Pension: Frauen droht Altersarmut

(c) Clemens Fabry
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Experte Bert Rürup sieht eine „Nachhaltigkeitslücke“ im österreichischen Pensionssystem. Um die zu schließen, müsste nicht das tatsächliche, sondern das gesetzliche Pensionsantrittsalter schrittweise angehoben werden.

Die Presse: Ist das österreichische Pensionssystem noch zu retten?

Bert Rürup: Natürlich ist es zu retten. Außerdem kollabieren Umlagesysteme nie, denn sie können ihre Leistungen einschränken oder immer aus dem Staatshaushalt bezuschusst werden. Ich beobachte die österreichische Pensionspolitik seit 20 Jahren. Seit Mitte der 1990er-Jahre wird in unregelmäßigen Abständen reformiert, und bei jeder Reform heißt es von der Politik, das war jetzt die entscheidende Reform. Gleichzeitig meinen zahlreiche Verbände und Wissenschaftler, dies sei allenfalls ein kleiner Schritt gewesen.

Und was stimmt?

In der Tat wurde eine Menge gemacht. Das Pensionskonto und die lebenslange Durchrechnung für alle nach 1990 Geborenen waren beachtliche Fortschritte. Aber es besteht noch immer eine große Lücke. Ein Indiz dafür ist der stark steigende Bundesbeitrag. Den sollte man nicht als Lückenfüller benutzen. Vor dem Hintergrund der wenig wachstumsorientierten Struktur des Staatshaushalts sollte man aus Gründen der Zukunftssicherung Schritte in Richtung Nachhaltigkeit machen.

Und die wären?

Die entscheidende Stellschraube ist nicht die Erhöhung des niedrigen effektiven Pensionsantrittsalters, sondern die Anhebung der gesetzlichen Altersgrenze. Diese Grenze sollte an die Lebenserwartung angepasst werden.

Eine Erhöhung des tatsächlichen Antrittsalters hätte doch denselben Effekt.

Nein, da die Abschläge bei einem vorzeitigen Ruhestand versicherungsmathematisch ziemlich fair sind, werden die bei einer Erhöhung des tatsächlichen Pensionsalters zunächst anfallenden Mehreinnahmen und Minderausgaben durch die höheren dann später zu zahlenden Pensionen kompensiert. Daher ist das tatsächliche Pensionsalter für die langfristige Finanzlage ziemlich irrelevant, aber nicht für die Wirtschaft insgesamt.

Wir sollen also alle erst mit 67 in Pension gehen, wie in Deutschland?

Nicht unbedingt, wohl aber das dahinterliegende Prinzip der konstanten relativen Pensionsbezugsdauer akzeptieren. Die Lebenserwartung der 65-Jährigen steigt pro Jahr um fast zwei Monate. Bei unverändertem gesetzlichen Pensionsalter bekommt jeder Jahrgang bei gleicher Beitragsleistung als Folge des längeren Bezugs mehr Leistungen als die früher Geborenen. Bei unveränderten Beitragssätzen müssen die Mehrausgaben über höhere Bundeszuschüsse finanziert werden. Durch die Rente mit 67 bleibt in Deutschland die Bezugsdauer bis 2030 weitgehend konstant.

Welche Vorlaufzeit wäre sinnvoll?

In Deutschland wurde das Gesetz 2007 beschlossen. Ab 2012 erhöht sich die Regelaltersgrenze zunächst um einen Monat pro Jahr und ab 2024 um zwei Monate, so dass das gesetzliche Pensionsalter ab 2029 bei 67 Jahren liegt. Darauf kann man sich einstellen.

Sind Menschen in diesem Alter noch fähig, am Arbeitsprozess teilzuhaben?

Wer sich im Arbeitsleben physisch oder psychisch verschlissen hat, der hat Anspruch auf die Solidarität der Gesellschaft. Aber dafür ist die richtige Antwort eine Erwerbsunfähigkeitsrente nach einer Prüfung des Einzelfalls. Ein niedriges Pensionsantrittsalter für alle ist die falsche und zudem teurere Entscheidung.

Für Frauen liegt das Pensionsantrittsalter derzeit bei 60 Jahren. Das wird erst ab 2024 schrittweise angehoben. Zu spät?

Das Frauenpensionsalter sollte deutlich schneller angehoben werden. Die niedrigere Altersgrenze stellt heute eine Diskriminierung der Frauen dar. Wir beobachten eine hohe und weiter steigende Bildungsbeteiligung der Frauen und damit den ausgeprägten Wunsch, erfolgreich erwerbstätig zu sein.

Worin liegt die Diskriminierung?

Zum Beispiel darin, dass es für Arbeitgeber uninteressant wird, in die Weiterbildung von Frauen jenseits der 50 zu investieren. Das bedeutet, dass qualifizierten Frauen entscheidende Karriereschritte, die man nach 50 noch machen kann, vorenthalten bleiben. Überspitzt könnte man sogar sagen, die Rente ab 60 stellt ein Altersarmutsrisiko für Frauen dar.

Man tut den Frauen nichts Gutes mit früher Pension?

Nur wenn man einem Familienideal anhängt, in dem der Mann der Alleinverdiener ist, kann man an einem System festhalten, welches Frauen in ihrer Karriere benachteiligt.

Sind nicht auch die Jungen, die von den Reformen betroffen sind, benachteiligt?

Da ist sicher etwas dran. Durch den lebenslangen Durchrechnungszeitraum für die nach 1990 Geborenen wird eine neue Klasse von Pensionären geschaffen. Für diese Jungen wird die gesetzliche Pension nicht mehr wie bisher den gewohnten Lebensstandard sichern können.

Was würde den Lebensstandard sichern?

Ich würde sagen: eine Pension, die mindestens 70 Prozent des Arbeitseinkommens der letzten Berufsjahre ersetzt.

Was empfehlen Sie?

Man mag es beklagen, aber in allen entwickelten Industriestaaten geht seit Jahren der Anteil der Löhne am Volkseinkommen trendmäßig zurück. Damit kommt es zu einer Erosion der Finanzierungsgrundlagen von Umlagesystemen. Deshalb sollte man gerade für die Jüngeren die Möglichkeiten einer kapitalgedeckten Zusatzversorgung verbessern.

Niemand wird daran gehindert, privat vorzusorgen.

Wenn man nicht wie in Schweden, der Schweiz oder den Niederlanden den Mut hat, das obligatorisch zu machen, sollte man den Förderrahmen verbessern.

Aber eine kapitalgedeckte Zusatzversorgung ist derzeit nicht sonderlich attraktiv.

Für Versicherungen oder Pensionskassen, die vor allem in Staatsanleihen investieren, ist das richtig. Für Anbieter, die eigenkapitalstark sind, weniger. Wenn aber wirklich die Zinsen für Anleihen etc. auf Dauer so niedrig bleiben, wie sie es derzeit sind, müsste man mehr als nur kapitalgedeckte Versicherungen in Frage stellen und noch länger arbeiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2015)

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