Hoamatland zwischen Idyll und Industrie

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Oberösterreich und seine zahlreichen Unterschiede: Da passt nicht alles, aber im Zusammenspiel ist man stolz. Über das Oberösterreichische und das Ober-Österreichische.

Es ist nicht immer gut, wenn man sich „unter sich“ wähnt, da hilft auch das Ober-Österreichische nicht, jedenfalls nicht immer. Zugetragen hat es sich vor einigen Monaten, in einem Wiener Traditionscafé. Der Oberlandeshauptmann war aus Linz angereist und hatte Journalisten zu einem Hintergrundgespräch zur Herbstwahl 2015 geladen. Mit einem deutlichen „Grüß Gott, liebe Landsleut“ trifft der kleine Schwarze – wie sich Josef Pühringer in diesem Jahr manchmal selbst nennt – im Hinterzimmer ein und schüttelt jedem aus Oberösterreich stammenden Journalisten die Hand. Ich hatte schon ein wenig über die Zusammensetzung der Runde gerätselt und diesen „Hintergrund“ vermutet. Doch plötzlich ein Kollege: „Ich bin nicht aus Oberösterreich, ich bin Salzburger.“ Pühringer schaut ihn kurz, aber intensiv an und antwortet mit kräftiger Stimme: „Na und? Wissen Sie, wann Salzburg zu Oberösterreich gehört hat?“ „Nein, muss ich das?“ „Ja, das sollten Sie sehr wohl, das waren die besten Zeiten Ihres Landes – von 1816 bis 1850.“

Oder: Ball der Oberösterreicher in Wien. Einer der größten in der Bundeshauptstadt. Die Festrede des Landeshauptmannes variiert auch nach 20 Jahren nicht wesentlich. Ein Satz findet sich immer: „Wien ist die zweitgrößte Stadt Oberösterreichs – 70.000 Landsleute leben und arbeiten hier. Heute sind wir 75.000, aber keine Angst, um vier Uhr früh foahrn 5000 in ihren Bussen wieder hoam.“

Der 1930 in Schalchen (OÖ) geborene Architekt und Literat Friedrich Achleitner schreibt im Jahr 2000 im Buch „Vom Land in der Mitte“ (Trauner Verlag):

Ich bin stolz

ein oberösterreicher zu sein

nicht alle ober

sind österreicher

nicht alle österreicher

sind ober

aber

alle oberösterreicher

sind österreicher

und

nicht alle österreicher

sind oberösterreicher

jawoi


Jawoi. Mein Wiener Kollege Robert meint des Öfteren: „Ich kenne kein stolzeres Volk als euch Oberösterreicher und auch kein ignoranteres, was alles außerhalb dieses Bundeslandes betrifft.“ Was Robert nicht verstehen kann: „Warum bleibt ihr nicht dort, wenn es dort so wunderbar ist und in Wien so traurig?“ „Mein Hirn ist halt in Wien, mein Herz in Oberösterreich“, antworten manche. Aber es bleiben ohnehin viele im Hoamatland. Beschäftigungsprobleme hat das dynamische Wirtschaftsland lange Zeit nicht gekannt. Jahrzehntelang stand Oberösterreich für die ökonomische Power der gesamten Alpenrepublik: mit Weltkonzernen von der Voestalpine AG bis zu Weltmarktführern für Feuerwehrautos (Rosenbauer) oder KTM, Fischer-Sportartikel, Lenzing oder Teufelberger, um nur einige zu nennen. Dennoch ist nun schon einige Jahre lang Sand im Getriebe, Wirtschaftswachstum und Investitionsfreude sind gedämpft, auch die Zahl der Jugendarbeitslosen steigt.

Zum ersten und folgenschwersten Knacks war es schon Mitte der 1980er-Jahre gekommen. Mit der Krise der verstaatlichten Industrie: Unvorstellbare 80.000 Mitarbeiter beschäftigt damals der Stahlriese in Linz und Donawitz. Durch die Landeshauptstadt weht schon ab den 1960er-Jahren der berühmte Voest-Geist, ich selbst kann ihn direkt inhalieren, denn beide Elternteile bringen von dort mühsam verdientes Geld nach Hause. Der Bub wird selbstverständlich Fan des SK Vöest Linz (blau-weiß) und baut sich damit schon als Kind erste Sportfeindschaften mit Anhängern des Linzer Traditionsklubs Lask auf. Später dann die erste eigene Tuchfühlung mit der Vöest: Das Unternehmen bietet für Studenten lukrative Ferialjobs mit harter Arbeit – vor allem im Stahlwerk oder am Hochofen.

