Ein Milchsee, der hohe Wellen schlägt

Zeit, dass auch im EU-Agrarsystem endlich Vernunft einkehrt.

Es ist in den Wellen ziemlich untergegangen, die die Flüchtlings-/Migrationskatastrophe und die Unfähigkeit der EU-Länder, darauf adäquat zu reagieren, geschlagen haben: Aber wir haben eine üble Milch-/Fleischkrise. Vor allem die Preise für Milch sind auf ein Niveau gefallen, bei dem eine kostendeckende Produktion zumindest in Westeuropa nicht mehr möglich ist.

Die Bauernverbände reagieren darauf mit den üblichen Forderungen: Preisregulierung, Interventionen, noch mehr Geld aus dem Steuertopf. Bei einer Demonstration in Deutschland wurde sogar die Forderung nach einem „Mindestlohn für Milchbauern“ laut. Was ein bisschen komisch klingt, denn die europäische Landwirtschaft ist ja ohnehin die erste Branche, in der das bedingungslose Grundeinkommen de facto schon verwirklicht ist: Mehr als die Hälfte der Bauerneinkommen stammt aus steuergelddotierten Fördertöpfen.

Leider werden die EU-Landwirtschaftsminister bei ihrem kommenden Milchkrisengipfel auch diesmal zu ihren ebenso altbackenen wie gescheiterten Rezepten greifen, statt an die Ursache zu gehen: Sie ist ein völlig marktfernes Agrarsystem, das mit jährlichen Kosten von EU-weit 56Mrd.Euro sauteuer ist, die Bauern zu Almosenempfängern degradiert und durch unzählige Interventionen auf allen Ebenen den Agrarmarkt trotzdem ruiniert hat.

Darf man hier einmal Klartext reden? An der derzeitigen Misere ist nicht der Handel schuld. Und auch nicht die Russland-Sanktionen. Sondern einzig und allein eine dramatische Überproduktion. Die Milchproduktion ist nach dem Wegfall der Quotenregelung in der EU zuletzt nirgendwo auf der Welt so stark gestiegen wie in Europa. Wenn ein Überangebot auf sinkende Nachfrage trifft, dann passiert ganz lehrbuchgemäß genau das, was jetzt geschieht: Preisverfall.

Ihn bekämpft man, so schmerzhaft das auch sein mag, wie überall sonst in der Wirtschaft auch mit einer Anpassung der Produktion und der Produktionsstrukturen. Alles andere lässt sich in einer Marktwirtschaft dauerhaft nicht halten – und schon gar nicht finanzieren. Zeit, dass auch hier einmal Vernunft einkehrt.

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2015)

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