Meinungsfreiheit: Salman Rushdie, gar nicht ruhig

Salman Rushdie warnt vor Selbstzensur.
Salman Rushdie warnt vor Selbstzensur.(c) REUTERS (RALPH ORLOWSKI)
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Der Autor der „Satanischen Verse“ sieht uns im Welt-Krieg um die Meinungsfreiheit. Das Thema bestimmte auch den Auftakt zur Frankfurter Buchmesse. Der Iran rief zum Protest gegen Rushdie auf.

Die Welt steht auf dem Spiel in Salman Rushdies neuem Roman – und nur scheinbar in einer fernen, märchenhaften Vergangenheit. Auch wenn böse Dschinn vorkommen, eine Fürstin des Lichts und die mittelalterlichen Philosophen Ghazali und Averroës alias Ibn Rushd (dem zu Ehren Rushdies Vater einst seinen Namen änderte!): Es geht in „zwei Jahre, acht Monate und 28 Nächte“ ums Heute, um den Kampf zwischen Glauben und Vernunft und den islamischen Extremismus, der für Rushdie tatsächlich die Welt als Ganzes bedroht – zumindest die lebenswerte Welt.

„Ohne Meinungsfreiheit gibt es keine anderen Rechte“, sagte der 68-jährige Schriftsteller am Dienstag in Frankfurt, wo er die Eröffnungsrede zur Buchmesse hielt. Und was die Meinungsfreiheit im Westen angeht, wirkt Salman Rushdie in letzter Zeit tief pessimistisch, er warnte wiederholt vor der wachsenden Selbstzensur.

Mehr als 26 Jahre ist es her, dass der Autor der „Satanischen Verse“ vom iranischen Staatsoberhaupt Khomeini zum Tode verurteilt wurde und eine iranische Stiftung ein Kopfgeld von einer Million Euro auf Rushdie aussetzte. Als US-Autoren vor einigen Monaten gegen die Vergabe eines Preises für den Mut zu Meinungsfreiheit an „Charlie Hebdo“ protestierten, meinte Rushdie, diese Autoren hätten wohl auch ihn zur Zeit der Fatwa nicht verteidigt. „Damals schien jeder zu verstehen, dass Meinungsfreiheit ein höheres Gut ist als das, was man meinem Werk vorwarf“, sagte er kürzlich in einem Interview. „Heute leben wir in Zeiten, in denen viele solche Fanatiker lieber beschwichtigen, statt ihnen mutig entgegenzutreten.“

„Einer der Meistgehassten“

Dass der Iran wegen Rushdies Auftritt die Buchmesse boykottiert, wird die Veranstalter wenig beeindruckt haben. Diese hätten sich in den Dienst der „Zionisten“ und „Feinde der Muslime“ gestellt, hieß es im offiziellen iranischen Protestschreiben, sie würden mit der Einladung Salman Rushdies „Gewalt gegen den Islam“ entschuldigen. Die Reaktion war nicht verwunderlich: Rushdie ist vielleicht „eine der in der islamischen Welt meistgehassten Personen“, wie es im iranischen Schreiben heißt – ganz sicher aber einer der Erzfeinde des fundamentalistischen islamischen Establishments. Am Dienstag legte Teheran nach und rief zu Protestaktionen gegen den Auftritt Salman Rushdies auf: "Wir sind sicher, dass muslimische Verleger ihrer Verantwortung diesbezüglich bewusst sind und dementsprechend auch gegen diesen Auftritt protestieren werden", sagte Vizekulturminister Abbas Salehi am Dienstag der Nachrichtenagentur IRNA.

Offenbar haben die tödlichen Anschläge auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ im Jänner die Buchmessen-Veranstalter dazu gebracht, den Widerstand gegen religiöse Intoleranz neben dem Einsatz für die Flüchtlinge in den Mittelpunkt der Eröffnung zu rücken. Buchmesse-Direktor Juergen Boos erinnerte in seiner Rede an die Anschläge in Paris – und namentlich an fünf Schriftsteller: die vor vier Jahren ermordet und mit einer abgetrennten Hand aufgefundene mexikanische Autorin und Frauenrechtlerin Susana Chávez Castillo, die sich für bedrohte Frauen eingesetzt hatte; den Dichter Mohammed al-Ajami, der in Katar wegen angeblicher Beleidigung des Regimes und Aufruf zum Umsturz in Haft sitzt; den inhaftierten chinesischen Aktivisten Li Bifeng, den zu 1000 Peitschenhieben verurteilten saudiarabischen Blogger Raif Badawi und schließlich den sowohl von der syrischen Regierung als auch von islamischen Extremisten bedrohten, nach Deutschland geflüchteten Syrer Abdelwahhab Azzawi. „Wir sind in einer komfortablen Situation“, so Boos, „wir brauchen keine Sanktionen zu befürchten. Gerade deshalb kann man es uns zumuten, Verantwortung zu übernehmen.“

Zu diesem Aufruf passt die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den deutsch-iranischen Schriftsteller Navid Kermani; sie findet am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche statt. Kermani ist ein Kenner der westlichen wie der islamischen Geistestraditionen, und vermittelt zwischen ihnen – mit einer bewundernswerten Mischung aus Scharfsinn, Gelehrtheit, Vernunft und literarischer Qualität.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2015)

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