Das Dramolett von Wien

Die Akteure: Manfred Juraczka, Maria Vassilakou, Michael Häupl, Beate Meinl-Reisinger und Heinz-Christian Strache (v. l.).
Die Akteure: Manfred Juraczka, Maria Vassilakou, Michael Häupl, Beate Meinl-Reisinger und Heinz-Christian Strache (v. l.).(c) Clemens Fabry; Montage: Die Presse
  • Drucken

So spannend waren die Landtagswahlen in Wien wohl noch nie. Was geht in den Spitzenkandidaten in der Woche vor der Entscheidung vor? Wer kämpft, wer resigniert? Der Blick ins Rathaus, aber Achtung: Fiktion!

Es ist einer dieser Tage, die Michael Häupl hasst. In der Früh hat ihn seine Frau daran erinnert, dass er seine Trainingseinheit auf dem Hometrainer „vergessen“ hat. Schon wieder. „Ärztinnen, wieso heiratet man eine Ärztin?“, denkt er. Doch dann erinnert er sich an die Augenringe von Heinz-Christian Strache und weiß es wieder: darum.

Bevor es an diesem Morgen losgeht mit Terminen und Besprechungen hat Michael Häupl noch Zeit – für einen Caffè Latte mit viel Schaum und ein paar Gedanken, die er nie zugeben würde, aber zuletzt immer öfter hat. Durch das ewige Dämmerlicht in diesem Ballsall weht eine Ahnung von Abschied. So oder so. Und deshalb erlaubt er sich – da Dankbarkeit keine politische Kategorie ist, muss er sich das ausdrücklich erlauben – , die Welt kurz undankbar zu finden: diesen heterogenen Genossen-Flohzirkus, diese Wiener, die nicht verstehen, dass nur ein Rotes Wien das echte ist, und diese Journalisten, die nicht kapieren, dass eine Kritik an der SPÖ eine Kritik an Wien ist. So jedenfalls hat er sich sein Finale nicht vorgestellt. „Seit 15 Jahren inszenieren wir ein deppertes Duell gegen die FPÖ, damit auch der letzte Genosse aus dem Gemeindebau seinen Hintern hebt – und jetzt ist es wirklich da.“ Zumindest, das gesteht er ein, hat das Schicksal Sinn für Ironie.

Weiter kommt er nicht, es klopft. Häupl schließt gedanklich das Kapitel Bürgermeister-Dämmerung und nickt Harry Kopietz zu, seinem engsten Vertrauten seit Beginn seiner Karriere. Ihm folgt Parteimanager Georg Niedermühlbichler, Mr. Gemeindebau. In der Hand hat er einen Stapel Papier, die Analyse der neuesten Umfragedaten, also der echten, die nur wenige sahen. Niedermühlbichler setzt an: „Chef . . .“, doch Häupl unterbricht: „Warum kann der Oberösterreicher uns eigentlich nicht den Gefallen tun und Schwarz-Blau vor dem 11. fixieren?“, fragt er niemanden im Speziellen. Kopietz antwortet trotzdem: „Er ist halt auch kein Trottel.“ „Und wieso hat er dann fast elf Prozentpunkte verloren?“, fragt Häupl wieder und blättert mit einer Miene, die anzeigt, dass es jetzt wirklich keiner Antwort bedarf. „Was ist eigentlich, wenn . . .“, beginnt Niedermühlbichler, als die Stille unangenehm wird. Da brummt Häupls Handy. Auf dem Display leuchtet Nachfolger eins auf. „Red weiter“ sagt Häupl, doch dann bemerkt er Niedermühlbichlers Blick, der noch am Handy hängt. Häupl lächelt. Späße, die keiner versteht, sind ihm die liebsten. Er hebt die Hand und spreizt die Finger: „Fünf, es gibt fünf.“ Ah, ein Schmäh – Niedermühlbichler lächelt erleichtert. Und Häupl nickt, doch er fühlt sich missverstanden. Wie so oft. Denn die Lage ist einfach zu ernst, um keinen Spaß zu haben.

