Die Metamorphose der Mitterlehner-ÖVP

NATIONALRAT: SCHELLING / MITTERLEHNER
NATIONALRAT: SCHELLING / MITTERLEHNER(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Der Vizekanzler gestaltet die ÖVP nach seinen Vorstellungen um: Junge Männer machen Karriere, die alte Bündeordnung wird außer Kraft gesetzt und der Finanzminister gegen die Länder eingesetzt. Fehlen nur noch Wahlerfolge.

Wien. Peter McDonald hat, eher nebenei, ein interessantes Detail aus dem Innenleben der ÖVP verraten, als er am Donnerstag als Generalsekretär vorgestellt wurde. Er sei Teil einer kleinen Gruppe gewesen, die Reinhold Mitterlehner vor einiger Zeit auf dem Wiener Rochusmarkt im dritten Bezirk versammelt hat, um der Frage nachzugehen, wie die ÖVP modernisiert werden kann. Mit am Tisch saßen Sebastian Kurz, Harald Mahrer und Gernot Blümel.

Diese Runde macht jetzt Karriere: Kurz hat im Außenministerium weitgehend freie Hand. Mahrer gibt den querdenkerischen Staatssekretär. Blümel wechselte in die erste Reihe nach Wien. Und McDonald, der als Chef der Sozialversicherungen auf sich aufmerksam gemacht hatte, übernahm die Parteizentrale.

Die Gemeinsamkeiten in Mitterlehners „next generation“ sind offenkundig: männlich, relativ jung, reformfreudig, äußerst ehrgeizig und eher liberal, den Neos also nicht unähnlich (wobei dort der Frauenanteil eine Spur höher ist). Der Parteichef setzt sie ihren Stärken entsprechend ein: McDonald soll die Partei inhaltlich besser abgrenzen, Blümel die Wiener Landespartei neu aufstellen, Mahrer eine bildungspolitische Linie entwickeln, mit der die ÖVP Reformbereitschaft zeigen und trotzdem am Gymnasium festhalten kann. Und Kurz, das größte Talent von allen, soll die Weltbühne für seine Partei und ihre Wähler daheim bespielen.

Schön langsam wird die ÖVP, wie Mitterlehner sie haben will. Er gestaltet die Partei nicht so radikal um, wie er es von Blümel in Wien verlangt, sondern behutsam, Schritt für Schritt und taktisch geschickt. Er holt Leute, denen er etwas zutraut, und setzt sie dort ein, wo sie ihm am nützlichsten sind. Finanzminister Hans Jörg Schelling etwa wird zum Streiten in die Länder geschickt, damit der Parteichef hinterher den Schlichter geben kann. Die politische Variante von „Good cop, bad cop“, aber nicht unwirksam.

Dominanter Wirtschaftsbund

Daneben wird die alte Bündeordnung der ÖVP schleichend außer Kraft gesetzt – zugunsten des Wirtschaftsflügels, der dominanter denn je ist. Er stellt den Parteiobmann, den Finanzminister, einen Staatssekretär (Mahrer), den Zweiten Nationalratspräsidenten (Karlheinz Kopf) und nunmehr auch den Generalsekretär. Darüber spricht Mitterlehner nicht gern. Auf eine entsprechende Frage antwortete er diese Woche nur, dass die Personalie McDonald mit allen abgestimmt sei.

Wieder hatte er schnell reagiert und Tatsachen geschaffen, bevor sich eine Opposition formieren konnte. Am Montag wurde Blümel nach Wien entsandt, am Donnerstag schon sein Nachfolger präsentiert. Auf diese Weise war Mitterlehner auch im August 2014 vorgegangen. Am Morgen war Spindelegger zurückgetreten, am Abend stand er als neuer Parteichef fest. Er hatte das Interregnum für sich genutzt.

Die einflussreichen Kreise der Partei lassen ihm das durchgehen, weil die einzige Alternative zu Mitterlehner noch keine sein will (Kurz). Schön langsam wird der ÖVP-Chef aber wieder Ergebnisse liefern müssen. Die Partei hat fünf Landtagswahlen in Serie verloren. In Mitterlehners Heimat, Oberösterreich, fiel sie erstmals unter 40 Prozent, in Wien ist sie seit vergangenem Sonntag nur noch einstellig.

Auf die Flüchtlingsströme könne sich Mitterlehner nicht ausreden, sagt ein hochrangiger Parteifreund. Sie hätten das Fass nur zum Überlaufen gebracht. Ursache für die Wahlniederlagen sei die Untätigkeit der Regierung. „Die Probleme – Arbeitslosigkeit, Bürokratie, unleistbare Pensionen – liegen auf der Straße. Aber die Regierung tut so, als wäre alles in Ordnung. Nur ist der Wähler nicht dumm.“ Für den Vizekanzler könne es daher nur ein Rezept geben: „Arbeiten.“

Claus Raidl, Ex-Manager von Böhler-Uddeholm und einst Berater Wolfgang Schüssels, empfiehlt Mitterlehner, über den eigenen Schatten zu springen: Er werde den Konflikt mit den Sozialpartnern suchen müssen, denn dort würden die Reformen blockiert. „Vielleicht muss er sagen: ,Wenn ihr dieses und jenes nicht macht, dann machen wir es.‘“ Ob das mit einer „gewerkschaftsabhängigen SPÖ“ gelinge, sei jedoch fraglich, schränkt Raidl ein.

Auslaufmodell Große Koalition

Auch innerhalb der Regierung werde Mitterlehner Druck aufbauen müssen, damit sich die Fehler der Steuerreform nicht wiederholen. Da habe die SPÖ mehr für ihre Klientel herausgeholt als die ÖVP für die Wirtschaft. Gleichzeitig dürfe er nicht überreizen, denn eine Neuwahl könne die ÖVP nicht riskieren: „Er muss die richtige Dosis finden.“ Langfristig glaubt oder hofft Raidl nicht, dass die Große Koalition Bestand hat. „Sie hat sich überholt.“

In der nächsten ÖVP-Generation hat sich diese Meinung längst durchgesetzt. Die Rochusmarkt-Runde und ihre Anhänger sind die gegenseitige Lähmung in der Regierung leid. Wie viel Einfluss sie auf den gelernten Sozialpartner Mitterlehner hat, wird man sehen. Spätestens 2018, nach der nächsten Wahl.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2015)

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