-Henri Lévy haben im Buch „Volksfeinde“ den Begriff des Depressionismus geprägt. Ich habe das Gefühl, dass die Wirtschaftskrise eine allgemeine Stimmungslage des Depressionismus erzeugt hat.

Wenn man sich die Flüchtlingstragödien vor Augen führt, kann man nur in einen Depressionismus verfallen. Man hat den Eindruck, dass auch die Regierung in dieser Situation machtlos, um nicht zu sagen ohnmächtig ist.

Kaum jemand in Europa hat zu Jahresbeginn damit gerechnet, dass es diese Dimension erreicht. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière hat gesagt, dass es eine große Herausforderung ist, aber keine Überforderung. Das trifft es sehr gut. Aber keine Frage, wir brauchen eine gleichmäßigere Verteilung. In der EU und in Österreich.

Hat es in der Vergangenheit Versäumnisse in der österreichischen Asylpolitik gegeben?

Es gab sicher Momente, in denen man schneller hätte agieren müssen.

Welche?

Einige Länder haben ihre Quote oft deutlich nicht erfüllt. Aber ich will das nicht als Vorwurf formulieren. Man hat es einfach nicht geschafft, hat vielleicht nicht alle Kapazitäten eingesetzt oder die NGOs zu spät eingebunden. Auch Kardinal Schönborn hat gemeint, dass die Kirche rascher hätte reagieren müssen – obwohl sie viel gemacht hat.

Hätte man besser vorbereitet sein müssen?

Es ist nicht so, dass nichts getan wurde. Aber der Zustrom war stärker, als man abarbeiten konnte. Es ist nicht präzise vorhersehbar, wie viele Menschen fliehen.

Mit Christian Konrad wurde diese Woche ein Flüchtlingskoordinator eingesetzt. Manche interpretieren das als Versagenseingeständnis. Ist die Regierung nicht in der Lage, die Verteilung selbst zu organisieren?

Ab einem bestimmten Punkt ist es sinnvoll, eine zusätzliche Struktur aufzustellen. Das Innenministerium war auf diesen Ansturm nicht ausgerichtet. Und mit dem Durchgriffsrecht bei den Quartieren bekommt es jetzt weitere Aufgaben dazu: Liegenschaften, Container, Genehmigungen. Es war die richtige Entscheidung, Konrad einzusetzen.

Was wird er dürfen, welche Kompetenzen soll er bekommen?

Er soll das Ministerium bei diesen Aufgaben unterstützen, und er soll Länder und Bürgermeister davon überzeugen, dass es sinnvoll ist, eine bestimmte Anzahl an Flüchtlingen aufzunehmen.

Wird ihm der Gesetzgeber auch Macht in die Hand geben?

Es wird kein eigenes Gesetz gemacht, Konrad hat die Aufgabe im Rahmen der bestehenden Regeln übernommen.

Ihr Ministerkollege Andrä Rupprechter hat sich für einen Militäreinsatz samt Bodentruppen gegen den Islamischen Staat ausgesprochen, um die Ursache für die Flüchtlingsströme zu bekämpfen. Unterstützen Sie das?

Bodentruppen sind nicht Teil des Regierungsbeschlusses. Wir wollen eine Quote und Schutzzonen am Rande Europas. Im Rahmen eines UNO-Mandats könnten wir da Unterstützung anbieten.

Und persönlich? Sind Sie für Bodentruppen?

Ob andere europäische Staaten, die mehr militärische Möglichkeiten haben als Österreich, das für sinnvoll erachten, weiß ich nicht. Ich bin kein Militärexperte, der das einschätzen kann.

Können Sie einschätzen, warum es derzeit so schlecht für die SPÖ läuft? Umfragen sehen sie nur noch auf Platz drei im Bund, in Wien und Oberösterreich drohen starke Verluste.

Umfragen treffen oft nicht ein, das wissen wir. Und Landtagswahlen haben immer mit dem jeweiligen Land zu tun.

Sie glauben, dass die Bundespolitik bei den Landtagswahlen im Burgenland und in der Steiermark keine Rolle gespielt hat?

Das glaube ich schon, sonst hätten ja beide das gleiche Ergebnis gehabt.

Das sieht man in den Ländern anders. Sorgen machen Sie sich also keine um die SPÖ?

Ich mache mir immer Sorgen um die SPÖ. Und ja, es könnte besser laufen. Die Krise ab 2008, die zu hoher Arbeitslosigkeit geführt hat, war nicht gerade günstig für die Sozialdemokratie. Aber man kann sich die Phase, in der man regiert, nicht aussuchen.

Im Burgenland regiert Landeshauptmann Hans Niessl seit Juli mit den Freiheitlichen. Darf eine Partei ihre Grundsätze über Bord werfen, wenn der Machterhalt gefährdet ist?

Wäre Hans Niessl nicht mit der FPÖ in eine Regierung gegangen, hätte es die ÖVP getan. Dass ich es lieber gesehen hätte, wenn das nicht notwendig gewesen wäre, steht außer Zweifel.

Glaubwürdiger ist die SPÖ, die immer „keine Koalition mit der FPÖ auf allen Ebenen“ beteuert hat, dadurch nicht geworden.

Der Kanzler hat sofort klargestellt, dass auf Bundesebene eine Koalition mit der FPÖ nicht infrage kommt.

Hätten Sie gern noch mehr Macht? Sie könnten zum Beispiel Bundeskanzler werden.

Nein.

Warum nicht?

Wenn der Kanzler seine Verantwortung eines Tages nicht mehr wahrnehmen sollte, wird es auch bei mir so sein.

Das heißt, Sie koppeln Ihre politische Zukunft an Werner Faymann?

Ja.

Steckbrief

Josef Ostermayer
ist seit Dezember 2013 Kanzleramtsminister, zuständig für Kunst und Kultur, Medien, Sport und Verfassung, außerdem Regierungskoordinator der SPÖ. Davor war er Staatssekretär im Kanzleramt (2008 bis 2013) und Kabinettschef von Werner Faymann im Infrastrukturministerium (2006 bis 2008).

Der 54-Jährige
stammt aus dem burgenländischen Schattendorf. Nach dem Jusstudium begann er Ende der 1980er-Jahre in der Mietervereinigung, dort lernte er Werner Faymann kennen. Mit ihm wechselte Ostermayer in die Wiener Stadtregierung und dann weiter in die Bundesregierung. Der Kanzler, heißt es, treffe nur wenige Entscheidungen ohne Ostermayer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

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