Faymann: EU-Lösung oder Friedensnobelpreis abgeben

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Beim Themenrat der SPÖ stand die Flüchtlingsfrage im Vordergrund. Die offenen Grenzen seien keine Dauerlösung.

Es waren regelrechte Lobpreisungen, die Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) gestern beim Themenrat der SPÖ entgegengebracht wurden. „Die Kommandozentrale der Menschlichkeit war gestern zweifellos das Bundeskanzleramt“, sagte die frühere Wiener Landtagsabgeordnete und Moderatorin Sonja Kato über die Entscheidung, tausenden aus Ungarn kommenden Flüchtlingen die Einreise zu ermöglichen. „Werner Faymann hat alles Nötige getan, damit Österreich ein neues Beispiel für seine große humanitäre Tradition setzen kann“, setzte Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid fort.

Die Flüchtlingskrise war das bestimmende Thema bei dem gestrigen SPÖ-Treffen – einer Art kleinem Parteitag –, der sich eigentlich mit Bildung befassen sollte (siehe Seite 8). Die SPÖ-Spitze startete mit gut 300 Parteimitgliedern („Viele Freunde haben sich entschuldigen lassen, weil sie am Westbahnhof oder in Nickelsdorf stehen, wo Hilfe benötigt wird“) und mit einer Schweigeminute für jene in den Tag, die auf der Flucht ihr Leben verloren haben. Faymann betonte, dass es um Menschlichkeit gehe – dass das jüngste Vorgehen mit dem Öffnen der Grenzen aber keine Dauerlösung sei. In der Nacht auf Samstag habe er gewusst, was zu tun sei: „Die deutsche Kanzlerin anrufen.“ Auch Angela Merkel (CDU) habe nach mehreren Telefonaten gesagt: „Die Balken müssen auf. Wir müssen diesen Menschen helfen.“ Aber es sei dabei nicht um die Lösung der Flüchtlingsfrage insgesamt gegangen – sondern darum, die dramatische Situation der vergangenen Nacht zu lösen. „In diesem Ausnahmefall entscheiden wir, dass die Balken aufgehen“, sagte Faymann, der sich bei seiner deutschen Kollegin bedankte.


Nicht mit Stacheldraht lösen. Wie lang diese Ausnahmesituation dauere und wie viele Flüchtlinge nach oder durch Österreich reisen werden, konnte der Kanzler nicht sagen. Klar sei, dass Österreich und Deutschland das nicht allein lösen könnten, so Faymann, der den ungarischen Regierungschef, Viktor Orbán, scharf kritisierte. „Man kann nicht glauben, dass man mit einem Stacheldraht Probleme lösen kann. Ein Stacheldraht ist keine Empfangsstelle für Menschen, die um ihr Leben fürchten.“ Es brauche einen gemeinsamen Grenzschutz, EU-Asylzentren und eine Quotenlösung. Am Montag wird Faymann die Premiers von Tschechien und der Slowakei treffen, beide Gegner der Quote. Nach dem EU-Innenministertreffen in acht Tagen erwarte er sich rasch eine Sondersitzung des Europäischen Rats. „So wie bei den Banken. Da ging es um den Zusammenbruch der Wirtschaft – jetzt geht es um den Zusammenbruch der Menschlichkeit.“ Die EU müsse sich als Friedensprojekt beweisen: Entweder man gebe den Friedensnobelpreis zurück – oder man zeige, wie man mit jenen ordentlich umgehe, die ein Recht auf Asyl haben.

Den Rufen nach einem Sondergipfel (siehe auch Bericht Seite 7) schloss sich auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) an. In einer Aussendung sprach er von einer „humanitären Ausnahmesituation“ und forderte „große Lösungen, die nur Europa als Ganzes stemmen kann“: eine Verstärkung der Außengrenzen, Sicherheitszonen in den Krisenregionen, eine Quotenregelung und Neuordnung der Dublin-Regelung.


FPÖ will Grenzen schließen. Grüne und Neos sowie Kardinal Christoph Schönborn hingegen dankten der Regierung für die humanitäre Lösung bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Auch die österreichische Niederlassung des UN-Flüchtlingshilfswerks hat die Entscheidung Österreichs und Deutschlands begrüßt. Die FPÖ forderte indessen ein Schließen der Grenzen. Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) positionierte sich im Museumsquartier inzwischen für die Wien-Wahl: Am 11. Oktober könne man zwischen Menschlichkeit und Hetze wählen. Während sich am Freitagabend viele – „allen voran der Bundeskanzler“ – bemüht hätten, den Flüchtlingen zu helfen, „steht ein anderer auf dem Viktor-Adler-Markt und hetzt gegen Flüchtlinge“, sagte Häupl in Anspielung auf den Wahlkampfauftakt von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. „Da konnte man sehen, wofür wir stehen – und wofür dieser Recke.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2015)

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