Theater an der Wien: Poppea erblasst im Rampenlicht

Valer Sabadus macht den schrittweisen Verfall Nerones deutlich, Alex Penda (Poppea) bleibt dagegen den stimmlichen Reiz schuldig.
Valer Sabadus macht den schrittweisen Verfall Nerones deutlich, Alex Penda (Poppea) bleibt dagegen den stimmlichen Reiz schuldig.(c) Theater an der Wien/Monika Rittershaus
  • Drucken

Claus Guth erzählt Monteverdis „L'incoronazione di Poppea“ als himmlische Gameshow mit Begleitschäden, Valer Sabadus dominiert als Nerone.

Da hockt sie nun mit dem Champagnerglas am Klavier und lässt den Finger immer wieder auf dieselbe Taste fallen: Der Komponist Giacinto Scelsi will sich mit dieser Methode von einem durch Schönberg ausgelösten Nervenleiden geheilt haben. 1900 Jahre früher in der Historie, wenn auch auf der Bühne des Theaters an der Wien in unserer Zeit angesiedelt, bietet das eintönige Spiel für die römische Kaiserin Ottavia hingegen keinen Ausweg aus jener Krise, in die sie die Untreue ihres Gatten gestürzt hat. Jennifer Larmore, hier ganz alternde Hollywood- oder Broadway-Diva, sucht mit vibratoreich-reifem Mezzosopran Zuflucht im Alkohol, will politische Fäden ziehen, stiftet den Mann der Rivalin zum Mord an, macht veritable Szenen – umsonst. Verstoßen und ins Exil geschickt, kann sie ihr „Addio, Roma“ nur noch stockend herausbringen: ein starker Moment an einem langen, nicht immer konzis wirkenden Opernabend mit Claudio Monteverdis „L'incoronazione di Poppea“.

Nach „L'Orfeo“ 2011 und „Il ritorno d'Ulisse in patria“ 2012 hat Regisseur Claus Guth also seine Monteverdi-Trilogie am Theater an der Wien vollendet. Die „Poppea“ unterscheidet sich nun stärker von den vorangegangenen beiden Inszenierungen – und ist keineswegs die eindringlichste der drei geworden. Vielleicht deshalb, weil Guth im Verein mit seinem Ausstatter Christian Schmidt die divergierenden Elemente der Vorlage noch betonen wollte. Tragödie und „Comedy“ laufen manchmal etwas verunglückt nebeneinander her, letztere personifiziert vor allem im sauer intonierenden José Manuel Zapata in der Travestierolle der Amme Arnalta.

Von einer TV-Gameshow nimmt das Ganze im Prolog seinen Ausgang: Nun ja, Breitenwirkung war auch 1642 bei der Uraufführung gefragt, ist das Werk doch eine der ersten Opern, die nicht mehr für einen Fürstenhof, sondern ein öffentliches Theater entstanden sind. Immer wieder kehren wir in dieses Studioambiente zurück – wobei der schöne Schein des Rampenlichts zunehmend ramponiert wirkt: Die Fassade bröckelt. Den hier geführten Wettstreit beherrscht von Beginn an Jake Arditti als quirlig-trotziger Amor. Allegorische wie menschliche Figuren kann er (wie der stumme Liebesquälgeist in Guths Salzburger „Figaro“) an unsichtbaren Marionettenfäden gängeln, sie auch gegen ihren Willen und mit perfider Lust einander in die Arme fallen lassen. Dazwischen schieben sich Hinterbühnenszenen für jene Begebenheiten, die ja teilweise einem Hintertreppenroman entstammen könnten, etwa Ottones scheiternder Mordanschlag auf seine Noch-Gattin Poppea. Immer wieder geht Guth auf Distanz. Geräuschhaft-dissonante, live-elektronische „Soundscapes“ (Christina Bauer), wie sie so ähnlich im Salzburger „Fidelio“ die Dialoge ersetzt hatten, verbinden viele Szenen und trennen sie zugleich empfindlich.

Erweiterungen des Notentextes

Dirigent Jean-Christophe Spinosi treibt das mit seinem Ensemble Matheus noch weiter, drängt auf Herbheit, hat auch keine Scheu vor improvisatorischen, über den Stil der Zeit hinausgehenden Zutaten und Erweiterungen des Notentextes – Wackelkontakte inklusive. Vielleicht liegt es auch an der blassen, stimmlichen Reiz schuldig bleibenden Alex Penda in der Titelpartie, dass weniger ihr Aufstieg als Nerones schrittweiser geistiger Verfall im Vordergrund steht: Countertenor Valer Sabadus macht diese Entwicklung freilich auf fulminante Weise nachvollziehbar. Der freche Sieg ihrer Liebe, die über Leichen geht (Franz-Josef Selig stirbt wohltönend-sonor als Seneca), lässt das Stück geradezu avantgardistisch anmuten. Guth will ihn so nicht stehen lassen. Zu den letzten, hinzugefügten Takten erschießt Nerone in stummer Zeitlupe zuerst Poppea und dann sich selbst. Deutliche Buhs für Spinosi und Guth, aber auch viel Begeisterung nach knapp vier Stunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.