Flüchtlingskrise: „Da gibt es kein Wegducken“

FL�CHTLINGE: ANKUNFT IN SPIELFELD
FL�CHTLINGE: ANKUNFT IN SPIELFELD(c) APA/ERWIN SCHERIAU (ERWIN SCHERIAU)
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Die Landeshauptleute fordern von der Regierung ein neues Gipfeltreffen. Der Bund trägt Kosten für Transitflüchtlinge. An der Grenze im steirischen Spielfeld wurden erstmals Stachelband-Rollen ausgelegt.

Linz. Es wurmt sie sehr. Als Sündenböcke für Mängel bei der Unterbringung von Asylwerbern und ständige Blockierer wollen sie nicht dastehen. Es müsse Anerkennung dafür geben, dass die Länder „Tag und Nacht“ daran arbeiten, um ständig mehr benötigte Flüchtlingsquartiere bereitzustellen, bekräftigte Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer neben seiner ÖVP-Parteikollegin Innenministerin Johanna Mikl-Leitner stehend. Die Ressortchefin hatte am Dienstag einen Abstecher zur Sitzung der Landeshauptleute nach Linz gemacht, um einen heraufdräuenden Konflikt beizulegen. Flankiert von Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) konnte Pühringer vor Journalisten mit dem Sanktus der anwesenden Innenministerin verkünden, es sei „klargestellt“, der Bund werde die Kosten für jene Flüchtlinge, die durch Österreich nach Deutschland weiterreisen, tragen.

Eine Kleinigkeit ist das nicht. Denn die Innenministerin listete auf, dass schon 440.000 Transitflüchtlinge betreut werden mussten. Die Landesfinanzereferenten hatten Ende Oktober erbost reagiert, weil durch ein E-Mail des Innenressorts der Eindruck entstanden war, die Kosten würden Ländern und Hilfsorganisationen aufgebürdet. Die Landeschefs hatten sich dagegen mit einem Gutachten des Verfassungsdienstes gewappnet, das die Zuständigkeit „zweifelsfrei“ (Pühringer) dem Bund zugeordnet hat. Die Länder sehen sich ohnehin durch die Kosten für die Grundversorgung der Asylwerber (da gibt es einen 60:40-Aufteilungsschlüssel zwischen Bund und Ländern) und die Quartiere „gewaltig“ gefordert.

Allein am Montag 640 Asylanträge

Schon eingangs hatte Pühringer, der jetzt im zweiten Halbjahr 2015 ein letztes Mal turnusmäßig den Vorsitz der Landeschef innehat, beinahe beschwörend versichert, die Länder seien bei der Bewältigung der Flüchtlingsprobleme an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Bund „höchst interessiert“. Und: „Da gibt's kein Wegducken.“

Weitere Schwierigkeiten möchten die Landeshauptleute lieber von vorneherein ausräumen. Deswegen wurde ein weiteres Gipfeltreffen mit der Bundesregierung gefordert, um für mittel- und längerfristige Probleme durch die Flüchtlingskrise rechtzeitig Lösungen zu finden. Mit einer Entschärfung der Lage rechnen die Länder nicht.

Die Innenministerin lieferte zur Untermauerung, was Österreich bereits jetzt leistet, die jüngsten Zahlen. Demnach reisten gerade zuletzt keineswegs alle Flüchtlinge direkt nach Deutschland oder Skandinavien weiter. Allein am Montag dieser Woche wurden in Österreich 640 neue Asylanträge gestellt, in der Vorwoche gab es mit 2982 Anträgen einen Rekordwert.

Finanzen: „Sind keine Untergebenen“

Seit Anfang Oktober steht der Innenministerin das Durchgriffsrecht des Bundes zur Verfügung, um in Bundeseinrichtungen auch gegen den Willen von Gemeinden Flüchtlinge unterzubringen. 1850 Plätze wurden mit dieser Zwangsmaßnahme vorerst geschaffen. Nachsatz Mikl-Leitners: „Und weitere werden folgen.“ So sollen bis Mitte November jene 360 Schutzsuchenden, die noch in Zelten untergebracht sind, ein festes Quartier bekommen. Konkret nannte sie dafür Ossiach sowie Krumpendorf, also zwei Orte in Kärnten, in denen Quartiere vorbereitet würden.

Gewerkschafter und Personalvertreter der Polizei haben die Unzufriedenheit wegen der Überlastung der Exekutive schon deutlich artikuliert. Die Ministerin verwies in Linz darauf, dass der Ministerrat grünes Licht für 2000 Polizisten und 500 Mitarbeiter mehr beim Asylamt gegeben habe. Zugleich warnte sie jedoch vor Illusionen: Wenn künftig ein Einsatz notwendig werde, „brauchen wir Flexibilität, da kann es keine wochenlangen Planungen geben“.

An der slowenisch-steirischen Grenze wurden am Dienstag 1800 Flüchtlinge registriert, in Bad Radkersburg etwa 800. In Spielfeld wird es nun mit Sicherungsmaßnahmen ernst. Am Damm des Autobahngrenzübergangs östlich der Sammelstelle wurden Stachelband-Rollen (SB-Rollen) verlegt. Sowohl der Autobahn- als auch der Eisenbahndamm – Letzterer westlich der Sammelstelle – werden von Polizisten und Soldaten kontrolliert. Um die von der Politik angekündigten „baulichen Maßnahmen“ handle es sich aber nicht, erklärte ein Polizeisprecher.

Angesichts der Dimension der Flüchtlingskrise traten zum Leidwesen der Landeshauptleute andere Punkte der Sitzung in den Hintergrund. Noch im November beginnen die politischen Verhandlungen über den Finanzausgleich, bei dem es um das Neuverteilen der Milliardeneinnahmen auf Bund, Länder und Gemeinden ab 2017 geht. Beinahe trotzig schmiss Pühringer dem Bund und Finanzminister Hans Jörg Schelling bereits entgegen: „Wir sind keine Untergebenen.“

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2015)

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