Doch ab 1985 ist nichts mehr, wie es lange war. Der sicherste Arbeitgeber Oberösterreichs muss zehntausende Beschäftigte abbauen. Beschäftigungsgarantien aus der Kreisky-Ära zählen nichts mehr. Mächtige Betriebsräte wie Franz Ruhaltinger sind angezählt, und die Sozialisten, erst später werden sie unter Vranitzky zu Sozialdemokraten, müssen mit einem Doppelschlag fertigwerden. 1986 steuert nicht nur die verstaatlichte Industrie Richtung Chaos.

Ein gewisser Jörg Haider wird Chef der Freiheitlichen. 1985 hat es bei den oberösterreichischen Landtagswahlen für die FPÖ nur noch für fünf Prozent der Stimmen gereicht. Die ÖVP liegt damals bei unvorstellbaren 52 Prozent und die SPÖ bei 38 Prozent. Es ist die erste Wahl überhaupt, die ich als Journalist (damals bei einer Zeitung) erleben darf: am 6. Oktober 1985 – also fast auf den Tag genau vor 30 Jahren. Auf Rot-Schwarz entfallen 80 Prozent der Stimmen – nichts Außergewöhnliches. Damals. Und Josef Ratzenböck startet als Landeshauptmann in die Ära Ratzenböck III.

20 Jahre lang macht Oberösterreich einen der größten Wandel seiner Wirtschaftsgeschichte durch. Der heutige Konzernchef der Voestalpine AG, Wolfgang Eder, bezeichnet den Tag der Vollprivatisierung im August 2005 als den „schönsten beruflichen Tag meines Lebens“.

Oberösterreicher sind wieder stolz auf ihr Bundesland. Es ist kein „Laptop und Lederhose“ wie im benachbarten Bayern. Eher ein arbeiten und feiern. Sagen wir: ordentlich arbeiten und ordentlich feiern. Apropos ordentlich: Als dieses Wort 1991 durch Jörg Haider, einen Oberösterreicher aus Bad Goisern, traurige Berühmtheit erlangt („Im Dritten Reich haben sie ordentliche Beschäftigungspolitik gemacht, was nicht einmal Ihre Regierung in Wien zusammenbringt“– vor dem Kärntner Landtag am 13. Juni 1991), ist die Aufregung in manchen Teilen Oberösterreichs nicht ganz so groß wie im übrigen Österreich (mit Ausnahme Kärntens).

Das Rechte zieht sich quer durch viele Bevölkerungsschichten. Viele Beobachter verkürzen das auf den Geburtsort Adolf Hitlers in Braunau im Innviertel, die früheren Hermann-Göring-Werke (Vorläufer der Vöest) oder die Pläne Hitlers, Linz zur Hauptstadt des Dritten Reichs aufzubauen. Aber es ist nicht alles so eindimensional, und es ist auch nicht alles (immer) unbedingt rechts oder rechtsextrem motiviert, was danach klingen mag.

Viele Oberösterreicher folgen einer tradierten Lebenseinstellung, vieles wird einfach nicht hinterfragt. Weil es zu mühsam ist. Weil es Wunden aufreißen könnte. Und weil es immer schon so war. Es ist weniger ein „Mia is wurscht“ als ein „Soi-n do mochan wos woin – ändat si eh nixi“. Die Empörungslatte liegt in allen Bereichen höher als anderswo, jedenfalls deutlich höher als in Wien.

Eigentlich geht es ja gar nicht, vom Oberösterreicher an sich zu schreiben. Denn die regionalen Unterschiede sind so groß wie in keinem anderen Bundesland. Mühlviertel, Traunviertel, Innviertel, Hausruckviertel. Da passt nicht viel zusammen. Weder Sprache noch Dynamik. Aber im Zusammenspiel ist man stolz. Deswegen stimmt man auch gern einmal die Landeshymne an, wenn man unverhofft aufeinandertrifft, egal, zu welcher Tages- oder Nachtstunde.

Das Zusammengehören, darauf kommt es den 1,4 Millionen Oberösterreichern an. Mit einer Ausnahme vielleicht: Österreich besteht aus neun Bundesländern und dem Salzkammergut, schreibt etwa Alfred Komarek. Geschichtlich gesehen ist das Salzkammergut zwar ein Teil von Oberösterreich; heute ist es eine dem Tourismus geschuldete Riesenregion von Gmunden bis zur östlichen Grenze der Stadt Salzburg und/oder hinaus bis zum steirischen Grimming, mit Bad Aussee und Altaussee.

