Offene Grenze wird wieder dicht

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Bundeskanzler Faymann kündigt ein "schrittweises Ende der Notmaßnahmen" an, Budapest wirft Wien "Unfähigkeit" vor. Die EU-Kommission präsentiert einen Plan für eine Quotenregelung.

Wien/Budapest/Berlin. Nachdem das gesamte Wochenende Flüchtlinge aus Ungarn via Österreich ungehindert nach Deutschland weiterreisen konnten, will Wien die Grenzen wieder dichtmachen. „Wir müssen jetzt Schritt für Schritt weg von Notmaßnahmen hin zu einer rechtskonformen und menschenwürdigen Normalität“, sagte Bundeskanzler Werner Faymann am Sonntag. Österreich wird also wieder stichprobenartige Kontrollen an den Grenzen einführen. Wann es so weit ist, bleibt vorerst offen.

Wien und Berlin hatten in der Nacht auf Samstag beschlossen, aus Ungarn kommenden Flüchtlingen ungehindert die Weiterreise zu erlauben: Laut einer vorläufigen Bilanz des Innenministeriums passierten rund 14.000 Flüchtlinge die ungarisch-österreichische Grenze. Ziel der allermeisten Flüchtlinge war Deutschland, wo alle Menschen aus Syrien aufgenommen werden – auch wenn sie über ein anderes EU-Land eingereist sind. De facto hat Berlin mit diesem Schritt die geltenden EU-Asylregelungen außer Kraft gesetzt. Gestern beriet die Koalitionsspitze in Berlin über das weitere Vorgehen.

Die Haltung Wiens und Berlins hat zu Spannungen mit Ungarn geführt. Budapest wirft Österreich und Deutschland vor, eine Sogwirkung für Flüchtlinge nach Europa – und somit nach Ungarn – erzeugt zu haben. Ganz besonders frostig war am Wochenende das Klima zwischen Wien und Budapest: Ungarn warf Faymann gar „Unfähigkeit“ vor. Der Bundeskanzler würde „jene Wut an Ungarns Regierung und dem Premier auslassen, die durch seine eigene Handlungsunfähigkeit in der Migrationskrise verursacht wurde“, sagte der ungarische Staatssekretär in Außenministerium, Levente Magyar. Faymann hatte davor Premier Viktor Orbán gegenüber der Zeitung „Österreich“ heftig attackiert: „Jemand, der ernsthaft behauptet, er löst das Flüchtlingsproblem mit Stacheldraht, und dann so ein Chaos anrichtet, der hat sich politisch disqualifiziert.“

Wohl auch um die Wogen zu glätten, wollen sich Faymann und Orbán noch diese Woche treffen. Ob das Gespräch schon am Montag stattfindet, wie ungarische Medien berichten, wurde allerdings nicht bestätigt.

Notfallplan für Flüchtlingsquoten fix

Diese österreichisch-ungarische Krise spiegelt den Riss wider, den die Flüchtlingskrise durch Europa zieht. Eine gemeinsame Lösung ist nicht in Sicht: Die unter anderem von Berlin und Wien gewünschte Quotenregelung wird von den osteuropäischen Staaten abgelehnt, auch Spanien ist dagegen. Gestritten wird sogar über den Termin eines geplanten Sondergipfels. Und Polen will nicht einmal, dass ein Sondertreffen stattfindet.

Die EU-Kommission hofft trotzdem auf einen Kompromiss: Am Mittwoch will sie ihren Notfallplan für eine Umverteilung von 120.000 Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea und Afghanistan präsentieren. Laut „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ kommt die EU-Behörde darin den Kritikern entgegen: EU-Länder, die „berechtigte Gründe“ geltend machen, können sich für ein Jahr von ihrer Verpflichtung befreien, Flüchtlinge aufzunehmen. Sie müssten dann jedoch eine Ausgleichszahlung an einen Flüchtlingsfonds leisten.

Das Argument mancher Staaten, sie wollten keine Muslime aufnehmen, sei aber nicht akzeptabel. Der EU-Plan soll zwei Jahre lang gelten, pro Flüchtling erhält jedes Land 6000 Euro. Zudem arbeitet Brüssel an einer gemeinsamen Liste sicherer Drittstaaten, in die Migranten abgeschoben werden dürfen.

30.000 Schlepper in Europa aktiv

Beraten sollen darüber die EU-Innenminister bei ihrem Treffen am 14. September – ebenso wie über Maßnahmen gegen Schlepper: Denn der illegale Handel mit Menschen, die vor Krieg und Armut fliehen, ist laut einem neuen Europol-Bericht inzwischen zum lukrativsten illegalen Geschäft weltweit geworden – es bringe noch mehr ein als Drogen- oder Waffenhandel. Wohl auch deshalb sind laut Europol allein in Europa derzeit mehr als 30.000 Menschenhändler aktiv. (ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2015)

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"So sieht die Welt eben aus, wenn der Westen seine Verantwortung aufgibt, die Weltordnung aufrechtzuerhalten", schreibt etwa das "Wall Street Journal".

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