* * * * *

Etwas später am Vormittag, ein paar Straßen weiter, das FPÖ-Büro im Parlament. Die Luft ist zart dunstblau. Immer, wenn sich Heinz-Christian Strache eine neue Zigarette aus der Packung nimmt, bildet er sich ein, Herbert Kickls Blick im Nacken zu spüren. „Nach der Wahl höre ich auf, versprochen“, sagt der FPÖ-Chef. „Sicher“, sagt Kickl. Strache hebt sein Häferl mit grünem Tee, der nun öfter den Energydrink ersetzt: „Siehst du, ich trink schon Tee.“ – „In einer Woche trinken wir sowieso Champagner“, ruft Johann Gudenus aus dem Nebenzimmer.

Kickl richtet sich die Brille und gibt fast leise zu: „Ja, besser hätte es bisher nicht laufen können, die Flüchtlingswelle, die wie immer überforderte Bundesregierung, Oberösterreich . . .“ „Jetzt sei nicht so bescheiden“, unterbricht Strache: „Das Bundespräsidentenvideo war eine ganz tolle Idee und auch das mit der Stenzel. Wir sind quasi die neuen Bürgerlichen.“ „Ich dachte, wir sind die soziale Heimatpartei“, sagt Gudenus heiter. Kickl schüttelt den Kopf, erlaubt sich aber auch ein breiteres Lächeln. Dass keiner so genau weiß, was sie sind und was sie wollen und wie man alles finanzieren könnte, gehört zum Erfolgsrezept. „Ist doch egal“, erwidert Strache, „wir gewinnen sowieso.“ „Solange nicht wieder jemand etwas Unüberlegtes tut oder postet“, sagt Kickl und schaut Gudenus stellvertretend für den blauen Rathaus-Klub und die Bezirksräte streng an. Facebook und YouTube sind zwar wie für die FPÖ geschaffen, aber es passieren, nun ja, hin und wieder Unfälle. Die Dosis macht das Gift, mit dieser Botschaft geht Kickl seit Jahren hausieren. Er ist sich aber nicht sicher, ob sie ankommt. Gudenus liegt etwas zu den Kickl-Files auf der Zunge, er lässt es aber bleiben. Stattdessen sagt er versöhnlich: „Geh doch heute Abend mal mit, letztens hatten wir wirklich Spaß.“ „Du weißt, ich geh laufen“, unterbricht ihn Kickl. Strache, der inzwischen versonnen ins Leere geschaut hat – ein bisschen meditieren zwischendurch – fragt plötzlich: „Geht's sich jetzt eigentlich aus? Platz eins und der Bürgermeister, mein ich.“ Kickl dreht sich zu ihm: „Ist doch völlig egal. Wenn nicht, werden wir Bundeskanzler.“

* * * * *

Zurück im Rathaus, Mittag. Maria Vassilakou kommt gerade von einem Interview, grüne Lederjacke über dem Arm, die Laune schlecht. Immer dieselben Fragen, ob man im Wahlkampf mit Bildung auf die falschen Themen setzt. Dabei ist doch die Bildung der Schlüssel, zumindest sagen das immer alle. Und dann hat ihr eben gerade noch ein guter Bekannter eröffnet, diesmal SPÖ zu wählen. Wegen der FPÖ. Plötzlich kommt von seitwärts ein „Mary“, Klubchef David Ellensohn steht vor ihr. Weil sie weiß, dass man ihr die schlechte Laune ansieht, setzt sie einfach fort: „David, ich habe es so satt, dass die jetzt alle zu den Roten gehen, nur um Strache zu verhindern, der ihn Wien eh nix wird.“ „Was sollscht tua“, sagt Ellensohn, der sein Vorarlbergerisch, wie sie findet, in Wien manchmal wie ein Abzeichen trägt. „Warum hast auch g'sagt, dass du bei Verlusten zurücktrittst?“ „Es ist mir halt rausgerutscht und es war damals auch noch völlig unrealistisch“, sagt Vassilakou. „Hast des mit dem Voves nicht mitbekommen?“, fragt Ellensohn. „Sehr witzig.“ „Hätt ma nach dem Akkılıç-Verrat die Koalition beendet, wie ich es wollte, hätt ma im Juni g'wählt, und alles wäre super g'wesen. Aber du wolltest jo net.“ Als er ihre Miene sieht, lenkt Ellensohn aber ein: „Wird schon geh'n, die ÖVP zerbröselt, dem Michi bleiben dann trotz Verlusten nur wir als Koalitionspartner. Dann könn' ma uns für Akkılıç rächen und beinhart die Bedingungen für Rot-Grün 2 diktieren.“ „Mit dir als Vizebürgermeister, oder was?“, fragt Vassilakou. „Na geh“, sagt Ellensohn. Aber er lächelt.

