Asyl: Das neue Einfallstor des Flüchtlingsstroms

(c) Daniel Novotny
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200 Flüchtlinge und fünf Schlepper wurden in der Nacht auf Montag aufgegriffen. Die Grenze bei Nickelsdorf wird zum Hotspot der Flüchtlingsroute.

Wien. Wenn es einen Gesichtsausdruck dafür gibt, bei etwas Verbotenem ertappt worden zu sein, dann ist es wohl jener dieses Mannes, als er aus seinem dunklen Chrysler Voyager mit französischem Kennzeichen aussteigt. Die Ostautobahn (A4) bei Nickelsdorf am Sonntagabend, kurz nach 21 Uhr: Soeben wurde sein Wagen gestoppt. Er wird aufgefordert, den Kofferraum zu öffnen, zögert aber. „Hey, open it“, ruft ein Beamter. Er steckt den Schlüssel ins Schloss, rüttelt unmotiviert daran und signalisiert mit den Händen, dass die Tür klemmt. Mittlerweile stehen ein halbes Dutzend Polizisten und doppelt so viele Journalisten sowie Fotografen beim Auto.

Einer der Beamten nimmt ihm den Schlüssel ab und öffnet die Tür selbst. Im Kofferraum sitzt zusammengekauert ein Mann um die 50 und wundert sich über das plötzliche Blitzlichtgewitter. Er ist einer von zwölf Flüchtlingen aus Syrien, davon drei Kleinkinder, die sich dicht aneinander gedrängt im Auto befinden und vom Fahrer, einem mutmaßlichen Schlepper, von Ungarn nach Österreich gebracht wurden.

„You are in good arms now“

„Where are we?“, fragt der Mann im Kofferraum. „Are we in Austria?“, will ein anderer Mann auf dem Rücksitz wissen. „You are in good arms now, you are in Austria“, antwortet ein Polizist. Die Einzigen, die nicht verschreckt wirken und für die Kameras sogar lachen und Grimassen schneiden, sind die Kinder. Der Fahrer wird festgenommen, die Flüchtlinge zur nahe gelegenen Erstaufnahmestelle in Nickelsdorf gebracht, nachdem vor Ort ihre Daten aufgenommen wurden. Vor Ort, auf einem Parkplatz rund 500 Meter von der Raststation entfernt, befindet sich im Übrigen auch noch der Lkw, in dem vergangene Woche bei Parndorf 71 Leichen entdeckt wurden. Der Verwesungsgeruch, der laut Spurensicherung schon deutlich abgenommen hat, ist immer noch in einem Umkreis von mindestens 50 Metern wahrzunehmen.

„Are we allowed to use our cell phones?“, fragt einer der Flüchtlinge. Ja, darf er. Mehrere von ihnen holen ihre Handys heraus und rufen Verwandte in Syrien an, um ihnen zu sagen, dass sie in Österreich sind und es ihnen gut geht. „What will be tomorrow?“, fragt eine Frau einen der Polizisten. „I cannot say, the government will decide“, antwortet er. „Now you can have some food and can rest.“ Die Syrer aus der Stadt Aleppo, die eigenen Angaben zufolge nach Deutschland weiterreisen wollten, sind zwölf von 200 Flüchtlingen, die die Polizei bei der am Sonntag gestarteten Schwerpunktaktion in Ostösterreich aufgegriffen hat. Fünf mutmaßliche Schlepper wurden festgenommen. Die Grenzregion zwischen dem Burgenland und Ungarn gilt als neuer Hotspot der Flüchtlingsströme.

Heuer bereits 34.000 Flüchtlinge

„Wir wollen Schleppern bestmöglich das Handwerk legen“, sagte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner am Montag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Konrad Kogler. Insgesamt 1350 Polizisten seien derzeit diesbezüglich im Einsatz. Die Schwerpunktkontrollen erstreckten sich von Ungarn über das gesamte Straßennetz bis nach Deutschland, erklärt Kogler. Insgesamt wurden heuer bisher 34.000 geschleppte Menschen aufgegriffen und 628 Schlepper festgenommen. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es 9000 Flüchtlinge und 277 Schlepper. Von Grenzkontrollen wollen die beiden nicht sprechen. Es handle sich um sicherheits- und verkehrspolizeiliche Kontrollen im grenznahen Bereich.

Auch Reinhold Mitterlehner betont, dass die Kontrollen Schengen-konform sind. Er kündigt an, Österreich werde gemeinsam mit Deutschland, Holland und Schweden den Druck für eine EU-Lösung erhöhen. Darauf habe man sich am Rande des jüngsten Balkangipfels verständigt. Es müsse binnen einiger Monate eine gemeinsame EU-Lösung geben. „Wenn die EU das nicht löst, werden einzelne Länder zu Maßnahmen greifen“. Welche das sein könnten, sagte Mitterlehner nicht. Wichtig sei aber eine gesamteuropäische Lösung. Von einer nationalen Aussetzung des Dublin-Verfahrens für syrische Flüchtlinge, wie es Deutschland vormacht und auch Bundespräsident Heinz Fischer forderte, hält Mitterlehner wenig. Das sei nur auf einer europäischen Ebene möglich.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2015)

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