Die vielen Gemeinden unterscheiden sich so wesentlich voneinander, dass wir uns auf die oberösterreichischen beschränken wollen, denn dass zwischen Ausseer und zum Beispiel Goiserer (oder „Gosinger“, wie sich die Einwohner aus Gosau bezeichnen) tausende Löschblätter passen würden, das weiß man ja. Oder nicht?

Aber auch die nicht weit voneinander entfernt liegenden Orte Gosau, Bad Goisern, Ebensee, Bad Ischl und Gmunden trennt mehr voneinander als Oberösterreich und Bayern in ihrer Gesamtheit. Das reicht von der Politik über die Religion (die Gegenreformation wurde von den Protestanten aufs Bitterste bekämpft) bis zur Art und Weise, wie zur Musik der Volksmusikgruppen „geposcht“ (von „paschen“ ) wird. Übrigens: Wehe, ein Fremder stimmt unaufgefordert ins Geklatsche ein, er muss mit dem Schlimmsten rechnen.

Bis heute sind oft nur wenige Gehstunden voneinander entfernte Gemeinden mehrheitlich katholisch – oder mehrheitlich protestantisch. Anfang des 18. Jahrhunderts entsteht in dieser Region (wie auch in Teilen Kärntens und der Steiermark) gar der Begriff des „Geheimprotestantismus“. Sogar einen katholischen Kardinal hat man ausgeschickt, um die „infizierten“ Leute im störrischen Salzkammergut „umzudrehen“ – was aber nur bei 140 von 700 gelungen ist. 560 Evangelische werden nach Siebenbürgen zwangsübersiedelt. Bis heute ist das Landlerische im heute rumänischen Siebenbürgen als sächsisch-österreichischer Dialekt erhalten.

Protest, Aufstand, Aufruf zur Gegenwehr – das sind heute, bald drei Jahrhunderte später, nicht mehr unbedingt Eigenschaften, die einem beim Durchschnitts-Oberösterreicher einfallen würden. Da eher schon: Gelassenheit. Heute müsste es da schon um sehr große Dinge gehen, will man diese an Lethargie grenzende Gemütlichkeit ob der Enns bröckeln sehen. Etwa als 2003 die Voestalpine AG an die Magna verkauft werden sollte und die SPÖ („Wir werden das nicht zulassen“) bei der Landtagswahl im selben Herbst um unglaubliche 11,3 Prozentpunkte zulegte. Oder Stichwort neues Musiktheater für Linz – da können die Oberösterreicher laut werden.

Und auch jetzt wieder. Seit Sommer 2015 gehen beim Thema Flüchtlinge die Wogen hoch. Verzweifelt versucht der Landesvater zu beruhigen: „Wir lassen sie nur durchwandern.“ Auch „Asyl auf Zeit“ kommt reichlich spät. Das erste österreichische Überraschungsprojekt auf Landesebene – Schwarz-Grün – wird möglicherweise nicht einmal mehr theoretisch in die zweite Verlängerung gehen können. In der Volkspartei ist man fassungslos. Eine von weiten Teilen der Bevölkerung anerkannte Politik der Regierung über sechs Jahre hinweg– und im allerletzten Endspurt ein neues Thema, das alles infrage stellt.

Heute Abend könnte jedenfalls in den vier Vierteln nichts mehr so sein, wie es früher war. In wohl jedem dritten Haushalt wird heute Abend ordentlich gefeiert werden – für die politischen Vertreter der anderen zwei Drittel wird es heißen: ordentlich arbeiten. Bis 2021. Ihren Landeshauptmann wählen die Oberösterreicher wie ihren Bundespräsidenten. Nur alle sechs Jahre.

Seit 38 Jahren heißt er übrigens mit Vornamen Josef. Und „Kloa Sepp“ wird wohl trotz aller Vorahnungen heute Vormittag in der Stadtpfarrkirche Traun heftig zum Herrgott gebetet haben, dass das auch noch einige Zeit so bleibt.

AUTOR

Hans Bürger
Geboren 1962 in Linz. Studium der Volkswirtschaftslehre. Seit 1987 für den ORF tätig, seit 1993 in Wien. Stellvertretender Chefredakteur (TV-Information), Leiter des Ressorts Inland und EU („Zeit im Bild“). Gastgeber der „Pressestunde“, Moderator (zuletzt „Sommergespräche“).

Publikationen
„Wie Wirtschaft die Welt bewegt“ (2009),
„Der vergessene Mensch in der Wirtschaft“ (2012, beide Braumüller).
ORF

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2015)

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