Der ganz besondere Saft

Blutkonserven
BlutkonservenTeresa Zoetl
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Was uns durchpulst, hält uns nicht nur am Leben, irgendetwas in jungem Blut kann auch verjüngen. Was es ist, weiß man noch nicht.

Das Saufen von Blut, gar das Baden darin, bringt ewige Jugend, sei es das Blut eines Drachens, sei es das der 650 Jungfrauen, in dem die ungarische Gräfin Báthory Ende des 16. Jahrhunderts sich suhlte, seit sie beim Foltern eines Opfers bemerkt hatte, dass ihre Haut dort aufblühte, wo Blut hingetropft war. Na ja, das sind Mythen. Das nicht: „Das Blut der Gladiatoren wird von Epileptikern getrunken, als wäre es ein Schluck des Lebens, obwohl wir vor Schrecken schauern, wenn wir sehen, dass Raubtiere in der gleichen Arena das Gleiche tun. Aber – beim Himmel! – die Patienten glauben, es wirkt am besten, wenn man direkt vom warmen, lebenden Blut eines Mannes trinkt.“

So grauste es Plinius dem Älteren: Epileptiker wurden von Verwandten zu noch zuckenden Leibern sterbender Gladiatoren geführt. Axel Kahrenberg, Medizinhistoriker der Uni Köln, hat es ausgegraben und vermutet, dass die letzten Zuckungen des einen die anderen von den nächsten befreien sollten (Journal of the History on Neurosciences 12, S. 137). Als es um das Jahr 400 dann mit den Gladiatorenkämpfen vorbei war, wurden Hingerichtete umlagert, vor allem Geköpfte.

Das hielt sich lange, noch 1908 berichtete ein Tagblatt in Sachsen, bei einer Hinrichtung habe jemand Blut für eine Epileptikerin erbeten. Zu der Zeit spukten auch schon die Ausgeburten Bram Stokers herum, sie tun es bis heute, nicht nur im Kino, sondern, in einer besonderen Variante, auch im Labor: In einem in Paris schuf Paul Bert 1860 künstliche siamesische Zwillinge, aus Ratten: Er vernähte sie paarweise so, dass sie einen gemeinsamen Blutkreislauf hatten. 1908 verfeinerte Ferdinand Sauerbruch die Technik und nannte sie Parabiose. Zur gleichen Zeit legte in Wien Karl Landsteiner – Sohn des ersten Chefredakteurs der „Presse“ – die Grundlagen für einen ganz anderen Blutaustausch, den umwegigen der Transfusion zwischen Menschen.

Die war oft gescheitert, Landsteiner fand den Grund: Unser Blut kommt in Gruppen – A, B und 0 –, nicht alle sind miteinander verträglich, gespendetes A etwa zieht die Immunabwehr des Empfängers auf sich, wenn er B hat. Später entdeckte Landsteiner weitere Typen – und den Rhesusfaktor –, heute kennt man über 20. Man weiß nur nicht, wozu sie da sind: Viele Wirbeltiere haben Blutgruppen, aber A, B und 0 in ihrer starken Ausprägung kamen erst vor etwa 20 Millionen Jahren bei unseren Ahnen, den Affen der Alten Welt. Laure Ségurel (Chicago) hat es gezeigt (Pnas 109, S. 18493). Seitdem halten sich die Gruppen in „balancierter Selektion“, keine setzte sich durch, keine ging verloren; jede muss Vorteile haben.


Schutz vor Malaria. Man weiß etwa, dass 0 gewissen Schutz gegen Malaria bietet, an Blutzellen dieser Gruppe bindet der Erreger schlecht. Mats Wahlgren (Stockholm) hat es bemerkt und gezeigt, dass 0 in Malariagebieten verbreitet ist (Nature Medicine 21, S. 314). Aber A und B gibt es dort schon auch, und das Blut bzw. die Evolution hat sich gegen Malaria noch anderes einfallen lassen, Sichelzellenanämie etwa.

Wie auch immer, Landsteiner war eben recht gekommen für die großen Blutbäder des 20. Jahrhunderts: „Will you help by giving a little of your blood? The lives of our wounded depend on it!“ So warb man 1944 in England, 750.000 folgten dem Ruf, manche sieben-, achtmal. Das ist längst Routine, auch außerhalb der Kriegszeiten stieg der Bedarf. 2011 wurden in den USA 21 Millionen Transfusionen durchgeführt. Aber da hatte schon eine Gegenbewegung eingesetzt: Am Stanford Hospital hielt das Management die Ärzte 2009 zum Blutsparen an. Das hatte nicht nur finanzielle Gründe: In den 1990er-Jahren, als Spenderblut von Kontamination mit HIV und Hepatitis C bedroht war, hatte man in Kanada in kleineren Studien bemerkt, dass viele Transfusionen überflüssig sind und manche gar schaden. Das Gleiche zeigte sich am Stanford Hospital: Die Transfusionen sanken binnen vier Jahren um 24 Prozent – vieles andere sank auch, die Sterblichkeit der Patienten, ihre Verweildauer.

Natürlich blieb Blut unentbehrlich, aber leichtere Fälle und Patienten unter 55 profitierten eher, wenn sie seltener fremdes Blut bekamen. Das mag daran liegen, dass die roten Blutzellen, die den Sauerstoff transportieren, beim Lagern altern, dann stärker an ihre Fracht binden und sie weniger leicht wieder abgeben. Wie auch immer: „Wir haben unter einer Art Hirnwäsche geglaubt, dass Blut Leben rettet, und das umso besser, je mehr wir geben“, resümiert Steven Frank (Johns Hopkins). „Jetzt haben wir uns um 180 Grad gedreht und glauben, dass weniger mehr ist“ (Nature 520, S. 24).

Wer weiß, vielleicht wird gespartes Blut anderswo nützlich? Parabiotische Tiere tummelten sich noch in 1970er-Jahren in Labors, dann konnte selbst die Zunft die Kreaturen nicht mehr sehen. Anno 2000 waren sie wieder da, und wie: Man vernähte alte und junge Mäuse zu „heterochronen Parabioten“. Das Blut der Jungen frischte die Alten auf, die Muskeln, auch das Gehirn. Tony Wyss-Coray (Stanford) publizierte es im Vorjahr (Nature Medicine 20, S. 659), er erlebte gespaltene Reaktionen – „Viele gruseln sich, sie reden auf Meetings von ,Vampiren‘“ –, aber die Verlockungen waren größer. Als Amy Wagers (Harvard) die Wundersubstanz im Blut isolierte – GDF11, ein Wachstumsfaktor –, war der Hype auf dem Höhepunkt (Science 630, S. 344). Just ein Forscher der Pharmaindustrie brachte ihn zum Einbruch: GDF11 macht Muskeln nicht jünger, sondern älter (Cell Metabolism 22, S. 164).

So kann es auch nicht GDF11 gewesen sein, was Michael Mosley neue Babyhaut versprach. Er ist ein britischer Medizinjournalist, der im TV gern zeigt, dass ihm vor gar nichts graut. Er hat schon aus seinem Blut Blunzen machen lassen – und mit Genuss vor der Kamera verzehrt –, er testete auch etwas, was an Gräfin Báthory erinnert: PRP (Platelet Rich Plasma) vulgo „Vampire Facelift“. Dabei wird Eigenblut zentrifugiert und das Produkt in die Haut gespritzt – Kim Kardashian schwört darauf, Tiger Woods und Rafael Nadal auch. Mosley winkte auf BBC eher ab: Das Zeug sei teuer, und das Ergebnis „nicht eindrucksvoll genug“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2015)

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