Flüchtlingskinder: "Lehrer aus Pension holen"

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Die Schulen rechnen mit rund 5000 Kindern, die im Unterricht zu integrieren sind. Bevölkerungsexperte Rainer Münz will pensionierte Lehrer als Ausbildner gewinnen.

Wenn am 7. bzw. am 14.September die Schulen nach den Sommerferien wieder öffnen, werden auch zahlreiche Flüchtlingskinder im Unterricht sitzen. Die genauen Zahlen sind noch nicht klar, doch geht man im Bildungsministerium von etwa 5000 zusätzlichen Kindern im schulpflichtigen Alter aus. Um sie schneller in das System zu integrieren und auf eine Ausbildungsstufe zu bringen, auf der sie mit ihren Alterskollegen mithalten können, rät Bevölkerungsexperte Rainer Münz dazu, mehr Personal zur Verfügung zu stellen. Konkret denkt er dabei an Lehrer, die nicht mehr im System sind: „Man könnte Lehrer aus der Pension zurückholen.“

Die Idee, pensionierte Fachkräfte befristet aus der Pension zu holen, hat es zuvor auch schon in anderen Ressorts gegeben. So kündigte etwa Finanzminister Hans Jörg Schelling im Juni an, 100 pensionierte Finanzbeamte für ein Jahr aus dem Ruhestand zu holen, um sie im Kampf gegen die Steuerhinterziehung einzusetzen. Ein ähnliches Modell schwebt auch Münz vor: „Das ist ein ernst gemeinter Vorschlag. Man muss die Leute nicht zwingen, aber ich kann mir vorstellen, dass Lehrer, die bereits zwei oder drei Jahre in Pension sind, schon den einen oder anderen Gedanken daran verschwenden, ob sie hier nicht etwas beitragen können.“

Münz ist heute, Montag, Teilnehmer bei den Politischen Gesprächen des Europäischen Forums in Alpbach, bei denen er sich dem Thema „Anerkennung der Fähigkeiten von Migranten“ widmet. Gerade im Hinblick auf die Flüchtlingskrise gebe es hier viel zu tun. „Die Leute, die zu uns kommen, bringen bestimmte Qualifikationen mit. Vieles davon wäre auf dem österreichischen Arbeitsmarkt verwertbar.“ Vorausgesetzt, dass man die vorhandenen Hindernisse beseitigt. Da wären erstens die Sprachkenntnisse, die rasch auf einen guten Stand gebracht werden müssten. Als zweites Hindernis sieht Münz einen ungeklärten Aufenthaltsstatus, der den Zugang zum Arbeitsmarkt verhindert – „das sollte man rasch klären und die Leute nicht jahrelang in der Schleife warten lassen“. Oder aber den Menschen im Asylverfahren auf anderem Weg den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen, „etwa, indem man ihnen eine Rot-Weiß-Rot-Card gibt, eine Arbeitserlaubnis“.

Anerkennung von Qualifikationen

Drittens ortet Münz versteckte Barrieren im Zugang zur Arbeit, die er für hinterfragenswert hält: dass etwa qualifizierte Menschen aus formalen Gründen nicht arbeiten dürfen. „Wenn etwa jemand als Anwalt aus Kabul kommt, kann man ihn nicht sofort auf die Allgemeinheit loslassen, er hat ja ein anderes Rechtssystem gelernt. Aber man sollte nicht im Jusstudium bei null anfangen müssen, wenn man schon jahrelang als Anwalt gearbeitet hat.“ Und auch die Mediziner, die zum Beispiel jetzt unter den syrischen Flüchtlingen zu finden sind, könnte man – Stichwort Ärztemangel – schnell ins System integrieren.

Münz zieht einen Vergleich zu den türkischen Gastarbeitern, die in den 1960er-Jahren nach Österreich geholt wurden – auch, wenn die Voraussetzungen ganz anders waren, etwa, weil sie damals vor allem aus bildungsfernen Schichten angeworben wurden. „Aber aus den Integrationsversäumnissen von damals haben wir gelernt, dass wir rasch integrieren müssen.“ Es sei jedenfalls nicht hilfreich, Asylgesuche zu lange liegen zu lassen, weil man dadurch Zeit für die Integration verliere. „Und damit vergibt man auch die Chance, dass diese Menschen einen positiven Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt leisten können.“

ZUR PERSON

Rainer Münz, geb. 1954, ist Österreichs prominentester Migrations- und Bevölkerungswissenschaftler. Er leitet die Forschungsabteilung der Erste Group. Heute, Montag, ist er Teilnehmer einer Arbeitsgruppe zum Thema „Die Anerkennung der Fähigkeiten von MigrantInnen“ beim Europäischen Forum Alpbach. [ Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2015)

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