* * * * *

Ja, eh. Alle hatten ihn gewarnt. Jeder Journalist hatte das Interview, als er zum Wiener ÖVP-Chef ernannt wurde, mit derselben Frage begonnen: „Warum tun Sie sich das an?“ – „Ja, warum eigentlich“, fragt sich Manfred Juraczka. Er blickt hinauf zur Bürodecke. Im ersten Moment weiß er keine Antwort. Auch im zweiten Moment nicht. „Schlimmer als nach der Wahl 2010 kann es nicht werden“, hatte er sich damals gedacht. „Und jetzt?“ Eine Woche vor der Wahl in Umfragen nur mehr einstellig. Das hatte ja keiner kommen sehen: die Neos, die Flüchtlinge, das rot-blaue Duell und Ursula Stenzel. Was soll ein kleiner ÖVP-Stadtchef gegen so viel Schicksal ausrichten? Wobei bei ihn der Gedanke an Stenzel auch immer ein bisschen erheitert: Geschieht ihr recht, dass sie jetzt als Königin der Löwen mit bemalter Truppe durch die Stadt tingelt und im FPÖ-Klub mit den Burschenschaftern Konversation treiben muss. Trotzdem: Der „Shortie“ hätte nicht auf Markus Figl als Ersten im Ersten bestehen sollen. Das war ein Fehler. Schade, wirklich schade – nicht wegen der Stenzel, sondern wegen allem. Mit ein paar Prozent mehr wäre es perfekt gewesen. Die SPÖ, oder wesentliche Teile von ihr, haben die Grünen satt. Mit Häupl wäre es ein gemütliches Regieren geworden. Und: So eine nette, junge Liste hatte die ÖVP auch noch nie. Juraczka nimmt sich da nicht aus: Die optische Strache-Ähnlichkeit ist eigentlich ganz lustig, wobei ihm frühere Vergleiche lieber waren: Immerhin fand auch schon jemand, er sehe Sarkozy ähnlich. Was macht der jetzt eigentlich? Egal. Immerhin, tröstet sich Juraczka, zum Schluss, geht es mir besser als meinen Vorgängern. An meinem Sessel sägt keiner. Denn jetzt wissen alle: Schlimmer geht immer.

* * * * *

Während Juraczka sinniert, wirft Beate Meinl-Reisinger in der Neos-Wahlkampfzentrale einen Blick in den Spiegel: Wann habe ich eigentlich zuletzt etwas ohne Pink angehabt? Sie schaut auf ihre Turnschuhe. Nun ja, Wahlkampf bedeutet Opfer. Auch das Reden mit Ausrufezeichen wird später schon wieder vergehen. Aber jetzt herrscht Wahlkampfmodus. Denn wenn es in Wien nichts wird, dann war's das. Die anderen waren ja skeptisch, als der prominente Wahlkampfstratege beschloss, aggressiver aufzutreten. Aber Meinl-Reisinger fand das gut so. Bäumeumarmen bringt einen nicht ins Rathaus. Dazu braucht es eher FPÖ-Lautstärke und am besten redet man nicht allzu laut über liberale Privatisierungsideen. Das macht den Wienern nämlich Angst. Wer im Neos-Team „Wasser“ sagt, muss in die Kassa für schlimme Wörter einzahlen. Apropos Angst: „Was machst du eigentlich“, hat eine Mitstreiterin Meinl-Reisinger vor Kurzem gefragt, „wenn du es nicht schaffst?“ Meinl-Reisinger, die gerade das „Fett, Faul, Filzig“-Mantra memoriert und die Anschaffung von Boxhandschuhen überlegt hatte, schreckte auf: „Wieso? Ich werde Bürgermeisterin.“

»

Ende

Die Wahl

Am 11. Oktober wählt Wien seinen Gemeinderat neu. Ebenfalls gewählt werden die Bezirksvertretungen der 23 Wiener Gemeindebezirke. Sie haben je 40 bis 60 Mitglieder, wahlberechtigt sind hier auch EU-Bürger.

1.144.510 Menschen sind am 11. Oktober wahlberechtigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.