Flüchtlingswelle ebbt etwas ab

FL�CHTLINGE: FL�CHTLINGE IN NICKELSDORF ANGEKOMMEN
FL�CHTLINGE: FL�CHTLINGE IN NICKELSDORF ANGEKOMMEN(c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET)
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Vorerst ist es an der Grenze eher ruhig. In Nickelsdorf selbst bleibt die Situation angespannt – es gab rechtsextremistische Vorfälle.

Nickelsdorf.Am Dienstag konnte Nickelsdorf zumindest kurz durchschnaufen. Nach einem Rekord am Montag von rund 20.000 Flüchtlingen im Burgenland trafen bis Dienstagfrüh noch rund 5800 ein, die routiniert in Empfang genommen wurden, bis Mittag reduzierte sich die Zahl auf 300. Beamte und Freiwillige nutzten die Pause, um sich kurz auszurasten oder mit Kaffee neue Energie einzuflößen – denn die ungarischen Behörden hatten einen weiteren Zug mit rund 1400 Menschen angekündigt, der am späten Nachmittag dann eintraf.

„Wir gehen davon aus, dass noch Zehntausende kommen. Ob heute, morgen oder in einer Woche, ist derzeit nicht klar“, sagt Helmut Marban, Sprecher der Polizei Burgenland. Die größte Herausforderung sei nach dem Ansturm die Quartiersuche, die auf Hochtouren läuft – „Transportmöglichkeiten haben wir genug“, sagt Marban.

Keine Rückweisungen bekannt

Dieses Angebot wollten tausende Flüchtlinge am Montag nicht nutzen und machten sich zu Fuß auf A4 und Landstraßen auf den Weg nach Wien, um dort einen der Züge nach Deutschland zu besteigen – die aber zwischenzeitlich nicht verkehrten. Das führte einerseits zu einer zeitweisen Sperre der A4 bis Dienstagfrüh und anderseits dazu, dass im Bereich des Westbahnhofs in der Nacht auf Dienstag rund 1500 Flüchtlinge schliefen, um dann am Dienstag die Züge in Richtung Deutschland zu erwischen. Genug Plätze gab es für den großen Andrang nicht. Trotz angekündigter Grenzkontrollen wurde zumindest ein Zug in Freilassing angehalten, die Flüchtlinge stiegen aus und wurden auf Camps in ganz Deutschland verteilt. Auch sonst ist nicht bekannt, dass die deutschen Behörden Flüchtlinge zurückgeschickt hätten.

Derzeit hängen Tausende in Österreich fest, die weiterwollen. Auch für die Nickelsdorfer war ein Weiterkommen in den vergangenen Tagen schwierig: Immer wieder wurde die Autobahn gesperrt, weil Tausende zu Fuß marschierten – oder es gab Staus wegen Schlepperkontrollen. Züge verkehren seit Tagen nicht mehr – die 1600-Seelen-Gemeinde ist immer wieder vom Rest Österreichs abgeschnitten. Bürgermeister Gerhard Zapfl (SPÖ) fühlte sich im Stich gelassen, richtete am Freitag einen Brief an Bundeskanzler Werner Faymann und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Antwort habe er bis jetzt keine bekommen. „Wir haben hier eine große Tradition des Helfens. 1989 wurden 40.000 DDR-Flüchtlinge erstversorgt, 1956 beim Ungarnaufstand waren es viel mehr – auch jetzt tun wir alles, was wir können, natürlich“, sagt er. Aber man müsse immer politisches Fingerspitzengefühl bewahren, was eine Gemeinde aushält, was sie aus dem Gleichgewicht bringt. „Es ist die Verantwortung der Politiker aller Ebenen, soziale Konflikte zu vermeiden. Das Letzte, was wir brauchen, ist ein Bürgerkrieg in Europa.“ Soziale Konflikte gebe es aber, wenn ständig Straßen gesperrt würden und Pendler nicht mehr zur Arbeit kämen.

Wie explosiv die Situation ist, zeigen zwei Vorfälle. Als am Freitag zum ersten Mal Tausende auf der Straße in Richtung Wien marschierten, sei ein Auto mit hoher Geschwindigkeit durch die Menschen gerast, erzählt Zapfl. Ein Mann hätte geschrien: „Ihr Sauhunde gehört alle vergast.“ Es sei ein Wunder, dass nichts passiert sei. Auf dem Auto war ein Aufkleber der „Waffenschmiede“, einer rechtsextremen deutschen Gruppierung. Ähnliches sei am Montag vorgefallen, als abermals Tausende durch den Ort marschierten. Ein Mann habe in einem Tankstellenshop einen Wutausbruch bekommen, der mit „Hitler muss wieder her“ endete. Der Verfassungsschutz ermittelt.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2015)

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