Bernhard Felderer: "Es ist ein bewältigbares Problem"

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Für den Ökonomen Bernhard Felderer rechnet sich die Integration von Flüchtlingen langfristig. Für das Budget sei kein „großer Revisionsbedarf notwendig“, sagt der Präsident des Fiskalrats.

Die Presse: Sie sind Präsident des Fiskalrats und Mitglied des Migrationsrats im Innenministerium. Wie wird sich die aktuelle Flüchtlingsbewegung auf den österreichischen Staatshaushalt auswirken?

Bernhard Felderer: Ich glaube, dass hinsichtlich des Budgets keine großen Revisionen notwendig sein werden.

Es werden immer wieder Zahlen genannt. Zurzeit rechnet man mit ungefähr 80.000 Menschen, die in Österreich um Asyl ansuchen.

Wir werden wohl mit zusätzlichen Kosten von mehreren hundert Millionen Euro rechnen müssen. Das ist sicher ein hoher Betrag. Aber ich würde das als Investition sehen. Ich bin der Meinung, dass ein guter Teil der Asylwerber in den heimischen Arbeitsmarkt zu integrieren ist. Sicher nicht alle. Die Zahl der schwer vermittelbaren Arbeitslosen wird steigen.

Kann man den Flüchtlingsstrom mit jenem während des Balkankriegs vergleichen? Vor allem im Bezug auf die Integration in den Arbeitsmarkt.

Damals hatten wir eine gute Konjunktur. Derzeit ist die Neigung der Unternehmen, neue Mitarbeiter einzustellen, nicht so groß. Es wird also länger dauern, bis die Menschen Arbeit finden.

Was halten Sie von den Befürchtungen, dass Flüchtlinge mit der Mindestsicherung in Österreich ihr Auslangen finden könnten?

Die Menschen, die zu uns kommen, sind in der Regel motiviert und wollen arbeiten. Und natürlich sind es partiell auch Wirtschaftsflüchtlinge. Diese wollen ein besseres Leben haben und den ständigen Bedrohungen entkommen.

Widerspiegelt die Angst vor der Einwanderung in unser Sozialsystem also unsere Art zu denken?

Wo diese Menschen herkommen, gibt es weder einen fürsorglichen Staat, noch große Industriebetriebe. Sich auf die eigenen Beine zu stellen, sein eigenes kleines Unternehmen zu haben ist dort eine Selbstverständlichkeit. Diese Mentalität werden diese Menschen auch bei uns nicht ablegen. Natürlich werden sie anfangs in Branchen drängen, in denen man relativ schnell mit geringen Deutschkenntnissen einsteigen kann. Etwa als Taxifahrer oder in Fabriken.

Die Industrie hofft, mit Flüchtlingen ihren Facharbeitermangel beheben zu können.

Da wäre ich vorsichtig. Uns fehlen Fachkräfte im mittleren Technologiebereich. Diese werden wir auch schwer unter den Syrern finden. Generell ist die Akademikerquote unter den syrischen Flüchtlingen gering.

Warum ist das so?

Das konnte mir bisher niemand erklären. Es gibt allerdings Berichte, wonach die erste Welle an Auswanderern in die USA gegangen ist.

Aber generell stimmen Sie Wifo-Chef Karl Aiginger zu, demzufolge die Integration von 70.000 Flüchtlingen kein Problem ist.

Von „kein Problem“ kann keine Rede sein. Es ist ein Problem, aber es ist ein bewältigbares Problem. Und es ist eine Investition in die Zukunft. Wir haben in manchen Branchen keine Lehrlinge mehr. Viele Flüchtlinge sind begabte Handwerker. Wenn all diese Menschen ihren Platz hier gefunden haben werden, werden sie einen positiven Beitrag zu unserem Bruttoinlandsprodukt leisten. Aber es wird einige Jahre dauern. Mittelfristig wird es soziale Probleme geben. Da darf man der Bevölkerung nichts vormachen. Diese Flüchtlinge werden zuerst in Branchen drängen, in denen kaum Österreicher vertreten sind. Sie werden – angefangen beim Spargelstechen – alles tun, um mehr zu verdienen als die 750 Euro Mindestsicherung im Monat.

Kurzfristig gibt es aber einen Budgetplan. Und da scheint Finanzminister Hans Jörg Schelling den Berechnungen des Fiskalrats nicht zu trauen. Dieser geht von einem um Einmaleffekte bereinigten strukturellen Defizit 2016 von einem Prozent aus. Schelling nannte diese Zahl im „Presse“-Interview „falsch“. Agiert der Fiskalrat mit falschen Zahlen?

Falsch ist sicher nicht der richtige Ausdruck. Wir haben eine sehr detaillierte Prognose vorgelegt. Die Erklärung, warum sich unsere Prognose von jener des Finanzministeriums unterscheidet, liegt in der Einschätzung des Produktionspotenzials (um Konjunkturschwankungen bereinigter Produktions-Output, Anm.). Da ist für mich schwer nachvollziehbar, warum das Finanzministerium von einem wesentlich höheren Produktionspotenzial als die EU-Kommission ausgeht.

Das Finanzministerium kommt auf ein strukturelles Defizit von 0,5 Prozent, weil es sich beim Produktionspotenzial offenbar auf optimistischere Zahlen verlässt, der Fiskalrat zieht die Zahlen der EU-Kommission heran. Es handelt sich also um verschiedene Berechnungsmethoden.

Jene des Fiskalrats ist praktisch identisch mit jener der EU-Kommission. Aber es geht ja ohnehin nicht um die Frage, wer die Zukunft besser errät. Es geht darum, dass der Fiskalrat seine Frühwarnfunktion erfüllt und rechtzeitig auf heikle Punkte hinweist.

ZUR PERSON

Bernhard Felderer (74) wurde in Klagenfurt geboren. Der Ökonom lehrte und forschte unter anderem an den Universitäten Princeton, Köln und Bochum. Von 1991 bis 2012 war Felderer Direktor des Instituts für Höhere Studien. Er beriet als Wirtschaftsforscher auch deutsche Regierungen. Felderer ist derzeit Präsident des österreichischen Fiskalrats. Das Gremium berät die Politik bei Fragen der Staatsfinanzen und des Staatshaushalts.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2015)

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