Globalisierung: Fabriken sind besser als Grenzzäune

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Sind „unsere Konzerne“ und deren „Ausbeutung“ an den Flüchtlingswellen mit schuld? Der Faktencheck zeigt: Die Migrationswellen kommen überwiegend aus Ländern, an denen die Globalisierung bisher vorbeigegangen ist.

Die Flüchtlings- und Migrationsströme, die uns derzeit einige Probleme bereiten, haben zwei Hauptursachen, hören wir: Kriege, vor allem die innermuslimischen Bürgerkriege in den destabilisierten Ländern des Nahen Ostens, etwa in Syrien. Und die Globalisierung, die in einer Ausbeutung der lokalen Bevölkerung durch „unsere“ Konzerne münde und die Ausgebeuteten deshalb massenhaft in die Emigration treibe.

Letzteres hat beispielsweise vor Kurzem wieder ein leibhaftiger Kriminalsoziologe in einem „Standard“-Gastkommentar behauptet. Die These: Man müsse nur auf die „Made in“-Schilder in Schreibtisch und Kleiderschrank schauen – und schon habe man eine ziemlich genaue Landkarte der Regionen, aus denen die Menschen stammen, die hier um Asyl ansuchen.

Eine schnelle Nachschau ergibt: Amerikanisches Tablet aus China, Handy aus Südkorea, britische Schuhe aus Vietnam, deutsche Textilien aus Sri Lanka. Aber so intensiv man auch sucht: Nichts dabei aus Afghanistan, Tschetschenien, Irak, Syrien, Somalia oder Eritrea. Also von dort, wo die aktuellen Flüchtlingsströme wirklich herkommen.

Woher kommt diese gravierende Fehleinschätzung? Als bloßes Soziologengeschwurbel aus dem gut von der Realität abgeschirmten Elfenbeinturm kann man das jedenfalls nicht abtun. Dazu stößt man zu oft auf die Ansicht, „wir“, das heißt „unsere Konzerne“, seien an allem Elend der Welt schuld und hätten gefälligst die Konsequenzen zu tragen.

Vielleicht hilft ein Blick auf die Fakten: Laut Weltbank hat sich der globale Armutskoeffizient (Anteil derer, die weniger als 1,25 Dollar pro Tag zur Verfügung haben, an der Weltbevölkerung) seit 1980, als die Globalisierung so richtig losgegangen ist, annähernd halbiert.

Eine erfreuliche Entwicklung, die sich allerdings nur dort bemerkbar machte, wo die Globalisierung auch hinkam. Nach China und Indien beispielsweise, die 1980 zwei Drittel aller Armen der Welt stellten. In China hat die Öffnung zum Welthandel unterdessen fast eine halbe Milliarde Menschen aus bitterster Armut geholt.

Ein Paradebeispiel schlechthin ist Südkorea: 1950 eines der ärmsten Länder der Welt, 1960 beim Pro-Kopf-BIP gleichauf mit Ägypten. Jetzt ist die Wirtschaftsleistung pro Kopf fast achtmal so hoch wie im Land am Nil. Auch andere Länder, die internationale Investitionen angelockt und sich dem Welthandel geöffnet haben, konnten den Sprung vom Armenhaus zum Schwellenland schaffen. Thailand etwa, oder Vietnam.

Nicht geklappt hat es in Ländern, die sich der Internationalisierung verschlossen haben oder um die internationale Investoren wegen Kriege, Unruhen oder übergroßer Korruption einen Bogen machen. In Nordkorea, Mali, Kongo und Somalia beispielsweise hat sich die Armutssituation verschlechtert. Zum Teil dramatisch.

Welche Daten und Sozialindikatoren man auch immer heranzieht (Löhne, Gesundheitssysteme, Bildungssysteme, Lebenserwartung, Kindersterblichkeit) – alle korrelieren positiv mit dem Grad der Einbindung in den Welthandel. Und die meisten haben sich dort verschlechtert, wo diese Einbindung aus den verschiedensten Gründen ausgeblieben ist.

Das trifft im Übrigen auch auf die Arbeitsbedingungen zu, die in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern nach unseren Maßstäben zweifellos grauenhaft sind. Aber sowohl Löhne wie auch Arbeitsumstände sind etwa in Thailand und Vietnam, aber ebenso in China und anderen Schwellenländern bei ausländischen Unternehmen, den viel gescholtenen Konzernen, deutlich besser als bei inländischen Arbeitgebern.

Jene Länder, in welche die global agierenden Konzerne (außer zur Rohstoffgewinnung) nicht hinkommen, habe vor allem ein Problem: Auslandsinvestitionen setzen ein bestimmtes Umfeld voraus. Also relativ stabile staatliche Institutionen, Investitionen in Bildung und Weiterbildung, die Sicherheit, nicht morgen schon wieder vergrault oder enteignet zu werden.

Natürlich hat die Globalisierung auch nicht wenige Nachteile. Am meisten für gering qualifizierte Arbeitnehmer in den hoch entwickelten Industrieländern. Wer vor dreißig Jahren in Österreich Billigschuhe zusammengeklebt hat, dessen Job ist unterdessen über Rumänien und China längst nach Vietnam weitergewandert. Wobei die rasche Wanderung wiederum einen der positiven Effekte der Globalisierung zeigt: Direktinvestitionen in Billiglohnländern führen in der Regel zu überdurchschnittlichen Produktivitätsschüben, die auch mit überdurchschnittlichen Lohnsteigerungen einhergehen. Was die Karawane der Billigproduzenten eben weiterziehen lässt.

Jedenfalls: Alle seriösen Wirtschaftsdaten zeigen, dass die Migrationsströme ihren Ursprung nicht in bereits globalisierten Ländern haben, sondern genau dort, wo die bösen Konzerne aus verschiedensten Gründen noch nicht in größerem Stil hingekommen sind. Es wäre ja auch reichlich absurd, vor der Globalisierung ausgerechnet dorthin zu flüchten, wo diese am weitesten fortgeschritten ist.

Ideologen werden sich von Fakten natürlich nicht beirren lassen. Aber Produktionsstätten der bösen Konzerne in den Hauptherkunftsländern wären das eindeutig bessere Mittel gegen Massenflucht als Grenzzäune.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2015)

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